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Als Kind trug sie Kopftuch, hier modelt sie im Brautkleid.

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Zohre Esmaeli: Vom Flüchtlingskind zum Top-Model

Zohre Esmaeli ist Model und aus Afghanistan. Sie hilft Geflüchteten, eine für sie völlig fremde Welt zu verstehen.

Wie weit der Weg in die Freiheit wirklich war, lassen die Bilder in Zohre Esmaelis Buch erahnen. Eines zeigt sie als 13-Jährige, schwarz verschleiert in Kabul. Auf einem anderen ist sie als internationales Top-Model zu sehen, etwa zehn Jahre später bei einer Schmuckpräsentation. Zwischen beiden Welten liegen eine Flucht unter unglaublichen Strapazen, die isolierte Zeit im Asylbewerberheim, die ersten schweren Schulerfahrungen mit der garstigen Dorfjugend in der Nähe von Kassel und schließlich die Emanzipation vom Familien-Clan.

Kein Wunder, dass sie stark ist nach dieser unglaublichen Entwicklung. Mit 30 hat sie es geschafft, war in der „Vogue“ und der „Cosmopolitan“ abgebildet, ist aktuell in der britischen „Glamour“ zu bewundern, sie behauptet sich in der harten Modelbranche, arbeitet an ihrer ersten Handtaschenkollektion. Außerdem engagiert sie sich für Flüchtlinge.

Culture Coaching soll bei der Orientierung helfen

Gerade hat sie einen Fonds gestiftet und verwirklicht bei der „Bürgerstiftung Berlin“ ihr Projekt „Culture Coaching“. Es soll Flüchtlingsfamilien helfen, sich in einer für sie komplett fremden und meist völlig unverständlichen Welt zurecht zu finden. Denn Zohre Esmaeli weiß aus Erfahrung, worauf es ankommt, wie man sich fühlt, wie wenig man weiß von den Gepflogenheiten in Deutschland.

Das Knowhow und die Erfahrungen der großen Bürgerstiftung sollen helfen, das Projekt so effizient wie möglich zu gestalten. Als Zohre Esmaeli es im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Factory Lounge“ jetzt vorstellte, saßen vor ihr 150 Gäste und lauschten gebannt.

So schön sie aussieht in dem schulterfreien flaschengrünen Kleid, sie redet wie eine Top-Managerin über ihr Projekt „Culture Coaching“. Gleichzeitig nutzt sie die Chance, ihr überaus lesenswertes Buch „Meine neue Freiheit“ vorzustellen, und scheut sich auch nicht, den Moderator bald darauf hinzuweisen, dass sie hier nicht übers Modeln, sondern über ihr Projekt reden will.

Ihr Lieblingswort ist "Freiheit"

Denn Zohre Esmaeli macht sich Sorgen um die Gesellschaft, in der sie sich mit so viel Kraftaufwand einen Platz erkämpft hat. Sie will nicht, dass Deutschland an Überforderung kaputt geht. „Azadi“, das afghanische Wort für Freiheit ist ihr Lieblingswort. Welcher Deutsche weiß schon, wie sie, dass im Arabischen das Wort für „Freiheit“ bedeutet, „Freiheit, dem Islam zu gehorchen“. Wer ohne einen libertären Freiheitsbegriff aufgewachsen ist, braucht, so sieht sie es, mehr als einen Integrationskurs und ein paar Piktogramme, um die ganz andere Gesellschaft zu begreifen. „Man darf bei der Integration nicht Deutsch denken“, sagt Zohre Esmaeli. „Man muss sich einfühlen in die Gedankenwelt der Flüchtlinge, sie da abholen, wo sie sind." Deshalb wünscht sie sich viele gut integrierte Ex-Flüchtlinge als Mitstreiter. „Die wissen am besten, wie man mit den Leuten umgehen muss.“ Voraussetzung: Sie müssen beide Sprachen sprechen und beide Kulturen kennen. Zum Beispiel müssen sie vermitteln können, dass die Freiheit, die der Staat gewährt, Voraussetzung dafür ist, ein Leben als Individuum leben zu können. Kein leichter Job bei Menschen, die teils aus Ländern kommen, in denen das Individuum gar nicht wichtig ist. Zohre Esmaeli war 13 Jahre alt, als der Vater, ein Lastwagenfahrer, einsah, dass es in seinem Land keine Zukunft geben würde für die Familie. 1999 war das. Bedrohungen durch die Taliban waren da zum Alltag geworden. Bei einem Fest schnitten die Taliban mal allen Gästen die Köpfe ab, weil sie die Musik zu laut fanden, erzählten die Männer. Zohre musste, wenn sie das Haus verließ, eine Burka tragen. Vier Wochen sollte die Flucht nach Europa dauern, so war es geplant. Am Ende wurden sieben Monate daraus, gefährliche Monate, in denen sie einmal fast ertrunken wäre, in denen sie Hunger und Durst litt, in nasser Kleidung schutzlos eisiger Kälte ausgeliefert war. Einmal hat sie sich eine Vergiftung zugezogen. Sie kam vorübergehend ins Gefängnis, war in Wohnungen eingesperrt und hat schließlich zwei Jahre lang in deutschen Flüchtlingsheimen gelebt. Als sie nach sechs Monaten endlich zur Schule gehen durfte, hänselten die anderen Kinder sie. Niemand wollte etwas mit ihr zu tun haben. So liest man es in ihrem Buch. Keine schöne Zeit für sie.

Der Vater wurde plötzlich strenger

Und für den Vater war alles noch schlimmer. Der war, weil er plötzlich nichts zu tun hatte und auf die Kinder angewiesen war, die übersetzen konnten, einkaufen und sogar eigenes Geld verdienen, plötzlich viel strenger als in Afghanistan. „Mit Jungs verreisen? Das gehört sich nicht für ein afghanisches Mädchen!“, hörte die Tochter, als eine Klassenfahrt anstand. Viele Verbote gingen auch auf Unsicherheit zurück, so sieht Zohre Esmaeli das heute. Der Vater litt unter dem Bedeutungsverlust, dass er nichts mehr tun konnte für den Unterhalt seiner Familie. Der schlug sich auf sein Selbstbewusstsein nieder. Sie trotzte ihm die Teilnahme an der Klassenfahrt ab. Und dann wollte keines der anderen Mädchen mit ihr im Zimmer schlafen. Als sie mal für alle kochte, gaben die anderen Kinder vor, ihr Essen grässlich zu finden. Der Lehrer war der einzige, der sagte, dass es ihm schmeckt.

Die ersten Freunde, die Zohre Esmaeli fand, waren aus Italien und der Türkei. Und eines Tage sprach ein fremdes Mädchen sie in einem Modeladen an: „Du bist schön“, sagte es. „Damit kann man Geld verdienen.“ Ein Satz, der viel verändern sollte.

Heimlich chattete Zohre Esmaeli im Internet, lernte einen Jungen aus Stuttgart kennen. Als es ihr mit den Verboten und der Überwachung durch die Brüder zu Hause zu viel wurde, half der ihr zu einer zweiten Flucht, nahm sie bei sich auf. Noch heute ist sie seinen Eltern dankbar für den Mut, den sie damals zeigten.

Viele können sich "Altersversorgung" nicht vorstellen

In ihrer entschlossenen Art zu reden, wirkt Zohre Esmaeli, die inzwischen einen deutschen Pass hat und in Berlin lebt, ziemlich deutsch. Darauf angesprochen lacht sie: „Ich bin sehr glücklich in Deutschland.“ Zu diesem Glück will sie nun auch anderen verhelfen. Sie sagt, dass es in Afghanistan keinen Staat gibt, der Verantwortung übernimmt und ein geregeltes Leben ermöglicht. Es gebe keine Rechtssicherheit wie hier. Deswegen ist die Familie, ist der Clan so wichtig. Allein da gibt es Schutz und Sicherheit. Und die Eltern, die ein Kind nicht einfach ziehen lassen wollen, haben auch ihre Altersversorgung im Hinterkopf. Sie können sich schlicht nicht vorstellen, dass der Staat dafür aufkommt.

Kontraste. Als Kind trug sie ein Kopftuch, heute präsentiert Zohre Esmaeli als Model neueste Modetrends auf den Laufstegen der Welt.
Kontraste. Als Kind trug sie ein Kopftuch, heute präsentiert Zohre Esmaeli als Model neueste Modetrends auf den Laufstegen der Welt.

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Sie weiß auch, dass man vieles nach einer Flucht nicht einfach ablegen kann. Als vor einiger Zeit mal Klagen aufkamen, dass die Toiletten in den Flüchtlingsunterkünften schmutzig waren, konnte sich kaum jemand vorstellen, dass die geflüchteten Menschen sich schlicht scheuten, Trinkwasser zu verunreinigen. Wer Durst gelitten hat, kann die Ehrfurcht vor sauberem Wasser nicht einfach ablegen, nur weil er plötzlich eine Klospülung zur Verfügung hat.

„Respekt ist wichtig im Umgang“, sagt Zohre Esmaeli. Aber auch in die andere Richtung will sie etwas vermitteln: „Man muss den Leuten klar sagen, wo es lang geht.“ Viele wüssten gar nicht, dass sie nun in einer Gesellschaft leben, in der es lohnt, hart zu arbeiten. „Die hängen hier rum wie in Afghanistan.“

New Yorker Partyleben ohne Wodka

Und nicht nur hier, auch in Afghanistan will Zohre Esmaeli helfen, will Arbeitsplätze schaffen, zum Beispiel in Nähstuben. Zusammen mit dem habilitierten Politikwissenschaftler und Aufsichtsratvorsitzenden der Gasag, Lothar Kramm, entwickelt sie gerade eine Didaktik für ihr Projekt. Die Konflikte kreisen um immer wiederkehrende Themen, darunter Schule, Sexualität, die Rolle von Religion, Toleranz und Gewalt in der Familie.

Zohre Esmaeli hat es schließlich auch noch geschafft, sich mit ihrem Vater zu versöhnen. Wie wichtig ihr das war, kommt in dem Buch ganz deutlich heraus, auch was für ein feiner Mensch der Vater sein muss. Sie hat geheiratet, um die Familie zu beruhigen, und hat sich doch wieder getrennt. Sie hat in New York gelebt, hat dort das nächtliche Partyleben der Models mitgefeiert, wenn auch ohne Wodka, und sich über die so ganz fremde Welt gewundert. Ihre Familie akzeptiert inzwischen etwas mürrisch, dass sie „das mit der Mode macht“. Eine der alten Schulkameradinnen, die damals so gemein war, hat sie auf Facebook entdeckt und sich entschuldigt. „Das war mir wichtig, dass sie verstanden hat…“.

Dass der Vater und die Verwandtschaft sie für ihre Erfolge bewundern, erhofft sie nicht mal. „Mir reicht es, dass sie mich akzeptieren.“ Das sei schon viel.

Mehr Informationen über das afghanisch-stämmige Top-Model gibt es auf der Homepage www.zohre.de. Das Buch von Zohre Esmaeli heißt „Meine neue Freiheit. Von Kabul über den Laufsteg zu mir selbst.“(Verlag Bastei Lübbe. 2014. 256 S.. 8,99 Euro). Im Rahmen der 1999 gegründeten Bürgerstiftung engagieren sich derzeit 450 Ehrenamtliche. Die Vorstandsvorsitzende Heike Maria von Joest wirbt nicht nur um geschenkte Zeit, sondern auch um Geldspenden und Zustiftungen.

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