Berlin: Zu kurz gefasst
Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker
Stand:
Was nicht mehr vorhanden ist, kann man nicht bewahren, natürlich nicht. Nur die Erinnerung an das Gewesene kann man bewahren, zum Beispiel an die Teilung Berlins und die Mauer. Hierzu steht in einem langen Antrag der CDU-Fraktion: „Die Bewahrung der SED-Diktatur..., aber auch der Protest der Menschen in der DDR im Jahr 1989 müssen für nachkommende Generationen greifbar und verständlich gemacht werden.“ Nanu! Ist die CDU etwa für die „Bewahrung der SED-Diktatur“? I bewahre, sie hat sich bloß an der falschen Stelle kurz gefasst. Das passiert auch Politikern oft. Die tollsten Stilblüten kommen dabei heraus.
Was bitte sind „Patenschaften für Zwangsverheiratung“, welche die Abgeordnete Canan Bayram (SPD) in der Parlamentsdebatte anlässlich des Internationalen Frauentages lobte? Sie merkte ebenfalls nicht, dass sie das Gegenteil dessen sagte, was sie meinte, nämlich nicht die Unterstützung der Zwangsverheiratung, sondern tätige Hilfe für Frauen, die sich aus einer erzwungenen Ehe lösen.
Emine Demirbüken-Wegner (CDU) wollte in der Fragestunde des Abgeordnetenhauses wissen: „Welche präventiven und reaktiven Maßnahmen hat der Senat gegen das Anwachsen der ,Straßenkinder‘ ergriffen?“ Hoffentlich gar keine, der Senat wird Kinder ganz bestimmt nicht daran hindern zu wachsen. Aber nein, das war kein Versprecher. Mündliche Anfragen werden ja vorgelesen, und im ersten Teil der Frage hatte sie sich auch korrekt nach der wachsenden Zahl der Straßenkinder erkundigt. Die FDP-Fraktion monierte in einem Antrag: „Bei der Betreuung von Kleinkindern in Berlin sind Tageseltern leider vom Umfang her von untergeordneter Bedeutung.“ Damit wollte die FDP sicher nichts über den Leibesumfang von Tagesmüttern oder -vätern sagen, sondern schlicht kritisch auf die geringe Zahl der Tageseltern hinweisen.
„Ein vom Senat beauftragtes Gutachten weist aus...“, behaupteten die Grünen in einem Antrag, der reinste Nonsens, zu komisch. Noch kürzer ist gelegentlich von „senatsbeauftragten Gutachten“ die Rede. Die Vorstellung, dass ein Gutachten einen Senatsauftrag erhält, ist absurd, nicht wahr. Klar, es handelt sich um ein Gutachten, das im Auftrag des Senats erarbeitet wurde. Doch mit der Form nimmt man es nicht mehr so genau. „Der Senat hat in einer Kleinen Anfrage der Fraktion Bündnis90/Die Grünen selbst die Notwendigkeit formuliert...“, heißt es in einem Antrag dieser Fraktion. Schon gut, gemeint war die schriftliche Antwort des Senats, übrigens auf die Kleine Anfrage eines einzelnen Abgeordneten; Fraktionen stellen solche Anfragen nicht.
Wir sehen: In der Kürze liegt nicht immer die Würze, sondern oft die lächerliche Groteske.
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