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Kein Grund zum Jubeln: Michael Müller beim Landesparteitag in Lichtenberg.

© imago/Stefan Zeitz

Wiederwahl des SPD-Landeschefs: Michael Müllers schlechtes Ergebnis - und wie es dazu kam

Nur 64,9 Prozent für Michael Müller: Wer auf dem Landesparteitag für den Chef argumentierte, wer gegen ihn - und welcher Redner besonders viel Beifall bekam.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

An den harten Realitäten in Berlin kam der SPD-Landesparteitag nicht vorbei. Gleich zu Beginn sprangen ein paar Hausbesetzer aufs Podium, die sich ins Kellergeschoss des Andel’s-Hotel in Lichtenberg geschlichen hatten, in dem die Genossen am Sonnabend tagten. „Strafanträge fallen lassen“, stand auf dem Plakat. „Weg mit der Berliner Linie“, riefen die ungebetenen Gäste. Der Regierende Bürgermeister und SPD-Landeschef Michael Müller musste etwas warten, bis er seine Eröffnungsrede halten konnte.

An diesem Tag wollte Müller als Vorsitzender der Berliner Partei wiedergewählt werden. Er habe im Vorfeld gehört, rief er in den Saal, „heute soll ich einen Denkzettel bekommen“. Er frage sich nur, ob es das sei, was die Partei jetzt dringend brauche. Der SPD-Spitzenmann drohte den Genossen sogar ein bisschen: Er sei gern Landesvorsitzender der Berliner Sozialdemokraten, „aber ich muss es nicht sein“. Am Ende blieb er es trotzdem. Zumal kein Gegenkandidat in Sicht war.

Allerdings blieb das Wahlergebnis für Müller weit hinter den 81,7 Prozent zurück, die der Berliner Regierungschef vor zwei Jahren bekommen hatte. Die Genossen nahmen ihren Parteichef beim Wort und erteilten ihm mit 64,9 Prozent einen gehörigen Denkzettel. Sein Versuch, in einer engagierten Eröffnungsrede die gesamte Partei in Mithaftung zu nehmen für die Senatspolitik und die katastrophalen Umfragewerte, kam bei vielen Parteifreunden nicht gut an. Auf den Gängen, vor dem Kongresssaal, schimpften viele Delegierte über Müller. Nach Verkündung des schmalen Wahlergebnisses für den Berliner Parteichef gab es nur wenig Beifall für Müller, der die Wahl annahm.

"Auch ihr seid die Regierung"

Zuvor hatte er versichert, nichts schön reden zu wollen. Dem fügte Müller in seiner Rede aber sofort hinzu: „Wir haben in den letzten 30 Jahren für die Menschen in Berlin so viel erreicht!“ Er wolle sich nicht ständig entschuldigen und mit eingezogenem Kopf durch die Gegend laufen, weil dies und jenes falsch gelaufen sei, so Müller. Er wolle auch nicht aus der eigenen Partei hören, was in der Stadt nicht funktioniere.

Der SPD-Landeschef nahm seine Berliner Partei ausdrücklich in die Mitverantwortung. „Wir sind alle zusammen die SPD, und auch ihr seid die Regierung.“ Innerparteiliche Kritik in Form von Brandbriefen und Online-Aufrufen hält Müller für überflüssig. „Das brauchen wir nicht.“ Stattdessen forderte er die Landes-SPD auf, die Positionen sozialdemokratischer Senatsmitglieder zur Videoüberwachung gefährlicher Plätze, zum Neutralitätsgesetz und zu Hausbesetzungen nicht zu konterkarieren.

Auch die Bundespartei kritisierte Müller. Er habe Sorge, dass es in dieser Wahlperiode im Bund genauso weitergehe wie in der Vergangenheit. Die SPD sei fleißig und mache gute Vorschläge, sei in der großen Koalition aber wieder nicht erkennbar. Erneut griff der SPD-Landeschef die Politik des Bundesfinanzministers Olaf Scholz an. Es müsse mehr investiert werden, die schwarze Null sei ein Fetisch. Die Bundespartei müsse es auch ertragen, wenn das Land Berlin Bundesratsinitiativen zur Mietenpolitik einbringe, die über den schwarz-roten Koalitionsvertrag hinausgingen.

Zum Krach im Senat in der vergangenen Woche sagte Müller, dass es in der rot-rot-grünen Koalition eine „gute, tragfähige und vertrauensvolle Zusammenarbeit“ gebe. Er fühle sich in diesem Bündnis pudelwohl. Aber gelegentlich müsse es für den Regierenden Bürgermeister möglich sein, „zu sagen, dass es reicht“. Und natürlich gebe es Unterschiede in den inhaltlichen Positionen. „Rot-Rot-Grün ist nicht eine Partei.“

Viel Beifall für Kühnert

Die Schlüsselrede auf dem SPD-Landesparteitag hielt aber nicht Müller, sondern der Juso-Bundeschef Kevin Kühnert, auch wenn er nur drei Minuten Zeit dafür hatte. Der Beifall war groß. Kühnert kritisierte heftig den Zustand der Bundespartei und forderte vom künftigen SPD-Landesvorstand, politischer zu werden und eigene Impulse zu setzen. Außerdem brauche die Berliner SPD endlich wieder einen funktionierenden linken Flügel, nach dem Parteitag solle dieses Projekt angegangen werden. Auch müsse der Konflikt innerhalb der SPD-Fraktion, Kühnert sprach von „Soap-Opera“, beendet werden. Der Juso-Chef sprach damit den latenten Streit zwischen Anhängern Müllers und des Fraktionschefs Raed Saleh an. „Klärt oder entscheidet das Problem!“ Kühnert warnte auch eindringlich davor, die rot-rot-grüne Koalition in Berlin gegen die Wand zu fahren. Das Bündnis müsse zum Erfolg geführt werden. Sonst regiere nach der nächsten Berliner Wahl Jamaika oder Kenia.

Mit über 30 Redebeiträgen war der Diskussionsbedarf auf dem Parteitag vor der Wahl des neuen Vorstands groß. Die Redebeiträge reichten von dem Vorwurf gegen Müller, dass er als Parteichef nicht mehr tragfähig sei, bis zum großen Lob, dass die Berliner Sozialdemokraten mit Müller wieder bundesweit erkennbar seien. „Die Bevölkerung hat recht, wenn sie sagt, dass die Berliner SPD nicht in der Lage ist, ihre Probleme zu lösen“, meinte der Alt-Linke Hans-Georg Lorenz. „Hört auf zu jammern, so wird es nicht besser“, hielt die Bundesfamilienministerin Franziska Giffey gegen.

Die Juso-Landeschefin Annika Klose vermisste bei ihrer Partei den nötigen Mut zu eigenen Positionen und Aufbruchswillen. „Wir sind doch kein Abnickverein.“ Der Chef der Senatskanzlei Christian Gaebler forderte hingegen mehr Verständnis für Michael Müller ein. „Er ist auch nur ein Mensch, mit eigenen Gefühlen – und auch Verletzungen“. Und der Innensenator und Vize-Landeschef Andreas Geisel warnte davor, „dass wir uns weiterhin gegenseitig in die Knie treten“.

Der SPD-Landesparteitag stand erkennbar unter dem Eindruck von Meinungsumfragen, die die Partei im Bund und auch in Berlin bei 17 bis 18 Prozent sehen. In Außenbezirken wie Marzahn-Hellersdorf, wurde in der Debatte gewarnt, drohe der Partei bei der nächsten Wahl ein einstelliges Ergebnis. In einer neuen Umfrage des Instituts Forsa, die am Sonnabend im Auftrag von RBB und Berliner Zeitung veröffentlicht wurde, liegt der Regierende Bürgermeister Müller nur auf dem fünften Platz in der Beliebtheitsliste der Senatspolitiker. Auf Rang 1 steht weiterhin der Bürgermeister und Kultursenator Klaus Lederer (Linke), gefolgt von der Grünen-Bürgermeisterin und Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne).

Auch die politischen Kontroversen im Senat und zwischen den Koalitionsparteien SPD, Linke und Grüne trübten die Stimmung in der Partei. „Das Bild, das wir in der Öffentlichkeit bieten, ist nicht gut“, kritisierte der SPD-Kreischef in Pankow, Knut Lambertin.

Der chronologische Verlauf: Lesen Sie hier den Liveblog vom Parteitag nach.

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