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© Thilo Rückeis

Steglitz: Anwohner stimmen gegen Umbenennung der Treitschkestraße

Der Historiker Heinrich von Treitschke prägte einst den antisemitischen Satz "Die Juden sind unser Unglück". Dennoch ist in Steglitz eine Straße nach ihm benannt. Und das wird nach einer Befragung der Anwohner nun auch so bleiben.

Nach langjährigem Streit ist die Umbenennung der Steglitzer Treitschkestraße vom Tisch, die Anwohner haben sich mit deutlicher Mehrheit dagegen ausgesprochen. In einer Befragung des Bezirksamts votierten 226 gegen einen neuen Straßennamen und nur 64 dafür. Das ergab am Mittwoch die rund einstündige öffentliche Auszählung im Rathaus Zehlendorf. 15 Stimmen waren ungültig, unter anderem wegen fehlender Unterschriften. Damit beteiligen sich insgesamt 305 der 428 Anwohner, die angeschrieben worden waren.

Sie habe „natürlich mit Nein gestimmt“, sagte Iris Vögtlin, die seit 18 Jahren in der Treitschkestraße wohnt und als einzige Anwohnerin ins Rathaus gekommen war. Eine Umbenennung „nimmt nur Zeit und Kosten in Anspruch und ist völlig unnötig“. Eine Druckerei hatte zwar angekündigt, den Druck neuer Visitenkarten zu sponsern. Aber „es geht ja auch um Fahrzeugpapiere, Banken, Versicherungen, Versandhäuser und vieles mehr“, sagte Vögtlin. Wer Treitschke war, habe sie erst durch den politischen Streit in der BVV Steglitz-Zehlendorf erfahren – und dieses Thema sei ihr „völlig egal“.

In der Auseinandersetzung geht es um den Historiker Heinrich von Treitschke (1834 bis 1896). Er war maßgeblich am „Berliner Antisemitismusstreit“ beteiligt und prägte den Satz „Die Juden sind unser Unglück“, der später das Motto das NS-Hetzblatts „Der Stürmer“ wurde.

Vor allem die bezirkliche SPD hatte eine Neubenennung gefordert – und zwar nach Altbischof Kurt Scharf (1902 bis 1990), der auch Pfarrer in der Patmos-Gemeinde an der Treitschkestraße war. Der kulturpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Kromm, zeigte sich „gar nicht überrascht“ vom Abstimmungsergebnis. Die Anwohner hätten den „gewaltigen Aufwand“ gescheut, der mit einer Adressänderung verbunden sei. „Die kulturpolitische Diskussion hat nur eine untergeordnete Rolle gespielt.“ Da die Meinungsumfrage formal kein Bürgerentscheid und deshalb nicht bindend war, will die SPD die BVV bald über ihren Antrag für die Benennung nach Kurt Scharf abstimmen lassen.

Doch der Antrag scheint aussichtslos. Die schwarz-grüne Zählgemeinschaft hatte die Bürgerbefragung beschlossen und angekündigt, sich nach dem Ergebnis zu richten. Ein möglicher neuer Straßenname war in den Schreiben an Anwohner nicht genannt worden. Die Grünen hatten sich einerseits wiederholt für eine Umbenennung ausgesprochen, aber mit Rücksicht auf die Zählgemeinschaft mit der CDU seit Jahren nicht mehr dafür gestimmt. Die CDU hielt eine Umbenennung schon immer für überflüssig.

Durch den Straßennamen werde „Fremdenfeindlichkeit befördert“

Die für Bürgerdienste zuständige Stadträtin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) nannte die Befragung ein „gutes Beispiel für direkte Demokratie“. Die Anwohner hätten durch eine hohe Beteiligung „gezeigt, dass sie das Thema ernst nehmen.“ Das Ergebnis zeige, dass „die mehr als 15-jährige Debatte an den Bürgern vorbei geführt wurde“.

„Persönlich enttäuscht“ reagierte der Kulturexperte der Grünen-Fraktion in der BVV, Carsten Berger auf die Ablehnung der Neubenennung. Andererseits beweise die hohe Beteiligung, dass man das richtige Verfahren gewählt habe. 

Als „zwiespältig“ bewertete der Vorsitzende der Piraten-Fraktion, Georg von Boroviczeny, das Ergebnis. Durch den Straßennamen werde „Fremdenfeindlichkeit befördert“, daher hätten die Piraten die Umbenennung unterstützt. Nach seiner persönlichen Meinung „bringt es aber nichts, Dinge unter den Tisch zu kehren, Treitschkes Zitat verschwindet dadurch nicht“.

An der Ecke Schlossstraße ist die Treitschkestraße seit dem Frühjahr mit dem Shoppingcenter „Boulevard Berlin“ überbaut. Während der Bauarbeiten war vorübergehend auch eine Gedenkstele demontiert worden, die mit Texttafeln über Treitschke und dessen politische Gegner informierte – die angrenzende Grünanlage Harry-Bresslau-Park ist nach einem von ihnen benannt. Im Lager wurde die Stele beschädigt. Jetzt hieß es im Rathaus, sie sei repariert und werde demnächst wieder aufgestellt. 

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