zum Hauptinhalt

Berlin: Volker Wintermeyer (Geb. 1981)

Eine Explosion im Zentrum, genau da, wo seine Lieder herkommen.

Volker ist jemand, der sehr schnell geht. Große, lang ausholende Schritte. Er braucht viel Zeit, um sich zu entscheiden, einen Entschluss zu fassen, loszugehen. Sitzt lange in der Küche der Wohngemeinschaft, redet, schweigt, trinkt einen Kaffee, trinkt noch einen Kaffee, denkt darüber nach, dass er eigentlich losgehen müsste, und bleibt sitzen. In die Küche fällt das Sonnenlicht. Jemand summt ein Lied. Auf dem Tisch stehen die Reste vom Frühstück. Tagträume. Zusehen, wie die Sonne über das Dach vom Hinterhof wandert. Mittag. Volker geht los. Wenn er einmal losgegangen ist, wenn er einmal einen Entschluss gefasst hat, dann ist er sehr schnell. Auf und davon.

Volker Wintermeyer ist Sänger und Gitarrist einer Band, The Springs. Er hat viele Bekannte, vier sehr enge Freunde und eine große Schwester. Er ist begabt. Er ist schön und unsicher, schüchtern und eitel. Jemand, der eher zurückgezogen wirkt und auf der Bühne, beim Musikmachen plötzlich ein anderer ist.

Er hat ein Einser-Abitur und studiert Psychologie und Soziologie. Ihm fällt das alles leicht. Ihm ist das alles nicht wirklich egal, aber es interessiert ihn wenig – was ihn interessiert, ist die Musik, und die Musik interessiert ihn nicht, sie ist einfach da, sie ist seine Sprache. Volker ist ein Autodidakt. Jemand, der alles einfach spielen kann, der keine Noten braucht. Er schläft mit der Gitarre im Arm ein, und er wacht mit der Gitarre im Arm auf.

Mit Volker kann man früh um fünf, in der Stunde zwischen Nacht und Tag, auf einer Parkbank sitzen und sprechen und schweigen. Zwei Flaschen Bier. Keine Zigaretten. Eine Freundschaft. Ein Gespräch über Musik. Über die Liebe und das Komplizierte in der Liebe und alles, was noch kommen soll, kommen muss, das ganze spätere, eigentliche Leben. Darüber, dass die Nasa gern Astronauten ins All schickt, die verheiratet sind. Weil man eher nach Hause will, zurückkommt, wenn man geliebt wird und liebt. Dann zu Bett, bevor die Vögel alle wach sind und es hell wird.

Silvester verlässt ihn seine Freundin. Das Jahr beginnt mit etwas, das Volker später als einen Knall im Kopf bezeichnen wird, eine Explosion im Zentrum, genau da, wo alle seine Lieder herkommen. Die Explosion ist auch sichtbar – es wächst etwas aus seinem Kopf heraus, genau an der Stirn.

Es dauert ein wenig, bis die Ärzte darauf kommen, dass er Krebs hat. Dann dauert es nicht mehr lange. Volker Wintermeyer hat eine Art von Krebs, die von sieben Millionen in zehn Jahren einer bekommt. Er sagt, dass er zum Sterben viel zu jung sei. Alle sagen das. Er nimmt seine Gitarre mit ins Krankenhaus, die Ärzte operieren ihn schnell. Es scheint so, dass alle ratlos sind, nicht nur ratlos, sondern auch sprachlos, ein stummes, liebevolles Mitgefühl. Nach der ersten Operation hebt Volker, als er aus der Narkose erwacht, wie verabredet die Hand mit dem Zeichen des Rock ’n’ Roll. Teufelshörner. Überstanden. Es wird alles anders werden, es wird alles gut werden.

Nach der zweiten Operation bekommt er während der Visite keine Luft mehr. Beidseitige Lungenembolie. Das Krankenhaus benachrichtigt seine Familie. Seine Familie ist auf der Intensiv-Station bei ihm, als er zu bluten beginnt. Das Blut kommt aus ihm heraus wie aus einer Quelle, sagt seine Schwester, sprudelnd, absolut lebendig. Und der ganze Raum, sagt sie, hat so geleuchtet.

When I got the music, I got a place to go, schreiben seine Freunde auf den Grabkranz. Volker ist so schnell gegangen; sie sind froh um die Zeit, die sie mit ihm haben konnten. Dora Winkelmann

Dora Winkelmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false