
Verbraucherschützer auf Kiez-Mission: Viele Menschen in Moabit-Ost kennen ihre Rechte nicht
Die Verbraucherzentrale startet ein Pilotprojekt für Moabit-Ost, ein Quartier, in dem soziale Welten hart aufeinanderprallen.
In Moabit-Ost treffen zwei Welten auf einander: Die Europa-City mit ihren neuen, teuren Wohnungen für gut verdienende, urbane Menschen grenzt an den alten, gewachsenen Kiez mit seinen sozialen Problemen. „40 Prozent der Kinder und Jugendlichen leben von Hartz IV“, sagt der Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel (Grüne), über den Stadtteil, der sich vom Hauptbahnhof bis zum Poststadion erstreckt. 38000 Menschen wohnen hier. Mehr als 50 Prozent der Bewohner haben einen Migrationshintergrund. „Wie kann man diese unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zusammenbringen?“, fragt sich Clara Lehmann.
Die junge Frau arbeitet seit Mai für das Quartiersmanagement Moabit-Ost. Jetzt bekommt sie Verstärkung. Ab diesem Freitag sind zwei Verbraucherschützerinnen der Verbraucherzentrale (VZ) Berlin vor Ort – und zwar regelmäßig. Sie bieten Sprechstunden an, gehen in die Schulen, in Jugendclubs oder bauen ihre Infostände auf Stadtteilfesten, Märkten oder vor Supermärkten auf. Ihre Mission: Sie wollen Menschen davor bewahren, sich übers Ohr hauen zu lassen. „Wir gehen dahin, wo die Verbraucher zu Hause sind“, sagt die Chefin der VZ Berlin, Dörte Elß.
„Verbraucher stärken im Quartier“, heißt das Projekt, das vom Bundesverbraucherschutz- und dem Bundesinnenministerium gefördert wird. Von 2017 bis zum Jahr 2024 stehen insgesamt 16,5 Millionen Euro zur Verfügung, um in allen 16 Bundesländern Modellprojekte für die Verbraucherarbeit in den Quartieren zu finanzieren. Zehn Standorte gibt es bereits, darunter Leipzig, Bonn und München. Berlin ist Nummer elf. 600000 Euro bekommen die Verbraucherschützer für die nächsten vier Jahre. Finanziert werden damit zwei Stellen für die Mitarbeiterinnen vor Ort, Daniela Kemmer und Stefanie Huber.
Das Angebot richte sich an diejenigen, „denen es etwas schwerer fällt, den Weg zur Beratung zu suchen“, begründet Marco Wanderwitz (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, das Engagement seines Hauses. Das Projekt könne den sozialen Zusammenhalt in Deutschland stärken, glaubt Rita Hagl-Kehl.
Angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen findet die SPD-Politikerin das besonders wichtig. Hagl-Kehl wohnt selbst in Moabit und kennt daher den Kiez. Die Hilfe vor Ort soll den Menschen das Vertrauen in den Staat zurück geben, hofft die Parlamentarische Staatssekretärin im Verbraucherschutzministerium. Die Beratung soll sie aber auch vor Fehlern bewahren, „bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist.“
Der Klassiker: Miese Verträge an der Haustür unterschrieben
Bisher gelingt das eher selten. Denn Menschen, die ihre Rechte nicht kennen, sind eine leichte Beute für Betrüger. Das zeigen die Erfahrungen aus den Quartiersprojekten, die es bundesweit gibt. „Wir begegnen den alten Klassikern“, berichtet Klaus Müller, Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, etwa den Haustürgeschäften.
An der Wohnungstür werden Verbrauchern überteuerte und schlechte Verträge angedreht. Opfer sind meist Senioren, Arbeitslose oder Mütter oder Väter mit kleinen Kindern, Menschen also, die viel zu Hause sind. „Viele tun sich schwer, nein zu sagen“, weiß Müller. Das rächt sich. Einige hätten gleich drei oder vier Handyverträge abgeschlossen. „Das ist bitter“.
Kemmer und Huber sollen das verhindern. Jeden Freitag bieten sie von 11 bis 13.30 Uhr eine Beratung in der Selbsthilfe-, Kontakt- und Beratungsstelle Mitte (Perleberger Straße 44) an. Ansonsten wollen sie viel im Kiez unterwegs sein. „Wir haben das Ohr am Menschen“, betont Kemmer.
Falls sie auf Probleme stoßen, die sie nicht selbst lösen können, verweisen sie die Menschen an die richtigen Stellen. Präsenz vor Ort zeigen, Lotse sein, das sind zwei zentrale Aufgaben für das neue Projekt. „Wir sind ein Rädchen in der Zivilgesellschaft“, sagt Müller.
Verbraucherschützerin Kemmer lobt die Initiativen, die bereits vor Ort sind – Sozialzentren, Mieterschützer und andere – „ein lebendiges Feld“, sagt sie. Klar ist: Mit den Akteuren vor Ort und dem Quartiersmanagement wollen die Verbraucherschützerinnen künftig eng zusammenarbeiten.
Die Energieberater machen schon seit Jahren Hausbesuche
Die Arbeit vor Ort ist für die Verbraucherzentrale keine ganz neue Idee. Gefördert vom Berliner Senat gibt es bereits Angebote für Grundschüler und Eltern, um sich im Internet sicherer bewegen zu können. Verbraucherschützer gehen dazu in den Schulunterricht. Auch die Ernährungsberater der Verbraucherzentrale sind vor Ort unterwegs. Genauso wie ihre Kollegen aus dem Energiebereich. Diese bieten in Berlin eine mobile Beratung an. Hausbesitzer können sich von den Beratern vor Ort zeigen lassen, wie man Energie sparen kann.
„Nicht alle Menschen kennen uns und finden Weg“, weiß Dörte Elß – obwohl die Verbraucherzentrale mit ihrem Standort gegenüber dem Bahnhof Zoo gut zu erreichen ist. Und auch das Internet ist nicht für jeden der richtige Weg, sich zu informieren. Das gelte besonders für die Menschen, die es am nötigsten hätten, sagt Klaus Müller. Die Beratung im Kiez soll helfen. Aus der „Komm-Struktur“ werde so eine „Bring-Struktur“, weiß Daniela Kemmer.
Bezirksbürgermeister von Dassel ist zufrieden mit der Unterstützung. Verbraucherschutz sei eine wichtige Ergänzung zu den Projekten vor Ort. Bisher habe man dort einen blinden Fleck gehabt, räumt er ein. Das neue Angebot sei „genau an der richtigen Stelle, genau das richtige Thema“.