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Berlin: Unter Tränen

Abschied von St. Agnes

Der Wein an der Betonmauer von Sankt Agnes färbt sich schon rot. Spätsommer- Wehmut hängt in der Luft, als die Kirchenglocken das letzte Mal zum katholischen Gottesdienst in der Alexandrinenstraße rufen. Von außen hat die von Architekt Werner Düttmann erbaute Kirche den Charme eines Oberstufenzentrums der 60er Jahre, innen wirkt sie unten durch viel Holz fast wohnlich und darüber durch Beton und Glas schlicht und erhaben.

„So voll wie heute ist es sonst nur Karfreitag“, sagt Pfarrer Ulrich Kotzur zur angespannt, aber gefasst wirkenden Gemeinde, „und deshalb schließen wir diese Kirche.“ Sankt Agnes ist auch baulich ein Sanierungsfall und als Gemeinde seit einem Jahr mit St. Bonifatius in der Yorckstraße fusioniert.

Die letzte Messe in Sankt Agnes soll keine Trauerfeier sein, sagt Pfarrer Kotzur. Die große Ministranten-Besetzung und der Kirchenchor stimmen festlich, die Lieder beschwören die Gemeinschaft der Christen. Pfarrer Kotzur versucht in seiner Predigt, den Gemeindemitgliedern Mut zu machen. Die Gesellschaft brauche eine lebendige, konzentrierte Kirche statt vieler kleiner Gemeinden. „Kommen Sie nächsten Sonntag bitte, bitte, bitte nach St. Bonifatius oder in die Johannes Basilika. Gehen Sie nicht fort.“ In der bewegten Stille, die diesem Appell folgt, tasten die Hände alter Damen nach den Taschentüchern. Und bei der Kollekte, die für den Umzug nach Bonifatius gesammelt wird, reichen einige den Korb demonstrativ weiter, ohne etwas hineinzulegen.

Im Hof sind Tische für den Kaffee gedeckt, Pfarrer Kotzur freut sich, dass viele beim Umzug dabei sind. In der Nähe steht ein Ehepaar, dass enttäuscht über die Entscheidung des Erzbistums ist und die Gemeinde wechseln will. Auch jetzt fließen hier und da Tränen. Ein Termin für die Entwidmung der Kirche steht noch nicht fest. Wenn ein Investor für die weitere Nutzung gefunden ist, kommen Altar, Kruzifix und Tabernakel heraus, und Sankt Agnes ist frei für die profane Zukunft.

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