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Berlin: Walter Sickert verlässt die SPD, um "die Seele zu entlasten"

Die bevorstehende rot-rote Koalition hat Parteiaustritte aus der SPD ausgelöst, die der Landesgeschäftsführer Ralf Wieland als "vereinzelt" kennzeichnete. Zahlen konnte Wieland noch nicht nennen, am 2.

Die bevorstehende rot-rote Koalition hat Parteiaustritte aus der SPD ausgelöst, die der Landesgeschäftsführer Ralf Wieland als "vereinzelt" kennzeichnete. Zahlen konnte Wieland noch nicht nennen, am 2. Januar habe er "fünf oder sechs" in der Post gefunden. Prominente Namen seien bisher nicht darunter. Vom Austrittschreiben von Walter Sickert hat die Parteiführung aus der Presse erfahren. Aus Protest gegen die Senatsbeteiligung der PDS hat Sickert in einem Brief an den Landesverband vom 1. Januar seine SPD-Mitgliedschaft nach 54 Jahren mit sofortiger Wirkung gekündigt. Sickert, der demnächst 83 Jahre alt wird, war als Politiker und Gewerkschaftsführer eine wichtige Figur im antikommunistischen Freiheitskampf. Er war von 1960 bis 1982 DGB-Vorsitzender in West-Berlin und von 1967 bis 1975 Präsident des Abgeordnetenhauses, dem er von 1963 bis 1985 angehörte.

Sickert verzichtete in seinem Brief auf eine Begründung. Dem Tagesspiegel sagte er: "Der Schritt war notwendig, um meine Seele zu entlasten." Die PDS sei für ihn "in Teilen immer noch eine kommunistische Partei. Sie ist nicht von alten SED-Leuten gereinigt, die noch eine ganze Menge zu sagen haben." Daher könne er das SPD/PDS-Bündnis nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. Der Austritt sei ihm schwer gefallen. Er sagte der SPD "ein böses Erwachen" voraus, denn das Bündnis werde sie Wählerstimmen in Ost und West kosten und die PDS noch stärker machen. In Anrufen hätten ihn Weggefährten aus SPD und CDU zu seinem Schritt beglückwünscht. Namen nannte er nicht: "Es ist meine Entscheidung, ich will niemanden beeinflussen."

SPD-Chef Peter Strieder bedauerte den "angekündigten Austritt" Sickerts. Auf Grund seines Lebensweges sei für Sickert "besonders schwer nachzuvollziehen, dass die PDS zwar in der geschichtlichen Nachfolge der SED steht, aber nicht mehr die SED ist". Er bedauerte zugleich, dass Sickert keine Gelegenheit genommen habe, sich bei der Parteiführung "über die Gründe zu informieren, die die Verhandlungen mit der PDS notwendig gemacht haben". Wieland gestand zu, dass viele in der SPD ein Problem mit der PDS haben, "aber es geht kein Beben durch die Partei". Seinen Austritt am Tag der Koalitionsvereinbarung von SPD und PDS hat auch der frühere Fraktionsgeschäftsführer Helmut Fechner (Ost) wegen der Unrechtstaten der SED, von denen sich die PDS ungenügend distanziert habe, mehrfach angekündigt.

Sickert, gelernter Schlosser und aus Hamburg, war in seiner Jugend selbst Kommunist, er gehörte der KPD-Jugendorganisation an, auch in der Illegalität seit 1933. Mit 14 und 15 Jahren war er zwei Mal für mehrere Monate im Konzentrationslager Hamburg-Fuhlsbüttel. Nach den Erfahrungen der Nazi-Zeit opponierte er bereits seit 1946 in der Unabhängigen Gewerkschaftsopposition (UGO) im FDGB gegen die Bevormundung der SED. Im Zuge der Blockade und Spaltung der Stadtverwaltung schloss er sich 1948 der SPD an. In West-Berlin war er Vorsitzender der IG Bau, Steine, Erden und dann des DGB, stets von Sorge vor kommunistischen Einflüssen erfüllt, die viele später auch bei den 1978 gegründeten Grünen sahen, was 1983 zu 68 Austritten aus der SPD führte. Sickert wurde mit dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband, mit der Ernst-Reuter-Plakette und dem Ehrentitel Stadtältester ausgezeichnet.

Auch die Entspannungspolitik Willy Brandts war eine Zäsur, die zu Austritten aus der SPD und bei einigen, die gegen die Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED 1946 gekämpft hatten, zum Wechsel in die CDU führte. Sickert sagte, die Politik Brandts habe ihm keine Probleme bereitet: "Ich kannte Willy Brandt und wusste, dass es ihm nicht um die Aufwertung der SED, sondern um Erleichterungen für die Menschen ging." Eine Koalition mit der PDS sei etwas ganz anderes. Er will jedoch keiner anderen Partei mehr beitreten. Der CDU rät er zum "Selbstreinigungsprozess, sonst wird sie noch tiefer rutschen". Stattdessen mache Eberhard Diepgen "einem DDR-Dissidenten wie Günter Nooke den Platz für die Bundestagskandidatur streitig".

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