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Mario Alkert

© privat

Nachruf auf Mario Alkert: Von wegen „Super Mario“

Es war nur selten gut gelaufen in seinem Leben. Bis er die Gärtnerei entdeckte. Nur mit den Blumen hatte er's nicht so.

Es war nicht das Grab, das er sich gewünscht hatte. Urnengrab 202, in einer Urnengemeinschaftsanlage. Da kein Testament vorlag, war eine „Ordnungsbehördliche Bestattung“ verfügt worden. Ein Geviert transportablen Kunstrasens, darin ein Senkloch für die Urne, zwei Sträuße Blumen. Eine amtlich bestellte Bestatterin. Seine Freundin. Eine Bekannte. Ein ehemaliger Mitarbeiter. „Ruhe in Frieden! Wenn Sie ihn besuchen wollen, schreiben Sie sich die Nummer auf.“

Es wurde nicht die Erbin, die er sich gewünscht hatte. Für ein Testament war ja noch Zeit genug. Ein halbes Jahr war ihm versprochen worden, darauf hatte er beharrt, auf diesem Versprechen, das keins gewesen war, nicht seitens der Ärzte, die ihm hatten Mut machen wollen. Wenn es gut läuft, sechs Monate, aber es war nur selten gut gelaufen in seinem Leben, überhaupt nicht in den ersten Jahren. Nun würde die Frau das Geld erben, die ihm seine Kindheit zur Hölle gemacht hatte. Die Frau, die er hasste, die er hatte überleben wollen, die nun ihn überlebte. Seine Mutter, die Trinkerin, die ihn geschlagen hatte von klein auf. Der Vater war fort, der Stiefvater drosch mit auf ihn ein. Der einzige Platz, wo er sich wohlfühlte als Kind, war das Krankenhaus. Nie bekam er Besuch, obwohl er annähernd ein Jahr dort war. Ein gutartiger Tumor in der Wachstumsfuge des rechten Arms. Nach der Operation setzte der Unterarm fast direkt an der Schulter an, aber diese Verkürzung machte er mit Geschicklichkeit wett. Als sie ihn nicht länger im Krankenhaus schützen konnten, wurde er in ein Heim gegeben. Die Jugendlichen prügelten sich untereinander. Drogen, Alkohol, Aufputschmittel, in der Wut geriet er oft außer sich, schlug auf jeden ein, fast hätte er einen erschlagen. Dreieinhalb Jahre Knast. Viel Zeit zum Nachdenken. Von wegen „Super Mario“.

Erst Puffwächter, dann hoch hinaus

Als er rauskam, wusste er, was er wollte. „Jetzt beginnt mein normales Leben!“, schwor er sich. Eine Zeit lang war er noch Pfuffwächter am Stuttgarter Platz, dann endlich fand er eine Anstellung in einer Gärtnerei. Er war schon immer gern geklettert als Kind, hoch auf den Schrank, wenn er vor den Schlägen der Mutter floh oder vor der Visite im Krankenhaus. Hoch hinaus wollte er, am liebsten in die Bäume, da war er frei. Baumkletterer wollte er sein. Er schmiss den Job in der Gärtnerei, als er merkte, dass er für viel zu wenig Geld viel zu viel arbeitete. Beim Gartenbauamt erging es ihm besser, da hatte er sich um die Grünanlagen im Klinikum Steglitz zu kümmern. Er traf einen der Ärzte von früher wieder, und von da an war sein Glück gemacht. Denn nun standen ihm die Gärten aller Ärzte offen. Morgens arbeitete er fürs Amt, nachmittags für seine Gönner. Er wurde immer weiterempfohlen, konnte sich bald die Gärten aussuchen, in denen er arbeiten wollte. Und weil er begehrt war, wurde er umsorgt, reichlich mit Kaffee und Kuchen bewirtet und ordentlich mit Trinkgeld versehen. Er hat jeden sofort geduzt. Wenn er kam, streckte er dem Gegenüber den unversehrten linken Arm zum Gruße hin, als Höflichkeitsgeste und als Zeichen der Verbundenheit. Eine leichte Berührung genügte.

„Der leidenschaftliche Gärtner“, Mario kannte das Buch nicht, er hat keine Bücher gelesen, keine Zeitungen, er ist nie wählen gegangen, hatte keine Hobbys, außer der Gärtnerei. Seine Liebe galt den Bäumen und bevorzugt dem Rasen. Bei den Blumen versagte sein Ordnungssinn, Hortensien setzte er wahllos, da bat er um Hilfe, „jetzt muss die Blumenfrau kommen“, aber der Rasen, der war seine Leidenschaft. Es musste ein englischer Rasen sein, denn Ordnung war ihm wichtig. Für Wildwuchs hatte er kein Verständnis, für Rasenroboter schon gar nicht. Als ein Bienengarten von ihm verlangt wurde, schüttelte er den Kopf, keine Wildwiese, allenfalls als verstecktes kleines Areal abseits der gestochenen Rasenränder.

Nach getaner Arbeit hat er gern eine geraucht, sein Werk betrachtet, für gut befunden und bescheiden, aber stolz das fällige Lob entgegengenommen. Er hatte keine Vorbehalte gegenüber Akademikern, auch wenn sie nichts von seiner Arbeit verstanden. Was zu tun war, wusste er selbst am besten. Er fuhr ein großes Auto, weil er sein Werkzeug unterbringen musste, verreist ist er damit nie. Er saß niemals in einem Flugzeug. Er hatte auch wenig Verständnis für Reisende, die viel Geld ausgeben, nur weil sie an einem anderen Ort sein wollen. Er lebte in einer kleinen Wohnung in Kreuzberg, Mariannenplatz, trug immer Mütze, weil sein Haar früh ausdünnte, und trank gern einen über den Durst, aber nur am Wochenende. Bei der Arbeit trank er nie, denn er liebte seinen Job mehr als alles andere. Frauen mochte er auch, aber was wirklich Festes ergab sich nicht, Familie und so, das war nicht seins, nie gewesen.

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Obwohl er immer an der frischen Luft war, fiel ihm das Atmen durch die Nase zusehends schwerer. Als ihm vor fünf Jahren die Polypen entfernt wurden, fanden die Ärzte einen bösartigen Hauttumor. Jedes Vierteljahr sollte er zur Nachuntersuchung kommen. Davor hat er sich gedrückt. Als er dann doch ging, weil die Beschwerden wiederkehrten, war es zu spät. Metastasen im ganzen Körper. Was auch immer die Ärzte versuchten, Bestrahlungen, Chemotherapie, es war vergeblich.

Der Traum vom Glück, so nah. 40.000 Euro hatte er schon gespart, versteckt hinter der Tapete, damit die vom Amt ihn nicht drankriegten, wenn er mal arbeitslos werden würde, Geld für die Datsche und den eigenen Garten. Den Traum gab er auf, seine Arbeit tat er bis zuletzt. Als er nicht mehr stehen konnte, setzte er sich auf einen Hocker und knipste den abgeblühten Rhododendron. Als die Hände nicht mehr wollten, suchte er sich einen Helfer, und zuallerletzt mussten die Gartenbesitzer selbst tun, was er ihnen anwies. „Da kann man ja nicht jeden ranlassen!“

„Ich komme noch mal raus“, schrieb er seiner Freundin von der Palliativstation. „Muss mich ganz schnell beeilen, um alles zu erledigen. So Sachen, die man eben in seinem Leben so erledigen muss …“ Das Allerwichtigste: ein Testament. Er wollte in einem Friedwald beerdigt werden. Nun ist es das Urnengrab 202. Es gibt eine Erzählung von Voltaire, die Mario nie gelesen hat, über einen Menschen, der ihm sehr ähnlich war, Candide mit Namen, der etliche Grausamkeiten im Leben erfuhr, aber nie klein beigab, weil eine Aufgabe auf ihn wartete: „Ich muss mich um den Garten kümmern.“

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