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Berlin: Wir brauchen keine Gemeinschaftsschule

Berlin hat vorbildliche Gesamtschulen – wozu ein neues Experiment? Von E. Kampmann und L. Kreklau

Die Vorbereitungen auf die Aufführung eines Musicals in der Musikklasse der Martin-Buber-Gesamtschule laufen auf Hochtouren. Alle sind voll bei der Sache. Was die Neuntklässler verbindet, ist ihre Neigung zur Musik: Alle müssen ein Instrument spielen, haben fünf bis sechs Stunden pro Woche bei ihrer Musiklehrerin, die gleichzeitig ihre Klassenlehrerin ist. Das verbindet. Auf Musikabenden zeigen die Schüler ihr Können. Dass sie darüber hinaus noch in den nachmittäglichen Arbeitsgemeinschaften im Chor singen, Geige spielen oder in der Jazzband trompeten, verstärkt ihr Zusammengehörigkeitsgefühl – auch wenn sie in den Hauptfächern nach Leistung getrennt werden. Was hier beschrieben wurde, ist der Kern des Schulprofils: An der Martin-Buber-Schule werden Neigungsklassen gebildet. Die Kinder haben die Wahl zwischen der Musik, Sport, Technik und Naturwissenschaften, Mathematik und Kunst als Schwerpunkt. Selbst Ziele und Themen von Wandertagen und Klassenfahrten werden entsprechend ausgewählt. Das Angebot ist so attraktiv und erfolgreich, dass auch begabte und leistungsstarke Kinder zu uns kommen. Insgesamt können alle Klassen so zusammenstellt werden, dass zu etwa gleichen Teilen Kinder mit Gymnasial-, Hauptschul- und Realschulempfehlung versammelt sind.

Durch die Neigungsklassen wird erreicht, dass auch die schwächer begabten Kinder keine Schulversager werden, denn sie erhalten Anerkennung in den Feldern, die ihnen liegen. Letztlich führt das dazu, dass fast alle Schüler einen Abschluss schaffen. Gleichzeitig werden gute Abiturergebnisse erzielt. Bei den Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss und bei der Schulinspektion erzielte die Schule überdurchschnittliche Ergebnisse. Die Anmeldezahlen gehören zu den höchsten in Berlin.

Wer nun aber glaubt, dass dieses gute Beispiel Schule machen würde, sieht sich enttäuscht. Anstatt von den erfolgreichen Gesamtschulen zu lernen, die es mit guten Konzepten geschafft haben, eine ideale Schülermischung zu erreichen, wollen SPD und Linkspartei einen neuen Schultyp – die „Gemeinschaftsschule“ – kreieren. Warum aber, so muss man sich fragen, sollten Eltern ihre leistungsstärkeren Kinder an diesem Schultyp anmelden, wenn es als Parallelangebote weiterhin Gymnasien oder Gesamtschulen mit Kursen gymnasialen Zuschnitts gibt? Wo doch Eltern nichts mehr befürchten, als dass ihre Kinder nicht ihrem jeweiligen Leistungsvermögen entsprechend gefordert und gefördert werden. Und die Eltern haben Recht mit dieser Vorsicht, denn wenn in Klassen die „Leuchttürme“ fehlen, funktioniert das Prinzip des gemeinsamen Forderns und Förderns nicht, man bleibt „second class“. Die Gesamtschule in Berlin ist in den siebziger Jahren unter sehr ungünstigen Vorzeichen gestartet. Viele Fehler wurden gemacht. Riesige Mittelstufenzentren mit teilweise zehn Parallelklassen entstanden in Betonklötzen. Nachdem Asbest in den Gebäuden festgestellt worden war, folgte die Auslagerung in provisorische Standorte. Häufig gab es keine gymnasialen Oberstufen und ein unausgegorenes Ganztagsprofil. Nach 30 Jahren muss man resümieren, dass wahrscheinlich nicht mehr als fünf der 60 Gesamtschulen die für erfolgreiche Gesamtschularbeit notwendige Schülermischung mit je einem Drittel von Gymnasial-, Realschul- und Hauptschulkindern haben.

Aber was heißt hier „erfolgreich“? In keinem anderen Land der Welt hängt die Schulleistung derart von der sozialen Herkunft ab wie in Deutschland, zeigte die Pisa-Studie. Und wer will denn angesichts des jährlichen Scheiterns von rund 1000 Berliner Schülern im Probehalbjahr der Gymnasien und Realschulen und angesichts der Tatsache, dass jeder zehnte Schüler keinen Abschluss bekommt, angesichts von „Rütli“ und der Hauptschulmisere überhaupt vom „Erfolg“ des dreigliedrigen Schulsystems reden?

Immerhin haben es manche Gesamtschulen geschafft, zu den anerkanntesten Schulen Berlins zu gehören, indem sie interessante Profile entwickelten, Vor- und Nachteile des Systems erkannten, ihre strukturellen Möglichkeiten nutzten, sich dem Leistungsvergleich stellten. Wenn man nun dennoch meint, einen neuen Gesamtschultyp, die Gemeinschaftsschule, erproben zu wollen, sollte man sehr viel Geld mitbringen. Denn sie soll ja nach skandinavischem Vorbild arbeiten, was heißt, dass Schüler auch in den Hauptfächern nicht nach Leistungsvermögen getrennt werden. Alle sollen zusammen unterrichtet werden. Wie dies in den harten Prüfungsfächern wie Mathematik, Deutsch und Englisch ohne erheblich mehr Personalaufwand gelingen soll, bleibt ein rot-rotes Rätsel.

Es herrscht nach wie vor ideologischer Grabenkrieg, wo schon längst auf Erfahrungen anderer zurückgegriffen werden könnte. Politisch ist es aberwitzig, die nächste Sau, diesmal die Gemeinschaftsschule, durchs Dorf zu treiben und eigentlich schon vorher zu wissen: Man wird sie letztendlich schlachten. Von den Erfahrungen anderer zu lernen, könnte hilfreich, sinnvoller und billiger sein. Wir brauchen keine Gemeinschaftsschulen!

Elmar Kampmann hat die Martin-Buber-Schule in Spandau von 1990 bis 2005 geleitet. Lutz Kreklau ist sein Nachfolger.

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