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© dpa

Geschichte: Unterschiedliche Ergebnisse: Wieviele Opfer gab es an der Mauer?

Erschossen, verblutet, ertrunken: Forscher dokumentieren 136 Todesopfer in Berlin. Das Mauermuseum hingegen registriert 245 Fälle.

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Berlin - Eigentlich ist es ein unwürdiges Feilschen um Zahlen. Und eigentlich will es niemand der Beteiligten. Denn jeder einzelne Tote an Mauer und Stacheldraht war einer zu viel, hinter jedem Fall verbirgt sich unermessliches Leid. Dennoch ist der Überblick darüber, wie viele Menschenleben das mörderische Grenzregime forderte, unverzichtbarer Teil der Aufarbeitung deutsch-deutscher Geschichte. Seit Jahren wird um die Zahl der Mauertoten gestritten. Verschiedene Zählungen mit unterschiedlicher Quellenbasis sorgten für Verwirrung. Deshalb förderte die Bundesregierung ein mehrjähriges Projekt, das die Gedenkstätte Berliner Mauer und das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) gemeinsam realisierten: „Die Todesopfer an der Berliner Mauer 1961–1989“. Heute wird das Ergebnis als Buch in der Mauergedenkstätte Bernauer Straße vorgestellt.

Das Forschungsprojekt dokumentiert insgesamt 136 Todesopfer an der Berliner Mauer seit dem 13. August 1961. Die Wissenschaftler legten zwei Bedingungen zugrunde: Es musste ein Fluchthintergrund oder ein zeitlicher und räumlicher Zusammenhang des Todes mit dem Grenzregime an der Mauer gegeben sein.

So zählten sie zu den Maueropfern 96 DDR-Flüchtlinge, die beim Versuch, die Grenze zu überwinden, erschossen wurden, verunglückten oder sich selbst das Leben nahmen. Hinzu kamen 30 Menschen aus Ost und West, die, ohne dass sie Fluchtabsichten hatten, erschossen wurden oder verunglückten. Schließlich zählen acht DDR-Grenzsoldaten hinzu, die durch Fahnenflüchtige, eigene Kameraden, Flüchtlinge, Fluchthelfer oder West- Berliner Polizisten im Dienst getötet wurden. Die meisten Opfer waren junge Männer zwischen 16 und 30 Jahren, mehr als die Hälfte ließen ihr Leben bereits in den ersten fünf Jahren nach dem Mauerbau. Die Fälle werden nicht nur aufgelistet, sondern in ihrem Ablauf nachgezeichnet.

Die Forscher hatten auf der Basis von Todeslisten, Archiven und anderen Quellen sowie Zeitzeugengesprächen zu insgesamt 575 Fällen recherchiert. Dabei konnten 164 Verdachtsfälle nach ihren Kriterien als Todesopfer an der Berliner Mauer ausgeschlossen werden. Das waren unter anderem Menschen, die Schüsse oder Festnahmen überlebt hatten, irrtümlich aber auf Todeslisten aufgetaucht waren. In 16 weiteren Fällen konnte ein Zusammenhang mit dem Grenzregime nicht eindeutig geklärt werden. Dabei handelte es sich um Wasserleichen, deren Identität überdies zum Teil nicht bekannt war. In acht Verdachtsfällen ist die Prüfung noch nicht abgeschlossen, weil keine Unterlagen auffindbar waren.

Bereits am Montag hatte die Leiterin des Mauermuseums am Checkpoint Charlie, Alexandra Hildebrandt, das neueste Ergebnis ihrer Recherchen vorgelegt. Im Unterschied zum Forschungsprojekt von ZZF und Mauergedenkstätte zählt Hildebrandt jedoch die „Toten des Grenzregimes“ seit 1945 und bezieht die Toten an der innerdeutschen Grenze ein sowie etwa Opfer, die nach Fluchtversuchen über Drittländer oder über die Ostsee gestorben sind. In ihrer Aufstellung kommt sie auf 1347 Grenztote. Sie aktualisiert die Liste jährlich und setzt damit die Arbeit ihres verstorbenen Mannes, des Museumsgründers Rainer Hildebrandt, fort. „Die Liste ist noch immer unvollständig“, sagte sie. Es gebe viele ungeklärte Fälle, die noch zu recherchieren seien.

Ihre Zahl der Mauertoten unterscheidet sich erheblich von der des ZZF: Sie zählt 245 Tote. Darin einbezogen sind auch Selbstmorde von DDR-Grenzern und Leichenfunde in Grenzgewässern, auch wenn es sich nicht zweifelsfrei um Flüchtlinge handelte. Die erste Mauertote ist nach Hildebrandts Zählung nicht Ida Siekmann, die aus dem dritten Stock ihrer Wohnung in der Bernauer Straße in den Westen sprang und dabei starb, sondern ein DDR-Offizier, der Selbstmord beging.

Doch nicht nur Fluchtversuche endeten häufig tödlich. Auch bei Besuchsreisen kamen immer wieder Menschen an den Grenzübergangsstellen ums Leben. Das ZZF nennt 251 Fälle, bei denen überwiegend ältere Menschen bei Kontrollen starben, zumeist an den Folgen eines Herzinfarkts. Mehr als 200 waren es allein im „Tränenpalast“ in der Friedrichstraße. Auch Hildebrandt zählt solche Fälle. Sie kommt jedoch nur auf 38 Personen, die dort seit dem 13. August 1961 ihr Leben ließen. Die weitaus höhere Zahl des ZZF ist offenbar darauf zurückzuführen, dass die Forscher Zugang zu Unterlagen der Transportpolizei hatten.

Die Todesopfer an der Berliner Mauer 1961–1989.

Ch. Links Verlag,

524 Seiten.

Hg.: Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, Stiftung Berliner Mauer.

24, 90 Euro.

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