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Historischer und moderner Wohnraum an der Frankfurter Allee im Berliner Bezirk Friedrichshain

© dpa/Wolfgang Kumm

Wohnungsnot in Berlin: Sieben Thesen zum geplanten Mietendeckel

Berlins rot-rot-grüner Senat will diese Woche seinen Plan für eine Preisobergrenze bei Mieten beschließen. Höchste Zeit, mit ein paar Vorurteilen aufzuräumen.

Der rot-rot-grün geführte Senat macht Ernst: An diesem Dienstag will er „die Eckpunkte“ zum Mietendeckel beschließen. Kein Thema entzweit die Stadt der Mieter und Vermieter mehr als die rot-rot-grüne Wohnungspolitik. Fünf Jahre lang sollen die Mieten nicht mehr steigen. Ein Eingriff in das Eigentumsrecht, schimpfen Hausbesitzer. Manche fürchten im ihre Existenz. Sozialistisches Teufelswerk, rufen Bewahrer des freien Marktes und sehen den Wirtschaftsstandort Berlin gefährdet. Viele Mieter dagegen und viele, die eine Wohnung suchen, empfinden die unaufhörlich steigenden Mietpreise als zunehmend existenzbedrohend. Aber was kommt mit dem Mietendeckel tatsächlich auf die Stadt zu. Höchste Zeit, ein paar Gemeinplätze zu hinterfragen.

1. Der Mietendeckel ist Enteignung

Falsch, die geplante Obergrenze für Mieten korrigiert die Verteilungspolitik. Richtig ist, dass die Leitplanken, die den Markt regulieren, durch den Mietendeckel neu gezogen werden. Regeln für den Wohnungsmarkt gibt es aber schon heute. Nur wer den totalen Markt predigt, will diesen komplett abschaffen. Die richtige Frage lautet also: Welche Regulierungen gibt es bisher und wer profitiert davon? Die Niedrigzinspolitik, die der Staat durch seine Eingriffe in den Finanzmarkt durchgesetzt hat, hat die Mietwohnungen für Investoren überhaupt erst attraktiv gemacht. Zuvor machten diese einen Bogen um Wohnungsinvestitionen.

Der Staat belohnt außerdem Modernisierungen, nicht aber Instandhaltungen, indem Investoren die Kosten dafür auf die Mieten aufschlagen können. Enteignet wurden durch diese Politik die Sparer. Im „Sparbuch“-fixierten Deutschland sind das viele kleine Leute. Wer es sich leisten kann, macht deshalb in Immobilien, vor allem Profis. Die werden belohnt – bisher auf Kosten der Mieter. Propaganda ist das nicht, sondern statistisch belegt: Der Anteil, den Mieter in Metropolen von ihrem verfügbaren Einkommen fürs Wohnen ausgeben müssen, steigt steil an – viel schneller als die Einkommen. Statistisch belegt ist auch der steile Anstieg der Gewinne der Wohnungskonzerne.

2. Das gibt Pleiten, reihenweise

Falsch, in den Eckwerten zum Gesetzesentwurf gibt es eine „Härtefallregelung“. Die Frage ist nur, wie diese ausgestaltet wird. Um der unterschiedlichen wirtschaftlichen Realitäten von Finanzkonzernen ohne (oder mit nur geringfügiger) Steuerlast sowie privaten Eigentümern einzelner Wohnungen mit voller Steuerlast gerecht zu werden, muss das Gesetz deren unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen gerecht werden. Bei Privateigentümern müsste ein Kassensturz erfolgen anhand aller Steuerbescheide (Einnahmen aus Vermietung) vom Tag des Kaufs an.

Wer im Minus ist, sollte nicht bestraft werden, sonst entlastet der Senat die einen (Mieter) auf Kosten der anderen (Eigentümer). Bei den Konzernen kann die Bilanz herangezogen werden – die ist dank gewährter Steuerfreiheit (etwa bei „Share Deals“ – also dem Handel von Wohnungen in Form von Firmenanteilen, für die dann keine Grunderwerbsteuer fällig wird) und der vielen Wellen von Mieterhöhungen entsprechend positiv. Ein fünfjähriges Moratorium kann dort als verschmerzbar gelten.

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3. Die Mieten deckeln? Das darf das Land gar nicht

Falsch, der Senat kann das Gesetz zur Einführung des Mietendeckels einfach erlassen. Das gilt dann erst mal. Vermieter können sich zwar über die Verbote hinwegsetzen, dann können aber die Mieter die Zahlung verweigern und das zuständige Amt auffordern einzuschreiten. Das schickt dem Vermieter dann einen Mahnbescheid mit Bußgeld-Androhung. Dagegen wird der Vermieter Einspruch einlegen und muss vor Gericht ziehen. Das Gericht wird den Fall dann wegen der grundsätzlichen Bedeutung an das Verfassungsgericht weiterleiten. Das alles dauert. Sollte das Gesetz kassiert werden, wird kein Schadenersatz fällig, weil hier öffentliches Recht verhandelt wird. Der Senat wäre fein raus – und die Mieter auch.

4. Dann investiert doch keiner mehr

Falsch. Wahrscheinlicher ist genau das Gegenteil: nämlich, dass Kapital künftig massiv in den Neubau fließt. Bisher ist das nicht so: Konzerne und Immobilienprofis kaufen Altbauten, weil mit deren Modernisierung und Mietenerhöhungen viel schneller viel mehr Geld zu machen ist. Dieses Geschäftsmodell ist mit Einführung des Mietendeckels tot. Das gilt nicht für den Neubau: Für solche Mietwohnungen können Investoren auch künftig hohe Mieten (in den Grenzen des Ortsüblichen) erlangen. Denn für Neubauten gilt der Mietendeckel nicht.

5. Dann werden eben alle Mietwohnungen in Eigentum umgewandelt

Richtig, damit ist zu rechnen. Aber muss das nur schlecht sein? Ein größeres Angebot an Eigentumswohnungen wird die Preise nach unten drücken. Der Senat könnte ein Förderprogramm aufsetzen, damit „normale Mieter“ ihre Wohnungen kaufen können. Viele würden das tun, wenn sie nur könnten, das zeigen die vielen „Hausprojekte“. Der Senat ist hier gefordert, kluge Förderungen anzubieten, für Hausgemeinschaften und Mieter. Auch das ist eine Möglichkeit, wie die Berliner ihre Stadt zurückkaufen können.

6. Dann werden die Häuser verfallen, weil keiner mehr saniert

Falsch, der Mietendeckel soll nur die Modernisierung verbieten, nicht Instandhaltungen. Das ist genau so erwünscht, denn das Geschäft mit Modernisierungen ist zu schön. Dank billiger Kredite können „Investoren“ Häuser fast zum Nulltarif aufhübschen und die auf Pump erzeugten Kosten außerdem noch auf Mieter umlegen („Modernisierungsumlage“).

Das gilt nicht für Instandhaltungen. Einen Rohrbruch, eine defekte Stromleitung oder einen stecken gebliebener Aufzug müssen Eigentümer auch künftig reparieren. Achtung, hier ist das Gesetz unausgegoren – und braucht eine Präzisierung: Die Kosten für Handwerker steigen, wenn die Mieten gedeckelt werden, geht das einseitig zu Lasten der Eigentümer.

7. Durch den Mietendeckel entsteht keine einzige neue Wohnung

Richtig, aber mit dem Gesetz profitiert auch kein Vermieter mehr von der Wohnungsnot. Richtig ist aber auch, dass der Mietendeckel nur sinnvoll sein könnte, wenn während dessen Geltungsdauer (fünf Jahre) viele neue Wohnungen entstehen. Darauf verlassen sich diejenigen, die eine Wohnung suchen. Der Senat steht in der Bringschuld.

Versagt er hier erneut, dann entlarvt er sich als populistischer Profiteur: Statt die Wohnungsnot wirksam zu bekämpfen, gibt er einseitig den Hauseigentümern die Schuld daran und bürdet diesen die Lasten für eigene baupolitische Versäumnisse auf. Spätestens, wenn die letzte freie Wohnung vergeben ist und der Mietendeckel nicht verlängert werden darf, geht diese Taktik nicht mehr auf.

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