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Berlin: Stellungskrieg in Moabit

Seit Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge sich zurück an seinen Arbeitsplatz klagte, herrscht in der Behörde ein Gefühl des Stillstands

Schlechte Stimmung in Europas größter Staatsanwaltschaft. Nachdem die Ankläger den Schock über die Rückkehr von Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge verdaut haben, macht sich im Kriminalgericht Resignation breit. „Man hat den Eindruck, dass alles gelähmt ist“, sagt ein Staatsanwalt. „Über die ganze Behörde hat sich Mehltau gelegt“, ein anderer. Der Termin kann jetzt jeden Tag bekannt gegeben werden, doch die Hoffnung auf das Oberverwaltungsgericht (OVG) hält sich in Grenzen. „Es wird befürchtet, dass das Urteil ähnlich wie vor drei Monaten ausfällt.“ Damals hatte sich Karge vor dem Verwaltungsgericht zurück auf den Stuhl des Generalstaatsanwalts geklagt.

Kommt das OVG zum gleichen Schluss, dürfte Karge dem Landgericht als Chefermittler noch bis auf weiteres erhalten bleiben. Wahrscheinlich vier weitere Jahre, bis zu Karges 65. Geburtstag. Konfliktreiche Aussichten, hat der „General“ im Laufe der Jahre doch Feinde gesammelt wie andere Leute Briefmarken: in der Justiz, im Senat, in der Politik. Sein Chef am Kammergericht will Karge nicht. Die Justizsenatorin will ihn nicht. Die Mehrheit im Abgeordnetenhaus hat Karge im vergangenen Herbst abgewählt. Die meisten Staatsanwälte reagierten damals mit Jubel. „Unter den Kollegen hat Karge null Rückhalt“, sagt eine Staatsanwältin, die wie ihre Kollegen ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Wir waren total schockiert, als er zurückkam.“

Das war Anfang Dezember, als Karge es sich im Zimmer 519 des Moabiter Gerichts wieder gemütlich machte und erklärte: „Es geht ums Prinzip! Ich will selbst entscheiden, wann ich aufhöre!“ Schon am nächsten Tag teilte der „General“ wieder kräftig aus und legte sich aufs Neue mit der Justizsenatorin an. Karin Schubert (SPD) habe der Bevölkerung in Sachen Bankaffäre zu viel versprochen, kritisierte Karge. Weder Anklagen noch Einstellungen seien in Sicht. Daraufhin bekam er einen Maulkorb verpasst. Seine Sekretärin lässt derzeit ausrichten, dass Karge „auf Wunsch der Senatorin für Presseauskünfte leider nicht zur Verfügung“ stehe.

Erst Anfang Februar hat die finanzgebeutelte Staatsanwaltschaft neue Computer bekommen, doch die Freude hält sich an der Turmstraße in Grenzen. „Zur Zeit passiert hier nichts“, heißt es. Geplante und dringend notwendige Strukturveränderungen seien nach Karges Rückkehr auf Eis gelegt worden. Ansonsten versucht man offenbar, Karge das Arbeitsleben so unbequem wie möglich zu machen. Kam der zwischen Berlin und dem Odenwald pendelnde Behördenleiter früher am Montagvormittag gerne direkt vom Bahnhof ins Büro, hat sein Chef am Kammergericht jetzt jeden Montag eine Sitzung für 9 Uhr angesetzt – ob es etwas zu besprechen gibt oder nicht. Will Karge pünktlich sein, muss er jetzt immer schon am Sonntag losfahren. Ansonsten scheint der Mann nicht sonderlich ausgelastet – jedenfalls, wenn man den Berichten der Staatsanwälte glaubt. Personalentscheidungen darf Karge demnach nur noch in Absprache treffen. Außerdem sei ihm untersagt worden, weiter Studenten im juristischen Staatsexamen zu prüfen. „Der sitzt rum und macht nichts“, sagt ein Ankläger.

Dabei war Karges Stelle längst ausgeschrieben; als Nachfolger war Oberstaatsanwalt Ralf Rother im Gespräch. Doch dann siegte der General im November vor dem Verwaltungsgericht. Gegen die gerichtlich verfügte Wiedereinstellung hat Schubert beim OVG Beschwerde eingelegt. Kern des Rechtsstreits ist die Frage, ob Karge als politischer Beamter anzusehen ist. Nur dann wäre es rechtmäßig gewesen, ihn vom Abgeordnetenhaus abberufen zu lassen. Die Antworten der Justizsprecher zum Thema Karge klingen seit Wochen gleich: Kein Kommentar zu Personalangelegenheiten.

Es heißt, die Ermittlungen zur Bankaffäre hätten Karge und die Justizsenatorin endgültig entzweit. Doch auch Schuberts Vorgänger hatten mit Karge ihre Not, da der Jurist schon kurz nach Amtsantritt 1995 mit strammen Sprüchen und „seiner Gutsherrenart“ auffiel. In der Staatsanwaltschaft habe sich schnell herumgesprochen, dass der General unter „verbaler Inkontinenz“ leide, sich „ständig um Kopf und Kragen“ rede. 1997 zum Beispiel erklärte Karge: „Objektive Regelverstöße müssen zu Sanktionen führen. Das ist überall so, von den primitiven Buschnegern bis zu den Tieren.“

Die Unzufriedenheit innerhalb der Staatsanwaltschaft mag derzeit groß sein, eine Revolution im Justizpalast aber ist nicht zu erwarten. Offen opponiert niemand gegen Karge, seine Gegner verhalten sich unauffällig-abwartend. Und seine Anhänger? „Es gibt da eine stille Solidarität einiger Kollegen“, sagt einer. Von Kollegen, die der Justizsenatorin nicht verzeihen könnten, dass der Generalstaatsanwalt im Herbst in aller Öffentlichkeit demontiert wurde. Eine solche Behandlung habe selbst Karge nicht verdient, sagen sie. „Und dem Ansehen unserer Behörde wurde damit auch geschadet.“

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