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Attila Kiss hat das „Konzept der Zwischennutzung“ aus Berlin nach Budapest exportiert.

©  Thilo Rückeis

Ungarn: Partnerland der Grünen Woche: Kultureller Austausch an der Theke

Der Ungar Attila Kiss hat in Budapest mit Uni-Freunden ein berühmtes Kulturzentrum gegründet. Und in Berlin ein Café und einen Konzertclub.

Die Grüne Woche läuft, Partnerland ist Ungarn, das gerade wieder Schlagzeilen macht. Dorthin pflegt Berlin ein besonderes Verhältnis. Eines, zu dem Fluchten gehören, Sehnsüchte, Schlenkis und Pál Dárdai. Wir waren der ungarischen Küche auf der Spur oder haben mit jungen Ungarn über Berlin gesprochen.

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Puszta-Folklore? Bitte nicht. Und dass er sein Café am Nordostzipfel des Boxhagener Platzes in Friedrichshain ganz zu Beginn, im Jahr 2008, mal „Kaffeehaus Budapest“ nannte, findet Attila Kiss auch überholt. An der Ecke zur Gärtnerstraße prangt in neonblau leuchtender Schnörkelschrift das ungarische Wort „Szimpla“, also „Einfach“, über dem Eingang. Das passt viel besser zu seinem Lokal und zu ihm, zu dieser Geschichte, die in Berlin und in Budapest spielt und die sich keine Tourismusagentur besser hätte ausdenken können, aber die nun mal wahr ist.

Attila Kiss – Cafébetreiber, Konzerthausbesitzer, Craft-Beer-Koryphäe. Der Mann hat in seinen 42 Lebensjahren vieles bewegt, an der Spree und an der Donau. Ein zurückhaltender, schmaler Typ mit freundlicher, leiser Stimme. An diesem kalten Januartag steht er im schlauchförmigen Konzertclub „Badehaus“ auf dem RAW-Gelände. Es ist seine zweite Berliner Eröffnung nach dem Café Szimpla. Hier, wo sich einst die Arbeiter des Reichsbahnausbesserungswerks den Dreck einer Schicht abschrubbten, bietet er seit 2011 das Gegenprogramm zum aufgekratzten Party-Rave-Wahnsinn der umliegenden Clubs. Also: kleine Konzerte, Newcomer bis mäßig bekannte Bands, Feten mit Indie-Hits und Oldschool-Hip-Hop. Hier und da spielt eine ungarische Kombo.

Es ist seine Art des kulturellen Austauschs, erklärt Kiss. Er kann es nicht lassen, seit er Mitte der 1990er Jahre für zwei Studienjahre nach Berlin kam. „Die Verbindung ist nie wieder abgebrochen.“ An der Humboldt-Universität studiert er damals Ethnologie, und schon allein darum interessiert ihn, was er überall in der Stadt beobachten kann: „Das Konzept der Zwischennutzung war sehr verbreitet und hat mir gezeigt, dass eine Bar nicht unbedingt schickimicki sein muss.“ Zurück in Budapest versucht er das mit einigen Uni-Freunden umzusetzen.

Danach breiten sich die Budapester Ruinenkneipen im ganzen Zentrum aus

Warum auch nicht? Zu jener Zeit ist die Stadt gepflastert mit leer stehenden Häusern. In der Kertész utca 48, der Budapester Gärtnerstraße, eröffnen sie ein kleines Café, es ist das erste „Szimpla“. Nach einiger Zeit finden sie eine größere Location, eine stillgelegte Ofenfabrik im alten jüdischen Viertel der Elisabethstadt.

„Szimpla Kert“ nennen sie das neue Projekt, „einfacher Garten“ – doch der Name ist eine maßlose Untertreibung für das, was folgt. Aus dem Haus wird mit den Jahren ein riesiges Kulturzentrum: Barbetrieb, Konzerte, Tonstudio, Bistro, Bauernmarkt, Fahrradwerkstatt, diverse Festivals, Filmvorführungen und Filmverleih, Bildungs- und Sozialprojekte finden hier ein Zuhause. Das „Szimpla Kert“ begründet das Phänomen der Budapester Ruinenkneipen, die sich danach im ganzen Zentrum ausbreiten. Der Prototyp wird legendär. Es gibt kaum einen Reiseführer, kaum einen Artikel über das touristische Budapest, in dem die wild dekorierte Institution mit dem Trabant im Innenhof und den verwinkelten Räumen nicht auftaucht.

„Mehr als eine Million Besucher kommen da jährlich vorbei“, erzählt Attila Kiss. Und es werden wohl noch mehr, denn Budapest boomt. Die „New York Times“ schrieb gerade begeistert vom „stylischen Aufstieg“ der Stadt, in der Mieten immer teurer und Wohnraum immer knapper wird – wie in Berlin, nur eben ein paar Jahre später. Hat das „Szimpla Kert“ dazu beigetragen? Attila Kiss schaut ein wenig betrübt. „Das kann man sicher so sagen.“ Deshalb hofft er, dass es Budapest auch in einem weiteren Punkt Berlin nachtut: Denn noch steht die Bewerbung der ungarischen Hauptstadt für Olympia 2024.

Kultureller Austausch an der Theke

Vor neun Jahren kam Attila Kiss schließlich mit Berlin-Sehnsucht und schwangerer deutscher Freundin zurück. Er machte, was er gut konnte, und eröffnete das „Szimpla“ in Friedrichshain, eine ruhige, vergleichsweise kleine Dependance zum Budapester Monsterprojekt. Seine alten Partner sind beteiligt, und auch er hat noch Anteile am Mutterschiff in der Budapester Elisabethstadt. Von Zwischennutzung ist keine Rede mehr, man ist hier wie dort längst etabliert und fest eingemietet.

Im Berliner Café, das erzählt Kiss, haben schon Bands gespielt, die in Ungarn große Säle füllen. Allein darum wollte er das alte Badehaus der RAW-Arbeiter als Konzertraum nutzen. An beiden Orten treibt der Weddinger den kulturellen Austausch an der Theke voran, denn das Craft Beer kommt aus Ungarn, auch mal aus Polen oder Tschechien. Und in Budapest, am ersten Standort in der Gärtnerstraße, verkauft das „Szimpla“-Team – na, was wohl, fragt er und grinst schelmisch: „Berliner Craft Beer natürlich.“ Die ersten Craft-Beer-Festivals in Ungarn und Berlin stampfte er mit Freunden aus dem Boden, in Kreuzberg gründete er die Kneipe „Hopfenreich“ mit. „Dabei ist Bier an sich keine große Leidenschaft von mir, ich bin da einfach so reingerutscht.“

In Friedrichshain kommen immer wieder Berliner Ungarn vorbei, die ihren deutschen Freunden zeigen wollen, wie ungarisches handgemachtes Bier schmeckt. Ein Exilanten-Treffpunkt sei das „Szimpla“ aber kaum, das „Badehaus“ erst recht nicht, meint Attila Kiss. Im Café kämen eher mal ungarische Touristen vorbei. „Die stellen dann überrascht fest, dass Szimpla hier etwas ganz anderes ist.“ So etwas wie in Budapest könnte er in Berlin auch gar nicht aufbauen, meint Kiss. Das Überangebot, das sich in seiner Heimat wohl erst noch entwickelt, ist in Berlin längst zu groß.

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