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Carola Zarth, Präsidentin der Handwerkskammer Berlin (links) und Bettina Jarasch, die Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen zur Abgeordnetenhauswahl 2021 teilen eine Position zur Diversität in der Verwaltung.

© Marie Staggat/Handwerkskammer Berlin; Doris Spiekermann-Klaas/TSP

Appell von Berliner Grünen und Handwerkskammer: „Wir müssen die Vielfalt in der Verwaltung erhöhen“

Die Novellierung des Migrationsgesetzes ist ein wichtiger Schritt zur Modernisierung der Stadt Berlin. Davon würden alle profitieren. Ein Gastbeitrag von

Berlin ist Metropole geworden, auch weil zugewanderte Handwerker*innen ihre Arbeitskraft und ihr Können für die damals noch unbedeutende Stadt an der Spree zur Verfügung stellten. Das war Ende des 17. Jahrhunderts, die Zuwanderer*innen waren verfolgte Hugenotten und insbesondere ziemlich gut in allem, was mit der Verarbeitung von Stoffen zu tun hatte. Berlin ist eine Stadt, die seit mehr als 300 Jahren von und mit Migrant*innen lebt. Sie sind zahlreich in den unterschiedlichen Gewerken des Handwerks tätig. Denn gerade im Handwerk gilt: „Bei uns zählt nicht wo man herkommt, sondern wo man hinwill!“ Darunter sind der polnische Klempner, der aus Syrien geflohene Tischler oder die in Schöneberg geborene Friseurin, deren Eltern einst aus der Türkei zu uns kamen. Aber sie sind nicht nur angestellt, sondern auch Betriebsinhaber*innen: Sie bieten Arbeitsplätze, halten diese Stadt am Laufen. Sie sind repräsentativ für Berlin.

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Und sie treffen auf eine Verwaltung, die nicht repräsentativ ist für Berlin. Die Verwaltung ist nicht nur im Vergleich zum Rest der Stadt relativ alt – geschuldet den langen Jahren ohne nennenswerte Neueinstellungen. Sie ist auch weniger vielfältig als die Stadtgesellschaft. Im öffentlichen Dienst liegt der Anteil an Mitarbeitenden mit Migrationshintergrund gerade mal bei zwölf Prozent verglichen mit den mehr als ein Drittel der Berliner*innen mit Migrationshintergrund.

Wir setzen uns für eine vielfältige diskriminierungsfreie Gesellschaft ein, weil sie Teil unseres demokratischen Grundkonsenses ist. Sie ist aber noch viel mehr: Die Vielfalt dieser Stadt ist ein echter Wettbewerbsvorteil und ein Standortfaktor. Und das nicht erst seit gestern. Betriebe und Unternehmen mit hoher Diversität sind erfolgreicher, das ist mittlerweile dutzendfach belegt. Warum sollte das ausgerechnet für den öffentlichen Dienst nicht gelten? Eigentlich ist es der erklärte Wille der Berliner Regierungskoalition, endlich auch die Vielfalt in der Verwaltung zu erhöhen. Die entsprechende Novellierung des Partizipations- und Migrationsgesetzes war lange vorbereitet und intensiv mit vielen Verbänden und Organisationen diskutiert.

Eine Muslimin mit Kopftuch im Öffentlichen Dienst? (Symbolbild)? Es gehe nicht um Quoten. "Den Job soll auch morgen diejenige Person bekommen, die am besten geeignet ist", schreiben die Autorinnen.
Eine Muslimin mit Kopftuch im Öffentlichen Dienst? (Symbolbild)? Es gehe nicht um Quoten. "Den Job soll auch morgen diejenige Person bekommen, die am besten geeignet ist", schreiben die Autorinnen.

© imago stock&people

Umso bedauerlicher war es daher, dass der Entwurf jetzt auf den letzten Metern zu einer sonderbaren Debatte um Migrantenquoten und Integration geführt hat. Zumal es bei dem Gesetz weder um die Einführung einer harten Quote noch um Integration geht. Sehr wohl aber um Zielgrößen, die sich am tatsächlichen Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund an der Stadtbevölkerung orientieren. Und um verbindliche, nachweisbare Maßnahmen, weil freiwillige Selbstverpflichtungen leider alleine oft nicht genügen. Das haben die Erfahrungen mit der Gleichberechtigung von Frauen in Führungspositionen deutlich gemacht.

Wir sehen das Gesetz als einen überfälligen Schritt zur Verwaltungsmodernisierung. Als eine Maßnahme, von der alle profitieren: die Verwaltung, die dringend gut qualifizierten Nachwuchs braucht, die Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt. Denn Zugehörigkeit hat auch etwas mit Sichtbarkeit zu tun. Die Debatte um Integration und Quote hat aus einem rundum positiven Schritt etwas gemacht, bei dem es vermeintlich Gewinner und Verlierer gibt.

[Alle Beiträge rund um die Wirtschaft in Berlin und Brandenburg lesen Sie hier]

Statt moderner Organisationsentwicklung war wieder ein Kulturkampf zu beobachten. Dabei ging es nie darum, dass Ayshe eine Stelle im öffentlichen Dienst bekommt, obwohl Stefan besser geeignet ist. Es geht darum, dass sie sich bewirbt, im Vertrauen darauf, eine faire Chance zu erhalten. Und dass sie dann auch zum Bewerbungsgespräch eingeladen wird. Den Job soll auch morgen diejenige Person bekommen, die am besten geeignet ist. Aber in einer internationalen Metropole sollte es durchaus auch zu einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst gehören, mehrere Sprachen zu sprechen oder sich in verschiedenen Kulturkreisen auszukennen.

Wir plädieren dafür, die Debatte wieder sachlicher zu führen. Und jetzt nicht bei dem ersten richtigen Schritt stehen zu bleiben, der mit dem Gesetz gemacht werden soll. Es geht um die diversitätsorientierte Organisationsentwicklung und um Partizipationsstrukturen, die auch mit entsprechenden finanziellen Mitteln und Personal unterlegt sein müssen. Es geht darum, dass die Berliner Wirtschaft genau wie die Zivilgesellschaft in der Berliner Verwaltung eine Partnerin hat, die ihr in ihrer Vielfalt entspricht. Die ihr auf Augenhöhe begegnet.

Fragt man Expert*innen, wie man diverse Unternehmen schafft, dann geht es um konkret definierte Ziele, modernes Recruiting und eine inklusive Unternehmenskultur. Berlin sollte das auch für seine Verwaltung tun. Und machen wir uns nichts vor: Weder in Unternehmen, noch in der Politik ändern sich Strukturen von ganz alleine.

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