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Ausgesungen. Das Musical „Hinterm Horizont“ lockte in den vergangenen Monaten deutlich weniger Besucher an. Es fehle eine Alternative, die für Berlin passe, heißt es von der Stage Entertainment. Das Foto zeigt Udo Lindenberg bei seinem Auftritt nach der Premiere des Stücks Anfang 2001, gemeinsam mit Jessy-Darstellerin Josephin Busch.

© Kalaene/dpa

Theaterstadt Berlin: Musicaltheater am Potsdamer Platz wird geschlossen

Bis Ende August läuft das Udo-Lindenberg-Musical, danach folgt: nichts. Die Stage Entertainment schließt das Theater. Die Berlinale aber bleibt.

Wäre die Angelegenheit, besonders für die direkt Betroffenen, nicht so traurig, könnte man von einer Ironie des Schicksals sprechen. Ausgerechnet solche Songzeilen sollen die letzten sein? „Hinterm Horizont geht’s weiter, / ein neuer Tag, / hinterm Horizont immer weiter, / zusammen sind wir stark.“ Mitunter mag solcher Optimismus angemessen sein, diesmal nicht.

Noch bis 28. August läuft im Theater am Potsdamer Platz das um Songs von Udo Lindenberg herumgestrickte Musical „Hinterm Horizont“, danach geht in dem am Marlene-Dietrich-Platz gelegenen Haus erst mal das Licht aus. Die Berliner Ost-West-Geschichte, einst ein Erfolg, leidet unter Publikumsschwund, ein neues erfolgversprechendes Stück steht aber derzeit nicht zur Verfügung, und so hat sich der Betreiber, der in Hamburg ansässige Branchenriese Stage Entertainment GmbH Deutschland, zur Schließung des Hauses entschlossen. Wieweit die Bühne danach genutzt wird, ist völlig offen, Stage Entertainment bleibt aber weiterhin Mieter des Gebäudes, der entsprechende Vertrag ist erst kürzlich, bevor die Entscheidung über das Aus gefallen war, verlängert worden. So ist offenbar gesichert, dass auch nach dem Aus fürs Musical die Berlinale dort wie gewohnt stattfinden kann. Beim Filmfestival zeigt man sich daher gelassen: „Die Berlinale hat für die Nutzung des Theaters einen mehrjährigen Mietvertrag abgeschlossen“, sagte Festivalsprecherin Frauke Greiner. „Wir gehen davon aus, dass dieser Vertrag erfüllt wird und die Premieren des Wettbewerbs auch in den kommenden Jahren im Berlinale Palast stattfinden werden.“ Der ist dann allerdings ein Haus, in dem das Leben weitgehend erloschen, das nur noch leere Hülle ist.

Etwa 100 Mitarbeiter sind betroffen

Die Entscheidung war den Mitarbeitern am Montag von Uschi Neuss, Geschäftsführerin von Stage Deutschland, mitgeteilt worden. Es habe die Kollegen sehr unvorbereitet getroffen, sagte am Mittwoch Unternehmenssprecher Stephan Jaeckel. Etwa 100 Mitarbeiter seien betroffen, vielleicht etwas weniger. Details würden jetzt mit dem Betriebsrat besprochen.

„Hinterm Horizont“ wird nun also erst mal das Ende sein. Das Stück – unter der Regie von Ulrich Waller, nach einem Buch von Thomas Brussig und mit 29 Songs von Udo Lindenberg – lief seit Januar 2011 rund 2000 Mal vor mehr als zwei Millionen Zuschauern. Lange Zeit sei es ein Erfolg gewesen, in den vergangenen drei, vier Monaten aber seien die Kartenverkäufe „deutlich gesunken“, für das Unternehmen eine „Frühwarnung“, dass ein Abgleiten in die Verlustzone drohe. Man hatte auf eine Steigerung durch weitere Werbung und die Ankündigung des Laufzeitendes für August gehofft, dies habe aber nur „ein kleines Zucken“ ausgelöst, keine Trendwende. Solch ein Abflachen des Interesses nach einer gewissen Zeit sei nicht ungewöhnlich, doch es fehle in diesem Fall eine erfolgversprechende „Anschlussbespielung“.

Das Aus liegt auch in der neuen Firmenstruktur begründet: „Stage Entertainment gehört jetzt mehrheitlich einer Heuschrecke“, hatte der Tagesspiegel im Juni 2015 gemeldet. Der 73-jährige Stage- Gründer Joop van der Ende hatte 60 Prozent seiner Anteile an den Finanzinvestor CVC Capital Partners verkauft und diesen bis September abgeschlossenen Schritt mit seinem Alter begründet. „In den kommenden fünf Jahren können wir von heute zehn Millionen Besuchern pro Jahr auf dann 20 Millionen jährlich wachsen“, so hatte CVC damals die eigenen Erwartungen an den Deal formuliert. Sinkende Zuschauerzahlen wie am Potsdamer Platz passen da schlecht.

Alles sei danach überprüft worden, Innovationen seien durchdacht, programmatische Überlegungen angestellt worden, beschrieb es Jaeckel. Am Ende stand die Entscheidung, das Haus zu schließen. Zwar erfreut sich das Unternehmen nach Jaeckels Darstellung insgesamt erfreulicher Resonanz beim Publikum, sehr viele der Musicals seien erfolgreich, mit dem seit 14 Jahren laufenden „König der Löwen“ als Spitzentitel. Für den Potsdamer Platz hat man aber keinen Ersatz. Ein Umzug eines anderswo erfolgreichen Stückes sei verworfen worden, andere Stücke, für die Stage die Lizenz besitze, befänden sich erst im Entwicklungsstadium, und neue auf dem Weltmarkt angebotene Musicals passten fürs deutsche Publikum oft thematisch und musikalisch nicht. Angesichts dieses Risikos habe man sich eben aus realistischer Einschätzung der Lage zu dem harten Schritt entschlossen. Stage erhalte schließlich keine Subventionen.

Blue Man Group und Theater des Westens sind nicht betroffen

Das Unternehmen ist in Berlin noch mit der seit elf Jahren unvermindert erfolgreichen „Blue Man Group“ am Potsdamer Platz und dem auf Tourneen spezialisierten Theater des Westens in der Kantstraße präsent. Dort läuft ab 24. Januar wieder „Ich war noch niemals in New York“ mit Songs von Udo Jürgens, im April gefolgt von „Tanz der Vampire“ nach dem Film von Roman Polanski. Die Vorverkäufe zu dem Grusical liefen glänzend, sagte Jaeckel. Stage glaube weiter an den Berliner Markt, wolle am Potsdamer Platz keineswegs den Kopf in den Sand stecken, aber was am Ende in dem vorerst leeren Haus stattfinden könnte, vermochte er nicht zu sagen.

„Hinter Horizont“ fand seine Zuschauer auch unter Berlinern, etwa ein Drittel waren es. In der Hauptsache aber kamen Touristen. Je ein Drittel entfielen auf Gäste aus Nord- und Ostdeutschland, während Lindenbergs Songs im Südwesten nur vergleichsweise wenig interessierten. „Hinterm Horizont“ mit seiner Verbindung aus Mauergeschichte und populären Songs ist ein Stück, das jedem Berliner Tourismuswerber gefallen muss, es taucht denn auch auf der Homepage von Visit Berlin auf. Man bedauere, dass das Stück im August zu Ende gehe, sagte Geschäftsführer Burkhard Kieker. Im Vergleich zu anderen Städten, in denen ein Musicaltheater das Kulturangebot dominiere, sei Berlin dafür angesichts der Überfülle an Kultur kein einfacher Standort. Den Potsdamer Platz hält Kieker aber trotz des Aus für das Musicaltheater für einen exzellenten Standort. Auf die Touristenzahlen, so seine Erwartung, dürfte sich die Leerstelle am Potsdamer Platz ohnehin nicht auswirken. Zwar kommen rund 80 Prozent wegen der Kultur, aber davon gibt es eben auch ohne ein Musical weniger mehr als genug.

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