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Wau! Hunde am Ufer des Obersees in Alt-Hohenschönhausen.

© Jens Mühling

Unterwegs in Berlins Ortsteilen: Alt-Hohenschönhausen: Wo die Liebe nicht rostet

96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf. Mühling kommt rum, Teil 2: Alt-Hohenschönhausen.

Das Erste, was mir ins Auge sprang, als ich in Alt-Hohenschönhausen aus der Tram stieg, war ein Dönerladen namens „Eleganz-Bistro“. Ich zückte mein Handy. Das war ein Fehler.

„Alter, was fotografierst du? Hör auf!“

„Äh... mir gefällt euer Name, ich fotografiere nur das Schild...“

„Lösch die Fotos!“

„Was? Warum denn?“

„Alter, lösch sie!“

Der Dönerverkäufer wirkte sehr angespannt, weshalb ich die Bilder am Ende tatsächlich löschte. Als ich später bei Google Maps nach einer Aufnahme der Ladenfront suchte, stellte ich fest, dass das „Eleganz-Bistro“ noch recht neu sein muss. Auf dem Google-Foto existiert es nämlich noch nicht, stattdessen residiert an seiner Stelle das „Eiscafé Melodram“.

Zwei Hostels haben sich im Schatten der Knastmauern angesiedelt

Der Quarkkeulchenverkäufer an der Tramhaltestelle konnte mir keine Ausflugstipps geben. „Bin nicht von hier“, knurrte er. Von Alt-Hohenschönhausen kannte er nur den winzigen Ausschnitt, den er aus seiner Bude sah, tiefer hatte er sich nie in den Ortsteil hineingewagt. Wäre ich er, ich würde es genauso machen. Der Ausblick aus der Quarkkeulchenbude muss zu den hässlichsten Ansichten Berlins gehören. Links ragen Plattenbauten ins Bild, rechts ein tristes Einkaufszentrum, gegenüber liegt das „Eleganz-Bistro“. Schwer zu glauben, dass hier einst das Zentrum eines mittelalterlichen Dorfs lag, bevor die zukunftsfrohen Städteplaner der DDR es hinwegpflügten.

Dann ist da noch das andere DDR-Erbe: der Stasi-Knast, der inzwischen Alt-Hohenschönhausens beliebteste Sehenswürdigkeit ist. Von der Tramhaltestelle an der Konrad-Wolf-Straße fließt ein steter Schulklassenstrom zur Gedenkstätte – so viele junge Leute sieht man sonst selten im Kiez. Gleich zwei Hostels haben sich im Schatten der Knastmauern angesiedelt, dazwischen liegt das Burger-Restaurant „Kittchen“. Ja, genau, mit zwei „tt“ – witzig, oder?

Geht man nicht in die Gedenkstätte hinein, sondern um sie herum, landet man in der ziemlich bizarren Lichtenauer Straße. Auf der einen Seite: Mauern, Wachtürme, Stacheldraht. Gegenüber: Einfamilienhäuser, erkennbar neu gebaut, mit eiszapfenförmigen Lichterketten an den Giebeln und getrimmten Buchsbäumen in den Vorgärten. Was wohl in den Immobilienprospekten stand, mit denen dieses Bauland beworben wurde? Filetgrundstücke in historischer Bestlage? Exklusiver Blick auf ein Berliner Monument? Sichern Sie sich jetzt Ihr Stück Freiheit?

Wo die Hohen schön hausen - und die Niederen hässlich

Besser gefielen mir die alten Stadtvillen am Ufer des Orankesees, wo ich mit einem Spaziergänger ins Gespräch kam. „Hohenschönhausen“, witzelte er, „ist da, wo die Hohen schön hausen – und die Niederen hässlich!“ Noch besser gefiel mir das kleine Naturschutzgebiet am Faulen See. In den Bäumen klopften Spechte, eine Aussichtsplattform ragte ins Wasser, am Geländer hatten Liebespaare Vorhängeschlösser befestigt. Manche Schlösser waren in Plastiktüten gehüllt. Vermutlich, damit die Liebe nicht rostet.

Bevor ich heimkehrte, entdeckte ich vor der alten Taborkirche im Ortszentrum ein Plakat. Es zeigte Springerstiefel, aus denen Blumen wachsen. Als ich es sah, dämmerte mir, warum die Dönerverkäufer hier nervös werden, wenn Unbekannte ihren Laden fotografieren.

Fläche: 9,33 km² (Platz 38 von 96)

Einwohner: 46 139 (Platz 26 von 96)

Durchschnittsalter: 43,4 (ganz Berlin: 42,7)

Lokalpromis: Paul Schmidt (Erfinder der Taschenlampe und der Trockenbatterie)

Gefühlte Mitte: Taborkirche

Diese Kolumne erschien am 18. März 2017 im Tagesspiegel-Samstagsmagazin Mehr Berlin.

Alle Folgen zum Nachlesen: tagesspiegel.de/96malberlin.

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