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Immer wieder wird in Berlin gegen die Wohnungsnot protestiert.

© imago/STPP

Wohnungsnot in Berlin: Ex-Senator Branoner: "Die Linke will keinen Zuzug"

Ex-Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner (CDU) über Lompschers Mietenpolitik, Wachstumshemmer und ein Leitbild für Berlin.

Wohnungsnot, Konkurrenzkampf um Baulandflächen, Verteilungskampf zwischen den Senatsverwaltungen für Wirtschaft und Wohnen um die übrig gebliebenen Brachen – Stadtentwicklungssenatorin Lompscher ist unter Druck wie nie. Und jetzt hat der Senat beschlossen, dass sie bis September ein Konzept zur Beschleunigung des Wohnungsbaus vorlegt. Recht so?

Ja, aber das reicht nicht aus. Wer a sagt muss auch b sagen und handeln. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller muss den Neubau zur Gesamtaufgabe des Senats erklären und einen Ausschuss mit allen Fachsenatoren gründen, der dann zügig Entscheidungen trifft. Das hat nichts mit Parteipolitik zu tun, sondern es ist ein Verwaltungsakt, der Wohnen zur Priorität erklärt. Dazu zählt auch die Schaffung von 50.000 neuen Stellen in Bezirken und Senat. 20.000 fehlen schon und weitere 30.000 fallen wegen Pensionierungen weg. Durch Neueinstellungen wären auch zügige Genehmigungen von Bauplänen kein Thema mehr.

Sie verantworteten die Stadtentwicklung Berlins in mehreren Ämtern in einer ähnlichen Wachstumsphase wie heute. Ihr Urteil zur Wohnungspolitik heute?

Es sind gegensätzliche Bestrebungen am Werk. Die Linke macht Mietenpolitik, wünscht Wohnungsbau im Umland und versucht, dem Markt Wohnungen zu entziehen, um sie in staatliche Hand zu überführen. Dem Wohnungsbedarf trägt sie damit keine Rechnung. Sie schützen die, die eine Wohnung haben. Die anderen sollen nicht unbedingt herkommen, wo sie schon sind.

Nicht wirklich linke Gesinnung?

Widersprüchlich, weil die Linke eigentlich dafür eintritt, Grenzen zu öffnen und andere Menschen einzuladen. In Berlin schafft sie aber nicht die Voraussetzung für Zuzug. Das hat eine politische Komponente. Denn gerade dort, wo die Linke stark ist, gibt es Potenziale für Wohnungsneubau. Aber Neubau würde die Wählerstruktur ändern. Also wird mit staatlichen Mitteln die eigene Grundlage für Wahlerfolge gefestigt. Deshalb will die Linke keine Veränderung, keinen Zuzug.

Und Angst vor der Wohnungsnot wächst?

Weil eine Kannibalisierung des vorhandenen Wohnraums stattfindet zulasten derer, die sich die Mieten nicht leisten können. Deshalb haben die Leute Angst, ihre Wohnung zu verlieren. Und deshalb finden Menschen, die herkommen, keine Wohnung. Es gilt staatlicherseits Strukturen zu schaffen für ein größeres Angebot, was übrigens zutiefst christdemokratisch ist. Wir brauchen einen Beschleuniger der Prozesse ähnlich wie andere Bundesländer sie haben. Zumal Wohnen ein Standortfaktor ist.

Im Wettbewerb der Regionen wechselt Berlin deshalb auf die Verliererseite?

Jedenfalls beraten wir Firmen, die nach Berlin wollen, die aber den Aufwand für die Ansiedlung nicht betreiben wollen. Sie reden dann lieber mit Hamburg. Ansiedlungsentscheidungen werden anhand einer Fülle von Kriterien getroffen, darunter Sicherheit, Schule, kulturelle Angebote – und auch Wohnungsnot und verkehrliche Anbindung. Und dabei fällt Berlin hinten runter. Die anderen Regionen wissen das und handeln.

Diese Risiken erkennt der Senat nicht?

Die Wirkung der politischen Blockade und die Bedeutung von Wohnraum für die wirtschaftliche Entwicklung wird durchdrungen, die Verwaltungsverfahren werden aber nicht verkürzt. Die Ressourcen sind da: Geld, aber das müsste zur Aufstockung des Personals in den Ämtern eingesetzt werden. Externe könnten auf Zeit eingesetzt werden wie es Hamburg beim Schulbau gemacht hat. Dazu braucht es aber auch den Willen zum Handeln. Wenn die Koalition das Wachstum nicht will, dann sollte sie es politisch auch so sagen. Wenn sie es aber will und nicht kann, helfen wir ihr gerne.

Und es fehlt woran?

An einer kohärenten Strategie. Dabei sind die Anrainer in der City West beispielsweise sehr offen für die Chancen von Veränderungen. Dabei wird das Quartier weiterentwickelt durch einen Masterplan. Wie die Anrainer sich mit Vorschlägen einbringen, hat mich sehr positiv überrascht.

Wolfgang Branoner
Wolfgang Branoner

© U. Grabowsky/photothek/Imago

Weil dort eher Gewinner leben, aber an der Karl-Marx-Allee will kaum jemand Verdichtung – aus Angst vor Verlust?

Eher weil das Leitbild für Berlin fehlt. Veränderung bedarf immer einer Erklärung, warum es gut oder auch schlecht ist. Früher hat der Regierende Bürgermeister in Fernsehsendungen Stellung genommen, wenn „der Schuh drückt“. Der Wunsch der Menschen nach Partizipation ist da. Aber Veränderung kann auch verunsichern und dann wollen viele das Geregelte zurück. Sie gehen zu Stammtischen, versammeln sich in kleinen Gruppen. Das erklärt den Erfolg der AfD. Diese stellt der Veränderungsgeschwindigkeit eine vermeintliche Sicherheit gegenüber, verspricht Ruhe und Ordnung. Wir alle suchen eine Richtung. Aber der Senat gibt keine vor. Das löst grundsätzliches Unbehagen aus, das sich artikuliert beim Wohnen oder dem Gefühl der Unsicherheit.

Wenn die Menschen mitgestalten wollen, packt Lompscher doch das richtige Thema an?

Schon, und ich bin grundsätzlich für Partizipation. In Wachstumsjahren nach der Wende haben wir freitagnachmittags bis samstagabends mit 150 Leuten diskutiert, wohin Berlin gehen soll. Die Ergebnisse flossen in den Flächennutzungsplan ein, der die Grundlage für das Wachstum war. Mit fünf Millionen Bewohnern haben wir gerechnet. Wir kommen nun hin, worauf wir damals zusteuerten. Heute braucht es wieder eine solche Diskussion um das Leitbild der Stadt, der Senat muss dazu den Mut haben.

Die Verwerfungen sind heute heftiger und die Euphorie der Einheit futsch.

Damals mussten auch Operationen abgesagt werden, weil Ärzte fehlten, Busse blieben stehen, weil Fahrer in den Westen gingen. Der Berliner Industrie gingen 170.000 Arbeitsplätze verloren. Damals steuerte Berlin auch ins Ungewisse.

Aber es gab ein Versprechen auf Neubeginn, das heute fehlt?

Richtig, aber wir können über ein gesellschaftliches Leitbild reden: Gesundheit, Bildung, Pflege und wie die Stadtgesellschaft in Berlin funktionieren soll. Das kann den gleichen Wert haben wie der Treibriemen Wiedervereinigung damals hatte. Wir verändern uns, und trotzdem halten wir am Gemeinsinn fest und reaktivieren ihn. Früher wurden diese Fragen in Kirchen oder Parteien diskutiert und in die Gesellschaft hineingetragen. Das ist verloren gegangen durch die soziale Isolation in der Teilhabe am virtuellen Raum. Jeder Zweite schaut heute morgens in der U-Bahn in sein Handy.

Wolfgang Branoner, 62, ist CDU-Politiker und war als Stadtrat und Staatssekretär zuständig für Stadtentwicklung und von 1998 bis 2001 Wirtschaftssenator. Heute ist er als Berater tätig.

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