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Berlin: Werner Schieke (Geb. 1934)

Und es war ohne Belang, was er spielte, ob leichte Muse oder ernste Musik

Stand er einfach in einem Raum, groß, schlank, mit dunklen Augen und Brille, mochte er wohl ein wenig streng erscheinen. Setzte er sich jedoch ans Klavier und begann zu spielen, löste sich das Spröde augenblicklich auf in Expression und Elan, seine Hände flogen über die Tasten oder streiften sie sacht, seine Füße wechselten von forte zu piano und zurück, seine Gesichtszüge spannten sich an und wurden weich.

Und es war ohne Belang, was er spielte, ob leichte Muse oder ernste Musik. Werner Schieke verwehrte sich gegen die hochmütige Unterscheidung zwischen heiterer Unterhaltung und tiefgründigem, „ernstem“ Werk. Er war ein Musik- und Theaterbesessener, Meinungsverschiedenheiten zwischen angeblichen Experten verplemperten nur seine Zeit.

Und seine Zeit war kostbar. Vom Morgen bis um zwei Uhr nachmittags studierte er als Solorepetitor mit den Sängern der Staatsoper ihre Rollen ein, spielte so, als musiziere ein ganzes Orchester; danach unterrichtete er Liedgestaltung an der „Musikhochschule Hanns Eisler“ und erarbeitete mit den Gesangsstudenten das Repertoire ihres Studienplanes; im Anschluss lief er zu den Abendvorstellungen. Nie brach er eine Stunde mit einem Studenten ab, nur weil die bezahlte Zeit vorüber war. Er lobte seine Eleven, wenn ihnen komplexe Tonfolgen gelangen, biederte sich aber keinen Augenblick bei ihnen an, sondern fand deutliche Worte, wann immer ein Schüler nachlässig oder schief sang. Gelegentlich konnte er auch, wenn jemand seine Partie nach dem x-ten Versuch nicht fehlerfrei vortrug, ungeduldig werden und sagte dann in seinem Leipziger Sächsisch: „Gönnse’s immer noch nich’, Mensch?“

Als er in Leipzig, seiner Geburtsstadt, ein Studium an der Musikhochschule begann, nach einer Ausbildung zum technischen Zeichner, galt er als schon zu alt für die Laufbahn eines Pianisten. Für die Karriere eines Kapellmeisters jedoch war er jung genug, lernte Korrepetieren und Dirigieren, bekam nach seinem Abschluss eine Stelle in Meiningen und ging dann ans „Metropol-Theater“ in Berlin, wo er zum ersten Mal Maria Mallé begegnete. Er dirigierte, sie sang eine Rolle im Musical „Sieg der Musen“, aber keiner von beiden ahnte, dass sie 40 Jahre später noch immer gemeinsam auftreten würden. Auch nachdem Werner Schieke an die Staatsoper gegangen war, begleitete er sie, entwarf Programme mit ihr, einen Abend mit Kurt-Weill-Liedern, die Geschichte der Kabarettsängerin Lola Blau, Chansons von Claire Waldoff. „Wir reisten von Kickritzpotschen bis Los Angeles“ , sagt Maria Mallé, „hatten alles, vom Klimperkasten bis zum Steinway.“ Sie nahmen Platten auf, sie arbeiteten mit Georg Kreisler. Nie jedoch drängte er sich mit seinem Spiel in den Vordergrund. Es gibt große Pianisten, die aber nicht zum Begleiter taugen. Werner Schieke besaß die Fähigkeit, bei aller technischen Versiertheit, sich zurücknehmen zu können.

Als das Metropol-Theater, die älteste Operettenbühne Deutschlands, 1997 schließen musste und das Ensemble entlassen wurde, gründete Maria Mallé die „Musikalische Komödie Berlin e.V.“, Werner Schieke übernahm die musikalische Leitung. Die Bearbeitung des Schauspiels „Fisch zu Viert“ wurde zu einem Kabinettstück des „Kleinen Musiktheaters“ und wurde mehr als hundert Mal aufgeführt. Ermutigt von diesem Erfolg, entstanden weitere Produktionen, „Casanovas letzte Liebe“ oder „Die schöne Galathee“.

Im April 2008 gaben sie ihren letzten gemeinsamen Abend. Es war, als lähme die Krankheit seine Hände, seine Arme. Er setzte sich nie wieder auf einen Klavierhocker, hob keinen Klavierdeckel mehr an, berührte keine der achtundachtzig Tasten. Er wusste, nichts würde so klingen wie zuvor. „Such dir einen jungen Kollegen“, sagte er zu Maria Mallé. Doch in dem Moment, in dem sie es ihm versprach, wusste sie, dass sie log. Es wird noch Zeit vergehen müssen, bis sie seine Bitte erfüllen kann. Tatjana Wulfert

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