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Tag der Offenheit : Guido Maria Kretschmer über sein neues Buch
Guido Maria Kretschmer, bekannt als onkeliger Modeexperte in der „VOX“-Sendung „Shopping Queen“, hat ein Buch geschrieben.
Stand:
Herr Kretschmer, herzlichen Glückwunsch zu Ihrem neuen Buch. Wie lange haben Sie daran geschrieben?
Das ging recht fix. Erlebt habe ich den Tag vor gut einem Jahr. Im November war ich dann drei Wochen im Lanserhof in der Nähe von Innsbruck zu meiner Jahreswellness. Und da habe ich gedacht, wenn ich es jetzt nicht aufschreibe, vergesse ich es, denn ich hatte mir keine Notizen gemacht, nur die Fotos. Ich habe auch deshalb angefangen, weil ich mich selber erinnern wollte, weil es so schön war. Aber ich wollte mich nicht stressen, deshalb habe ich niemandem davon erzählt. Einen Tag, bevor ich abgereist bin, habe ich den letzten Satz geschrieben und bin dann mit dem fertigen Buch zum Verlag.
Das Buch erzählt also wirklich einen realen Tag aus Ihrem Leben, keine gesammelten Begegnungen der vergangenen Jahre?
Nein, das war wirklich alles an einem Tag. Ich hatte diesen TV-Job zum Tod der Queen in Berlin. Als ich loslief, zum Studio, sagte der Portier zu mir: „Ach, Herr Kretschmer, Sie müssen sich mal einen schönen Tag machen“. Es war ein sonniger Tag und als der Termin vorbei war, dachte ich, warum eigentlich nicht.
Dann bin ich einfach losgelaufen und es passierten diese ganzen Geschichten. Es wurde immer schöner, weil ich immer mehr spürte, wie ich doch gehalten bin durch diese ganzen Menschen. Das Gefühl, nicht allein unterwegs zu sein, das ist eine sehr existenzielle und schöne Erfahrung gewesen. Als ich angefangen habe zu schreiben, habe ich schnell gemerkt, das wird nicht einfach ein Erlebnisbericht, sondern auch eine Bestandsaufnahme.
Gab es dafür einen Anlass?
Ich glaube, ich habe damals schon gespürt, dass sich in meiner Familie grundsätzlich etwas verändert wird. Es war ein schwieriges Jahr für mich, ein Sortierungsjahr. Ich habe gespürt, dass mein Vater nicht mehr lange leben wird, dass etwas Wichtiges gehen wird. Dann wurde meine Mutter dement und ich hatte das Gefühl, mir bricht gerade der Boden unter den Füßen weg. Ich bin sehr eng mit meinen Eltern verbunden und das war wie ein unausweichliches Gewitter. Als Kind habe ich immer gedacht, dass die beiden für immer bleiben werden. Über das Buch freue ich mich im Nachhinein noch mehr, weil ich das Manuskript meinem Vater noch vorlesen konnte. Ich erzähle sehr viel von mir, das war so gar nicht geplant.
Der Supermarktbesuch geht nur mit Sonnenbrille
Ihr Mann nennt Sie am Ende des Buches „mein Menschenfänger“. Hatten Sie das Talent, Menschen für sich einzunehmen, schon immer oder kam das erst mit Ihrer Bekanntheit?
Das ist schon so gewesen, als ich noch ein Kind war. Ich fühle mich wohl mit Menschen. Ich hab sie gern nah. Ich bin interessiert an anderen und das spüren die natürlich auch. Und deshalb passiert es häufig, dass fremde Menschen mir Persönliches anvertrauen, dass sie das Gefühl haben, ich kann dafür jetzt herhalten in diesem Moment, in dem sie Nähe suchen. Ich wollte im Buch aber auch nicht Intimitäten von anderen Menschen ausplaudern, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Also haben wir die Namen geändert und dort, wo es möglich war, die Erlaubnis eingeholt.
Ich bin auch der, der an Theken abgedrängt wird, während die anderen sich schon zehn Bier bestellt haben
Guido Maria Kretschmer, Modedesigner und TV-Persönlichkeit
Wenn man Ihr Buch liest, gewinnt man den Eindruck, andere Menschen betrachten Sie beinahe als öffentliches Eigentum, so selbstverständlich wie sie sich Ihnen nähern und anvertrauen. Ist das nicht auch manchmal anstrengend?
Ich glaube schon, dass das so wäre, wenn ich ständig im öffentlichen Raum wäre. Normalerweise trage ich eine Sonnenbrille und schaue nach unten, wenn ich unterwegs bin, so komme ich ganz gut unerkannt durch. Ich mache das nicht, weil ich denke, dass ich ein Superstar bin, aber ich kann sonst nicht einfach in den Supermarkt gehen.
Das war auch in dieser Hinsicht ein außergewöhnlicher Tag, weil ich dachte, ich schaue mal, was passiert, wenn ich das weglasse, wenn ich Einladungen einfach mal annehme. Ich hoffe, dass das auch eine Inspiration sein kann, denn die Begegnungen mit unterschiedlichen Menschen, das passiert anderen ja auch, wenn sie offen sind. Diesen positiven Blick finde ich sehr wichtig in Zeiten, wo man manchmal sehr an der Spezies Mensch verzweifeln kann, wo wir Hoffnungslosigkeit, Dummheit, Irrsinn und Nationalismus erleben. Zusammenhalten und aufpassen, dass wir im Leben nicht allein unterwegs sind, das ist die einzige Chance, unseren Arsch zu retten.
Berlin klebt wie Pattex an ihm
Passiert es Ihnen nie, dass Menschen negativ auf Sie reagieren?
Ich hatte auch fast nie mit Homophobie zu tun. Ich bekomme eher Briefe, in denen sich Menschen bedanken, dass ich so frei lebe, weil ihr kleiner Neffe, der Sebastian, auch schwul ist oder so ähnlich. Ich glaube, das liegt daran, dass Leute, die unsicherer sind, auch das Gefühl haben, ich bin einer von ihnen. Ich bin auch der, der an Theken abgedrängt wird, während die anderen sich schon zehn Bier bestellt haben. Und bei dem dann irgendwann jemand aus Mitleid sagt: Willst du auch was?
In Ihrem Buch schreiben Sie, den Spaziergang haben Sie auch deshalb unternommen, weil Sie sich nicht richtig von Berlin verabschiedet haben, als Sie nach Hamburg gezogen sind. Haben Sie das Kapitel Berlin jetzt also abgeschlossen?
Nein. Ich muss sagen, nachdem ich das Buch geschrieben habe, bin ich jetzt wieder viel versöhnter mit der Stadt. Ich liebe sie fast mehr als vorher. Berlin kann ja auch sehr ruppig, grau und laut sein. Ich habe jetzt aber auch wieder eine Wohnung hier und nehme alles leichter, seitdem ich nicht mehr dauerhaft hier bin. Berlin ist ewig mit mir verbunden und auch mein Zuhause. Ich habe hier einen Rhythmus und viele Freunde und ich habe der Stadt sehr viel zu verdanken. Ich weiß nicht, ob ich wieder fest hier wohnen wollen würde, aber Berlin kriegt man nicht los, das klebt wie Pattex an mir.
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