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„Eines Tages töte ich dich oder mich“: Nach Femizid von vierfacher Mutter in Neukölln beginnt Prozess gegen Ex-Partner
Eine Frau liegt tödlich verletzt im Hausflur. Sie soll in ihrer Wohnung, in der sich auch ihre Kinder aufhielten, mit einem Messer attackiert worden sein. Ihr Ex-Partner kommt nun vor Gericht.
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Nach dem Tod einer vierfachen Mutter in Berlin-Neukölln steht ihr Ehemann vor Gericht. Der gemeinsame Sohn sagte im Prozess um den mutmaßlichen Femizid aus. Im Gericht kämpft er mit den Tränen. Sein Vater beobachtet ihn mit durchdringendem Blick. Der Sohn schlägt sich gegen den Kopf, gestikuliert – „ich habe geschlafen“, sagt er, an dem Morgen, an dem sein Vater laut Anklage mit einem Küchenmesser auf seine 37-jährige Ehefrau einstach. „Ich sah den letzten Stich“, sagt der 22-jährige Sohn als erster Zeuge im Prozess gegen Aziz M.
Der 44-Jährige wurde von der Staatsanwaltschaft des Totschlags angeklagt. Die 40. Große Strafkammer des Berliner Landgerichts allerdings gab den rechtlichen Hinweis, dass auch eine Verurteilung wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen in Betracht komme.
Am frühen Morgen des 17. April dieses Jahres gab es laut Anklage einen Streit in der Wohnung der Frau in Britz. Die vier gemeinsamen Kinder, drei bis 22 Jahre alt, hätten noch geschlafen. Im Verlauf der Auseinandersetzung habe Aziz M. den Entschluss gefasst, die Frau zu töten. Gegen 8 Uhr habe er zu einem Küchenmesser gegriffen.
Fünf Stiche waren es – „davon vier in den vorderen Oberkörper und einer in den Rücken“, heißt es in der Anklage. Als die Frau zurückwich, habe M. nachgesetzt. Der älteste Sohn sei aufgewacht und habe ihn weggeschubst. Yalda H. flüchtete noch in den Hausflur, brach dort aber zusammen. Jede Hilfe kam zu spät.
Aziz M., ein gelernter Kfz-Mechaniker aus Afghanistan, wurde vor Ort festgenommen. Er befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Sein Anwalt erklärte zu Prozessbeginn, M. werde sich zunächst nicht zu den Vorwürfen äußern.
Die vielen Fragen an den Sohn im Zeugenstand. „Sie haben das blutige Messer doch gesehen“, ruft er verzweifelt. Dann berichtet er weiter über seine Familien und den dramatischen Morgen. 2016 seien sie nach Deutschland gekommen. Sein Vater habe als Autoschlosser gearbeitet. „Mutter wollte arbeiten, aber Vater hat es nicht erlaubt.“
Häusliche Gewalt und Eifersucht
Ein Leben, das nach Schilderung des Sohnes von häuslicher Gewalt und von Besitzdenken des Mannes überschattet war. „Mutter wurde immer wieder von Vater geschlagen, er hat an den Haaren gezogen, Geschirr geworfen.“ Schon in Afghanistan, dann später im Iran, sei das so gewesen. „Es gab immer Probleme, mein Vater war so eifersüchtig.“
Warum sich seine Mutter nicht getrennt habe? „Wenn man sich trennt, dann ist es ein negatives Ansehen, es ist sehr schlecht für eine Frau in Afghanistan“, sagt der Sohn. Seine Mutter habe wegen der Kinder keine Scheidung gewollt. „An schlechten Tagen hat er Mutter und uns Kinder schlecht behandelt.“
Bis er im letzten Jahr einfach nicht mehr nach Hause kam. Wegen einer anderen Frau soll Aziz M. die Trennung gewollt haben. Die Mutter habe erst geweint, erinnert sich der Sohn. „Lass dich scheiden, dann ist alles vorbei“, hätten die älteren Kinder ihr geraten. Es habe eine Scheidung nach islamischem Recht gegeben.
Niemand nahm die Drohungen ernst
Die Liaison ging bald in die Brüche. Aziz M. wollte wieder zurück zu seiner Ehefrau. Es kam zu Anzeigen gegen ihn, die Frau soll nach dem Gewaltschutzgesetz ein Annäherungsverbot bis Juni 2025 erwirkt haben. „Vater hat sie aber überredet, die Anzeige zurückzunehmen“, so der Sohn. Nachdem sie es auch getan hatte, sei sein Verhalten „noch schlechter“ geworden. Es habe Drohungen gegeben: „Eines Tages töte ich dich oder mich.“ Der Sohn sagt, sie hätten es nicht ernst genommen.
„Ich habe ihm dann das Messer abgenommen und ihn in das Schlafzimmer geschubst, damit meine Mutter wegkonnte“, schildert der Sohn. Danach habe er noch verzweifelt versucht, ihre schwere Blutung im Bauch zu stoppen. „Warum hast du das gemacht?“, habe er den Vater noch gefragt. „Er reagierte nicht darauf.“
Femizid bedeutet, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts getötet werden – also weil sie Frauen sind. Als häufigste Form gilt die Tötung von Frauen durch Partner oder Ex-Partner. Für den Prozess sind sechs weitere Tage bis zum 24. Oktober terminiert.
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