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Berlin: „Verflucht – wollt ihr D greifen!“

Mozart hat sich bei seinem einzigen Berlin-Besuch über die hiesigen Musiker sehr geärgert. Heute besitzt die Stadt die größte Sammlung seiner Autographen

Das Mozart-Jahr hat bald seinen ersten Paukenschlag: Am 27. Januar feiert die Musikwelt den 250. Geburtstag des Salzburger Genies. Unsere Opernhäuser würdigen den Komponisten mit Aufführungen und Sonderkonzerten, in der Staatsoper greift Maestro Barenboim am Jubiläumstag zum Taktstock und in die Tasten. Sogar im Wintergarten-Varieté spielt ein klassisches Orchester die Musik des Meisters, und dazu gibt’s „Mozart am Trapez“.

Berlin und Mozart – eine innige Liebesbeziehung? Wir haben sechs Mozartstraßen, alle am Rande, in Biesdorf, Köpenick, Lankwitz, Lichtenrade, Mahlsdorf und Wilhelmsruh. Kein Berliner kann sich, jedenfalls laut Telefonbuch, mit dem Namen des Salzburgers schmücken. Ein eigenes Denkmal hat er auch nicht, sondern teilt sich den Sockel am Rande vom Goldfischteich im Tiergarten mit Beethoven und Haydn – zur Zeit werden die Porträts restauriert. Die Schokoladenkünstler von Fassbender & Rausch am Gendarmenmarkt können zwar nicht mit Salzburger Mozartkugeln dienen, aber „wir haben eigene Mozart-Pralinen“, sagt die Verkäuferin stolz: „Pistazien, Marzipan und Nougat, mit edler Schokolade umhüllt“.

Im Schauspielhaus erzählt uns Musikdramaturg Dietmar Hiller jene Anekdote vom einzigen Berlin-Besuch des Herrn Mozart, der am 19. Mai 1789 wahrscheinlich beim Trompeter Moeser am Gendarmenmarkt Logis bezieht. Am Abend wird im Königlichen Nationaltheater „auf lautes Begehren“, wie der Theaterzettel vermerkt, „Belmonte und Constanze“ gegeben. Das Singspiel, das wir als „Entführung aus dem Serail“ kennen, steht seit sieben Monaten im Spielplan, jedenfalls kommt der Komponist unangemeldet in den Vor-Vorgängerbau des Schauspielhauses, blieb am Eingang zum Parterre stehen, um zuzuhören. „Aber bald freuet er sich zu sehr über den Vortrag einzelner Stellen“, erinnert sich Musikkritiker Friedrich Rochlitz, „bald wird er aber auch unzufrieden mit den Tempos, bald machen ihm die Sänger zu viele Schnörkeleyen, wie er’s nannte, kurz, sein Interesse wird immer lebhafter erregt und er drängt sich immer näher und näher dem Orchester zu, indem er bald dies bald jenes, bald leiser bald lauter brummt und murret.“ Die Umstehenden wundern sich über „das kleine unscheinbare Männchen im schlechten Oberrock“, dem bei Pedrillos Arie „Frisch zum Kampfe“ der Kragen platzt. Statt D spielen die zweiten Violinen Dis, „da konnte Mozart sich nicht länger halten; er rief ganz laut mit seiner freylich nicht verzierten Sprache: ,Verflucht – wollt ihr D greifen!’“ Alle sahen sich um. Gemurmel, Musiker erkennen den Komponisten. Ein Lauffeuer geht durchs Haus: Mozart ist da! Zehn Tage soll er in Berlin geblieben sein. Mozart spielte Friedrich Wilhelm II. vor und schrieb am 23. Mai an Constanze: „Mein liebstes Weibchen, du must dich bey meiner Rückkunft schon mehr auf mich freuen als auf das Gelde.“ Der König schenkte ihm 100 Friedrichsdor und den Auftrag, sechs leichte Klaviersonaten für Prinzessin Friedrike und sechs Streichquartette zu schreiben. Als Unterstützung für die Witwe ließ er 1792, ein Jahr nach Mozarts Tod, acht Werke aus dem Nachlass erwerben.

Vielleicht begann damit jene kluge „Politik“ der Ankäufe Mozartscher Briefe, Noten und Opern, die schließlich dazu führte, dass wir hier in Berlin die meisten Autographen des Genies besitzen, mehr als Wien und Salzburg. Über 270 dieser Schätze liegen in den mit 18 Grad und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit klimatisierten Tresormagazinen hinter den dicken Mauern der Staatsbibliothek Unter den Linden, darunter sieben Opern, die komplette „Zauberflöte“ mit 250 Blatt, der halbe „Figaro“, die „Entführung aus dem Serail“, die „Jupiter-Sinfonie“. Ute Nawroth und Roland Schmidt-Hensel von der Musikabteilung der Staatsbibliothek können über jedes ihrer wohlbehüteten musikalischen „Kinder“ spannende Geschichten erzählen. Die Odyssee der Mozart-Noten begann um 1799, als Constanze Mozart den Nachlass ihres Mannes loszuwerden gedachte und ihn schließlich dem Offenbacher Verleger Johann Anton André verkaufte. Der wollte die 250 Autographe 1840 der königlichen Bibliothek veräußern, aber die Summe von 10 000 Talern wurde nicht bewilligt. Zwei Jahre später starb André, der Bestand wurde unter den Erben aufgeteilt und in alle Winde verstreut. Zwei Söhne vom André-Clan indes hielten ihr Erbe zusammen, boten es 1872 erneut der Berliner Bibliothek an. Die kaufte es nun für 12 000 Taler – Autographe zu 140 Werken Mozarts. Andere Ankäufe wurden von Unternehmern oder Bankiers finanziert, die sich dafür gern Orden oder Titel verleihen ließen. Die Partitur des „Figaro“ kam aus dem Nachlass des Verlegers Simrock, die „Entführung“ als Geschenk Ernst von Mendelssohn-Bartholdys in die Musikabteilung.

Zu Beginn des 2. Weltkrieges hatte die Staatsbibliothek eine der größten Sammlungen Mozartscher Werke, 17 von 20 Opern bzw. -fragmente (nur der „Don Giovanni“ liegt in Paris), mehrere Sinfonien. Als der Bombenkrieg begann, wurden die Werke in 28 Orte ausgelagert: Mozart in Klöstern, Schlössern und stillgelegten Bergwerksstollen. Nach 1945 kamen zunächst nur die Bestände aus Schönebeck/Elbe zurück in die Staatsbibliothek, die West-Bestände gelangten über Marburg und Tübingen nach West-Berlin. Heute sind sie Unter den Linden wieder vereint. Es fehlt, was im schlesischen Benediktinerkloster Grüssau (heute Krzeszow) lagerte. Jener Teil der Mozart-Sammlung, darunter zwei Akte vom „Figaro“, steht jetzt in der Krakauer Universität für Forschungen zur Verfügung. Im Mai 1977 hatte der damalige Parteichef Edward Gierek bei einem Staatsbesuch der DDR neben Beethovens 9. Sinfonie die „Zauberflöte“, die Noten der C-Moll-Messe und die Jupiter-Sinfonie zurück gegeben.

Mozart-Noten oder deren Kopien gehen zu Ausstellungen nach Wien, Salzburg und Leipzig auf Reisen. Im Herbst sind sie alle wieder hier vereint – in einer Mozart-Autographen-Schau in der Staatsbibliothek an der Potsdamer Straße.

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