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In Steglitz-Zehlendorf hat die AfD besonders viele Mitglieder.

© dpa

Wahl zum Abgeordnetenhaus: Steglitz-Zehlendorf, der Machtkreis der Berliner AfD

Im Südwesten Berlins hat die AfD besonders viel Zulauf. Das bereitet nicht nur der CDU im Bezirk Sorgen.

Von Ronja Ringelstein

Hans-Joachim Berg, groß gewachsen, weiße Haare, sitzt in einem Café in Lichterfelde, vor ihm auf dem Tisch liegt ein brauner Umschlag. Nur kurz zieht er den Inhalt heraus: das blaue Wahlprogramm seiner Partei. Dann steckt er das Blau schnell zurück ins Braun. Nein, mit diesem Programm geht er nicht offen durch die Straßen.

Häufig betont er, die Partei werde angegriffen und ausgeschlossen – „aber das schadet uns nicht, die Bürger denken sich ihren Teil“, sagt Berg. Er ist zufrieden damit, wie der Wahlkampf läuft.

Berg ist Bezirksvorsitzender der AfD Steglitz-Zehlendorf. Hier hat die Partei in Berlin ihren Machtkreis. Berg ist Chef des stärksten Bezirksverbandes. 180 Mitglieder hat der. Eine große Mitgliederzahl steht üblicherweise für großen Einfluss. Aber ist es bei der „Alternative für Deutschland“ auch so?

Sie will anders sein als die anderen Parteien, das verspricht sie jedenfalls den Wählern. Denn gleich zu sein, ist eben keine Alternative. So will sie auch nicht, dass bei ihr Mitgliederstärke für Macht steht. „Die AfD ist nicht nach Befehl und Gehorsam strukturiert. Wir haben zwar 180 Mitglieder, aber da ist jeder sein eigener Kopf“, sagt Berg. Seine Versuche, „eine gewisse Rationalität in Entscheidungsabläufe“ zu bringen, stoße bei denen auf „extremen Widerstand“. Es sei „unglaublich kräftezehrend“, sie von seinen Ideen zu überzeugen. „Man muss mit unglaublich vielen Menschen unendlich geduldig und oft sprechen.“

Die AfD Steglitz-Zehlendorf hat Gewicht

Berg, Jahrgang 1948, tut das. In der CDU hat er das nie getan, auch wenn er dort fast 40 Jahre Mitglied war. Er war Referent von Alfred Dregger – das erzählt er gleich in den ersten zwei Minuten des Gesprächs. Der Sohn Dreggers, Burkard, heute ebenfalls CDU-Politiker, distanzierte sich im Namen seines verstorbenen Vaters von der AfD. Er schrieb in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel, sein Vater „hätte die AfD dafür angegriffen, dass sie einen Teil des deutschen Volkes pauschal aufgrund von Hautfarbe, Herkunft oder Religion auszugrenzen versucht“.

Berg benutzt die ehemalige Arbeitsstelle bei Dregger trotzdem wie einen Beweis dafür, dass er zu den klugen Köpfen der AfD gehört. Und so kann der grüne Südwesten doch großen Einfluss auf den politischen Kurs nach der September-Wahl nehmen: durch Berg selbst.

Berg steht als Landesvize auch inhaltlich hinter der rechtskonservativen Berliner Doppelspitze, Georg Pazderski und Beatrix von Storch. Und sagt, er habe kein Problem damit, sich als rechts zu bezeichnen: „Das Entscheidende für mich ist nicht, ob jemand rechts oder links ist, sondern ob er Demokrat ist oder Antidemokrat.“

Wie viel Einfluss er mit seinem Bezirk nehmen kann, zeigte Berg schon im Januar. Er setzte sich für Pazderski als neuen Landeschef ein. Der vorherige, Günter Brinker, wurde abgewählt. Dass Berg mit dem nicht so zufrieden war wie jetzt mit Pazderski, ist kein Geheimnis. Berg wollte Bezirksstammtische einführen, Brinker war dagegen. Berg setzte sich durch. „Wenn es gelingt, Mitglieder zu überzeugen, leisten die auf einem Parteitag natürlich einen gewissen Anteil, um Mehrheiten zu bekommen“, sagt Berg. Gut möglich, dass ihm hier seine „unendlich geduldigen Gespräche“ halfen.

Nähe zur CDU bringt Christdemokraten in Bedrängnis

Derzeit verursacht die AfD nicht mehr nur Aufregung, weil sie rechtspopulistisch, antisemitisch oder verfassungsfeindlich daherkommt, sondern weil sich eine inhaltliche Nähe zur CDU abzeichnet, die die Christdemokraten in Bedrängnis bringt. Nicht ganz unschuldig an dieser Debatte ist Berg selbst. Als Innensenator Frank Henkel (CDU) ein Burka-Verbot und die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft forderte, machte die AfD schnell klar, dass das ihre Position sei.

Berg behauptete sogar, dass es auf Bezirksebene schon Gespräche über eine mögliche Zusammenarbeit mit der CDU gebe. „Die Verbindungen zu früheren Parteikollegen reißen nicht einfach ab. Man tauscht sich noch regelmäßig aus“, sagte Berg. Die CDU dementierte. „Zur AfD gibt es keinen Austausch und keinen Kontakt. Ich schließe absolut aus, dass es nach der Wahl eine Zusammenarbeit gibt“, sagte Justizsenator Thomas Heilmann, der in Steglitz-Zehlendorf CDU-Kreisvorsitzender ist.

Ex-CDU-Senator Peter Radunski riet vergangene Woche, die „AfD in die Regierung zu nehmen“, denn das scheue sie. Eine Entzauberung der AfD sei das. Frank Henkel reagierte entsetzt und wiederholte, die AfD „könne kein Partner sein. Weder auf Landes- noch auf Bezirksebene“.

Als ein Bezirk der Reichen gilt Zehlendorf – wobei das seit 2001 dazugehörige Steglitz oft vergessen wird. Die Einkommen sind sehr ungleich verteilt, wie aus dem Sozialbericht 2015 hervorgeht. Den besser Gestellten geht es dafür aber besonders gut. Im Jahr 2014 waren fast 20 Prozent der Berliner auf Sozialleistungen angewiesen – die mit deutlichem Abstand geringste Quote lag in Steglitz-Zehlendorf mit 9,4 Prozent.

„Zehlendorf ist klassisches bürgerliches Terrain. Aber die Bürgerlichen sind zerrissen“, sagt Berg. Er glaubt, dass viele so seien wie er: Gutbürgerliche, die sich von der CDU nicht mehr repräsentiert fühlen. Berg habe sich von der CDU wegen der „unsäglichen Behandlung von Martin Hohmann“ abgewandt. Hohmann hatte als CDU-Abgeordneter eine als antisemitisch kritisierte Rede im Bundestag gehalten, es folgte der Parteiausschluss. Für Berg war das Mobbing. Danach habe er nur noch einmal die CDU gewählt

Hans-Joachim Berg teilt AfD-Wahlwerbung aus.
Hans-Joachim Berg teilt AfD-Wahlwerbung aus.

© DAVIDS/Sven Darmer

Heilmann: AfD-Inhalte haben nichts mit CDU zu tun

Bergs Wahlkreis ist Stammgebiet der CDU, auch die hat hier den stärksten Bezirksverband, mit rund 2500 Mitgliedern. „Leider werden auch ehemalige CDU-Wähler zur AfD abwandern“, prophezeit der Kreisvorsitzende Heilmann. Aber er wehrt sich dagegen, dass die AfD heute inhaltlich dort stünde, wo die Christdemokraten mal standen. „Die CDU war zum Beispiel nie europa-, oder NATO-feindlich“, sagt Heilmann.

Doch einige AfD-Aussagen könnten wohl auch von Christdemokraten stammen. Als Probleme im Bezirk benennt Berg etwa marode Schulen und die Vermüllung. Und Sabine Gollombeck, AfD-Spitzenkandidatin für die BVV-Wahl, fordert „mehr Teilzeitkonzepte für Mütter“ in der Verwaltung und ein Schulsanierungsprogramm.

Dieser Ton aber sei Taktik, meinen einige. „Die AfD tritt als Wolf im Schafspelz auf. Die Aussagen sind weichgespült“, sagt Benedikt Lux, Grünen-Direktkandidat im Wahlkreis 1 in Steglitz-Zehlendorf. „Trotzdem nehmen sie an anderer Stelle rechtsextreme Positionen ein“. Damit meint Lux etwa den AfD-Direktkandidaten in seinem Wahlkreis: Jörg Sobolewski. Der Vorsitzende der umstrittenen Burschenschaft Gothia warnt öffentlich vor einer „bewussten Überfremdung Deutschlands“ und vor einer „Landnahme durch fremde, junge Männer.“ Auf der Berliner Landesliste steht er auf Platz 24. „ Mein größter Vorwurf ist, dass gestandene Ex-CDUler wie Berg Personen unterstützen, die bewusst rechtsextremes Gedankengut teilen“, sagt Lux. Sollte die AfD im September auf über 16 Prozent im Wahlergebnis kommen, könnte Sobolewski über die Zweitstimme ins Abgeordnetenhaus einziehen.

Berg aber kommt so gut wie sicher ins Berliner Parlament: Er steht auf Landeslistenplatz 5. Er kneift die Augen ein wenig zusammen, als er sagt: „Die CDU hat das Glaubwürdigkeitsproblem, dass sie die Dinge, um die sich seit Jahren hätte kümmern können, jetzt plötzlich fordert.“ Er hat die Seiten gewechselt – und das Glaubwürdigkeitsproblem umgangen.

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