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Berlin: Ulrich Wickert (Geb. 1927)

Der Glaube: ein nie zu stillendes Grundbedürfnis nach Liebe und nach Trost.

Goethe nannte es das „leidige Marterholz“, das Kreuz, an dem Jesus Christus starb, und er selbst, der „alte Heide“, konnte dem ganzen „frömmelnden Kunstwahnsinn“ der christlichen Religion nicht viel abgewinnen. Auch dem Gläubigen, so er mit Kinderaugen sieht, fällt es nicht leicht, all die Torturen der Märtyrer ohne Weiteres mit der „frohen Botschaft“ Christi in Einklang zu bringen. Anders bei den Mariendarstellungen. Ob als trauernde Pietà oder triumphierende Himmelsgöttin – die Gestalt der Mutter Gottes hat auf viele Menschen eine viel unmittelbarere Wirkung als das Kreuz. Was Pastoren zuweilen zu der Mahnung veranlasst, erst das Tabernakel, den Aufbewahrungsort der geweihten Hostien aufzusuchen und dem Leib Christi zu huldigen, bevor sie vor dem Marienaltar im Gebet niedersinken. So geschah es auch Ulrich Wickert beim Besuch der Liebfrauenkirche in Trier.

Was ist an Maria so sinnfällig zu erleben, was an Christus nicht ohne weiteres Nachdenken zu begreifen ist – diese Frage trieb Ulrich Wickert lebenslänglich um. Dabei war er gar kein Katholik.

Eigentlich wollte er Musiker werden, doch die Erlebnisse der Kriegsgefangenschaft bewogen ihn, Pastor zu werden. Ruhelos im Glauben studierte er Philologie, Geschichte und Philosophie, habilitierte in Kirchengeschichte, lehrte als Professor für Theologie in Tübingen und Berlin. Streng in seiner Art der methodisch disziplinierten Religionslehre, kundig in allen Fragen der Dogmatik verharrte er nicht in Orthodoxie, sondern blieb zeitlebens aufmerksam für die Erstarrung des Religiösen im Ritus, die Entzweiung der Gläubigen aller Weltreligionen in blutigen Grabenkämpfen.

Und er suchte nach Lösungen. Dass er als Protestant so vehement für den Marienglauben eintrat, brachte ihm allerdings nicht nur Freunde ein, aber er beharrte darauf, dass die Erneuerung der Kirche nicht nur im Zeichen des Kreuzes, das in dunkleren Zeiten allzu oft in Blut getaucht worden war, sondern auch im Namen der Mutter Gottes geschehen müsse: Mit Maria tue sich „der Horizont der Kirche im Ganzen“ auf.

Das, was Spötter als die Einfalt des Glaubens brandmarken, ist zugleich seine größte Stärke: Die ergreifende Naivität des Hoffens. Ob in Lourdes oder in Tschenstochau, auf dem Petersplatz in Rom oder den kleinen ländlichen Wallfahrtskirchen – was sich in den Gesichtern der Menschen dort spiegelt, ist die Hoffnung auf Gehör.

Die Kirche hat viele Heilige, viele Stimmen, sie alle verkörpern den Glauben, aber nur wenige lassen die Menschen wirklich aufhorchen.

Eine dieser Stimmen war die der Therese von Lisieux, 1873 geboren, eine Karmeliterin, die bereits mit 25 Jahren an Tuberkulose starb. Als Missionarin wollte sie auf allen fünf Erdteilen gleichzeitig wirken – aber ihre Kräfte ließen es nicht zu. Ihr blieb nur das Hoffen für andere. „Wer das Ganze, das Große, wer alles wählt, der bekommt es, weil er so klein ist.“ So lehrte sie in ihren Briefen und Schriften „den kleinen Weg der Liebe“, die unbedingte Zuversicht, im Leben durch Gebete wirken zu können – und im Himmel durch die Kraft Gottes: „Nach meinem Tod werde ich Rosen regnen lassen …“

Auf ihrem Krankenbett gestand sie verzagt, der liebe Gott werde mit ihr in ziemliche Verlegenheit geraten, wenn er sie nach ihren Werken belohnen wolle. Sie habe nämlich keine. Es werde ihm nichts übrig bleiben, als ihr nach seinen eigenen Werken zu vergelten, nach dem, was er für sie getan hat.

Ulrich Wickert war ein akademischer Gefolgsmann der Therese von Lisieux, er widmete ihr zahlreiche Veröffentlichungen, weil er in ihr die Kraft des Glaubens am reinsten, am anziehendsten verkörpert fand.

Glaube geschieht nicht durch Herunterbeten von Glaubenssätzen, ist nicht auf Konzilen in Vorschriften verhandelbar, Glaube ist ein nie zu stillendes Grundbedürfnis nach Liebe – und Trost.

Darum rührt Maria so viele Betrachter an, denn zuallererst ist sie die Mutter eines Sohnes, der unter grausamen Umständen zu Tode kam. Und wo immer sich Menschen zusammenfinden, um ihrer zu gedenken, ist das zu spüren, die Kraft des Leidens und des Hoffens, dass das Leid zu etwas gut sei.

Ulrich Wickert erinnert in einem seiner Bücher daran, dass der Philosoph Heidegger auf Wanderungen, wenn er zu Kapellen kam, stets Weihwasser nahm und eine Kniebeuge machte – wiewohl er doch längst von den kirchlichen Dogmen Abstand genommen hatte. Darauf angesprochen entgegnete er nur: „Wo so viel gebetet worden ist, da ist das Göttliche in einer ganz besonderen Weise nah.“

Gottesglauben ist nicht wirklich vonnöten, um das Hoffen auf Gottes Wirken nachzufühlen. Dieses Etwas, das Trost gibt, findet jeder in den Mariendarstellungen, selbst ein „alter Heide“: „Heute“, notierte Goethe in sein italienisches Tagebuch angesichts einer Marienfigur, „fiel mir recht auf, wie doch eigentlich der Mensch das Unsinnige, wenn es ihm nur sinnlich vorgestellt werden kann, mit Freuden ergreift ... Was die Mutter Gottes für eine schöne Erfindung ist, fühlt man nicht eher als mitten im Catholicismus. Es ist ein Gegenstand, vor dem einem die Sinne so schön stillstehn, … über den man sich so freut und bey dem man so ganz und gar nichts dencken kann; daß er recht zu einem religiosen Gegenstande gemacht ist.“ Gregor Eisenhauer

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