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Noch holt Berlin nichts das Beste aus seinen Kindern raus.

© IMAGO/Michael Gstettenbauer

Wenn vier von zehn Schülern abgehängt sind: Verbesserungsvorschläge müssen auch umgesetzt werden

Jahr für Jahr neue Ankündigungen: Auf jeden schwachen Schulbefund folgt unbedingt irgendein Versprechen, dass nun alles besser werde. Meist verpuffen die Schnellschüsse.

Susanne Vieth-Entus
Ein Kommentar von Susanne Vieth-Entus

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Und jährlich grüßt das Murmeltier! Wie in jedem Berliner Sommer fühlt man sich beim Blick auf die Ergebnisse der Berliner Vergleichsarbeiten wie nach einem Schlag in die Magengrube und beneidet alle, die gerade zwischen Ostsee und Karpaten in der Sonne dösen. Bitte nicht wecken. Einerseits.

Andererseits gibt es kaum ein besseres Mittel, um hellwach zu werden und die Ärmel hochkrempeln zu wollen als die Lektüre dessen, was die Dritt- und Achtklässler können und vor allem – nicht können. Diese Ergebnisse müssten alle Bildungsleute elektrisieren, die noch einen Rest von Interesse am Schicksal der Berliner Jugend haben.

Denn was könnte wohl aufrüttelnder sein als die Erkenntnis, dass etwa vier von zehn Jungen und Mädchen nahezu chancenlos in die Oberschule tappen und von dort aus geradewegs in eine ungewisse berufliche Zukunft. Wenn überhaupt. Nichts anderes zeigen die Resultate im Lesen, im Sprachgebrauch, in der Mathematik.

Das „schärfste, vielleicht einzige Schwert, das wir haben, um strukturelle Probleme aufzuspüren“, nannte der auf soziale Ungerechtigkeiten fokussierte Bildungsforscher Marcel Helbig die Vergleichsarbeiten während Corona. Damals hatten die Länder leider beschlossen, die Arbeiten auszusetzen.

Was Helbig wusste: Ohne die entlarvenden Resultate sind die Bildungsminister imstande, sich in die Tasche zu lügen, dass doch alles nicht so schlimm sei. Ein Rückfall in die Vor-Pisa-Zeit gewissermaßen.

Es gibt viele Formen, sich wegzuducken. Berlin hat das fein raus. Jahrelang versuchte die damals SPD-geführte Bildungsverwaltung, die Ergebnisse der Vergleichsarbeiten ganz wegzuschließen. Der junge SPD-Abgeordnete Joscka Langenbrinck widersetze sich damals und ertrotzte mit seinen Anfragen die Publikation der wichtigsten Resultate. Er fand Nachfolger, zuletzt die damalige Abgeordnete und jetzige Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) selbst.

So wichtig diese Offenheit auch ist: Sie nutzt wenig, wenn nicht die richtigen Konsequenzen aus dem Desaster gezogen werden. Nach und nach kommt ans Licht, was in den Vorjahren alles von dem unterblieb, was den Schülern wirklich hätte helfen können.

Dazu gehört, dass nicht einmal die Schulaufsicht die Ergebnisse der einzelnen Schulen erfuhr. Man reibt sich die Augen angesichts aller gegenteilig verstandenen Ankündigungen. Erst die neue CDU-Führung hat durchgesetzt, dass die Übermittlung der traurig-bestürzenden Wahrheiten automatisch erfolgt.

Das ist immerhin ein erster Schritt. Der nächste muss darin bestehen, dass nicht nur Verbesserungsvorschläge angekündigt, sondern auch umgesetzt werden. Denn was haben die Schüler davon, wenn „Leseflüssigkeitstraining“ verordnet wird, aber niemand da ist, der den Schulen dafür die notwendigen Mittel gibt und sie bei der Umsetzung begleitet. Vertrauen und Kontrolle.

Jedes Unternehmen kennt Zeit-Maßnahme-Pläne. Es wird Zeit, dass auch Schulen und Schulaufsichten lernen, was das ist. Der nächste Sommer könnte besser werden. Wenn, ja, wenn.

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