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In Berlin fand am Wochenende die Schach-Bundesliga im Hotel Maritim statt (Symbolbild).

© PNN / Ottmar Winter

Trendsport: Warum Berlin das Schach-Mekka ist

Immer jünger, immer fitter, immer weiblicher: Die Schachszene in der Stadt boomt. Zu den zentralen Bundesligarunden kamen nun die Weltstars.

Ist das noch Fest oder schon Festival? Drei Tage lang war Berlin vom Schachfieber erfasst. Ehemalige Weltmeister, der amtierende Vizeweltmeister Fabiano Caruana sowie Dutzende internationale Großmeister trafen im Festsaal des Hotels „Maritim“ aufeinander. Hunderte von Zuschauern, am Samstag mehr als tausend, drängten sich um die Tische. Nur das Klacken der Uhren war zu hören, manchmal ein Räuspern. Ansonsten herrschte gespannte Stille, Beine wippten vor Nervosität unter den Tischen, einige Köpfe glühten rot vor Anspannung.

Hier kam die Weltelite des Königlichen Spiels zum stärksten Mannschaftskampf, der je in Deutschland stattfand, zusammen, zum Höhepunkt der Bundesliga. Bei den Frauen wurde die Siegermannschaft ermittelt, bei den Herren die womöglich vorentscheidenden Runden 9 bis 11 von insgesamt 15 gespielt. 72 Top-Spielerinnen plus 112 Top-Spieler aus aller Welt: Geballte Geisteskraft und ein Hauch von Dramatik durchwehten den Saal.

Besser gesagt: die Säle. Denn das Beiprogramm war kaum weniger ambitioniert. Am Samstag wurde parallel zur Bundesliga ein Jugendschnellschachturnier mit 200 Teilnehmern im Alter von 6 bis 25 Jahren ausgetragen. „Schach ist eine boomende Trendsportart“, sagt Olaf Sill, Jugendwart des Berliner Schachverbandes. Mindestens zweimal im Monat gehen Anfragen von Grundschulen oder Gymnasien bei ihm ein, die bei der Gründung von AGs unterstützt werden wollen.

Im Kinder- und Jugendbereich hat sich in Berlin die Zahl der Spieler in wenigen Jahren verdoppelt. In der bip-Grundschule in Weißensee und dem Käthe-Kollwitz-Gymnasium in Prenzlauer Berg ist Schach reguläres Unterrichtsfach. Die Nachfrage steigt so stark, dass geschulte Trainer und Pädagogen fehlen.

Hunderte Zuschauer fiebern bei den Turnieren mit.
Hunderte Zuschauer fiebern bei den Turnieren mit.

© Doris Spiekermann-Klaas

Schach ist mehr als Konzentration

Immer jünger, immer fitter, immer weiblicher, immer mehr – dahin geht die Entwicklung. Einige Teilnehmer des Jugendschnellschachturniers sind so jung und so klein, dass sie von ihren Stühlen aufstehen müssen, um eine Figur zu ziehen. „Die Eltern heute wollen, dass ihre Kinder möglichst früh ein Instrument lernen, in einen Sportverein gehen – und eben Schach lernen“, sagt Sill. Musik, Körper, Konzentration: Das ist das Erziehungsideal.

Doch Schach ist mehr als Konzentration. Wie kaum eine andere Sportart ebnet es Alters-, Geschlechts- und Herkunftsunterschiede ein. Das Jugendschnellschachturnier ist nicht nach Jungen und Mädchen getrennt. Es kann passieren, dass ein achtjähriges Mädchen einen 22-jährigen Mann schlägt.

Der 14-jährige Vincent Keymer, Deutschlands größtes Schachtalent, der stetig bis in die Weltspitze vordringt, spielt längst nebenan, in der Bundesliga. Kein Profi würde den Fehler machen, Keymer zu unterschätzen. Dasselbe gilt für die 34-jährige Elisabeth Pähtz aus Erfurt, die 2002 Jugendweltmeisterin und 2005 Juniorenweltmeisterin geworden war.

Just vor einem Jahr war Berlin schon einmal die Welthauptstadt des Schachs. Im Kühlhaus, einer ehemaligen Kühl- und Lagerhalle in der Nähe des Gleisdreiecks, die heute als Veranstaltungsort dient, trafen sich die acht besten Schachspieler der Welt, um den Herausforderer von Weltmeister Magnus Carlsen zu ermitteln. Damals gewann der schmächtige Fabiano Caruana, der dann allerdings im WM-Finale gegen Carlsen knapp im Stechen unterlag.

Jetzt ist Caruana wieder in der Stadt, er spielt für den Bundesligaverein Baden-Baden. Neben ihm liegen ein Mars, ein Twix und eine Banane. Nervennahrung. Die Partie wird auf eine große Leinwand projiziert. Umringt wird er trotzdem von Kiebitzen, die bis auf einen Meter an seinen Tisch herankommen. Schach zum Anfassen.

Am Ende setzt Caruana sich durch

Nach seiner Partie am Samstag spielt Caruana am Abend auch noch das „2. Internationale Emanuel Lasker Blitzturnier“ mit, das bis kurz vor Mitternacht dauert. Die Bedenkzeit beträgt drei Minuten pro Spieler und Partie plus zwei Sekunden pro Zug. Unter 18 Kronleuchtern messen sich 300 internationale Kontrahenten in 16 Blitzpartien, am Ende setzt Caruana sich durch.

Benannt wurde das Blitzturnier nach dem ehemaligen deutschen Schachweltmeister Emanuel Lasker, der 1868 in Berlinchen in der Neumark geboren wurde und mit elf Jahren nach Berlin zog. Den Titel eines Schachweltmeisters behauptete Lasker 27 Jahre lang (1894 bis 1921) und damit länger als jeder andere Schachweltmeister.

Als Laskers Erbe gilt bis heute der inzwischen 70-jährige Robert Hübner. Der promovierte Papyrologe gehörte in den siebziger und achtziger Jahren konstant zu den 20 weltbesten Spielern. Am Freitag trat Hübner in Berlin simultan gegen 25 Spieler an.

Langsam ging die Schachlegende von Brett zu Brett, schaute kurz und zog dann. 18 Partien gewann er, zwei gingen verloren, fünf endeten Remis. Einen Tag später hielt er vor mehr als hundert zumeist männlichen Zuhörern einen Vortrag über „Momente aus meinen Kämpfen um die Qualifikation zur Weltmeisterschaft“. Organisator und Gastgeber Jörg Schulz von den „Schachfreunden Berlin“ ist zufrieden: „Der Hübner zieht immer noch“.

Die Schach-Bundesliga ist eine der stärksten Ligen der Welt. Viele Vereine haben Großmeister unter Vertrag. Pro Einsatz und Partie kostet sie das ab 5000 Euro aufwärts. Von den Einnahmen gut leben können allerdings nur Spitzenspieler mit einer Elo-Zahl von 2600 und mehr. Das sind nicht viele. Caruana steht aktuell bei 2828. Sein Verein Baden-Baden wird sehr großzügig von der „Grenkeleasing AG“ gesponsert" ist. Berlins Vereine suchen noch entsprechend zahlungsfreudige Mäzene, um sich Hoffnungen auf den Titel machen zu dürfen.

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