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Ein Weltkünstler. Christo starb am Pfingssonntag.

© REUTERS

Zum Tod von Christo: Der Verzauberer

Zusammen mit seiner Frau Jeanne-Claude eroberte er öffentliche Räume und faszinierte die Menschen durch seine Kunst. Ein Nachruf auf den Weltkünstler Christo.

Er war ein Weltkünstler. Nicht einfach nur in dem Sinn, dass alle bedeutenden Schöpfer ein Stück neue Welt erfinden, wenn sie in ihren Werken ein bisschen Genie und Gott spielen. Nein, Christo ist wirklich hinaus gegangen in die Städte, in die Kontinente, an die Küsten von Flüssen und Meeren.

Bei seinem letzten noch ganz realisierten Großprojekt 2016 auf dem oberitalienischen Iseo-See hat er sogar über eine Million Menschen auf orangeroten Pontons, auf seinen „Floating Piers“, ganz leibhaftig übers Wasser gehen lassen. Was angesichts seines (realen) Künstler-Namens natürlich auch zu biblischen Vergleichen angeregt hat.

Der schmale Mann mit den im Alter grauweiß gewordenen Struwwelpeterhaaren, zäh, dickköpfig, von sprödem Charme, hintergründigem Witz und immer mitreißender Ideenkraft hat dabei zusammen mit seiner Partnerin Jeanne- Claude mehr als jeder andere bildende Künstler den öffentlichen Raum erobert. Hat urbane Architekturen ebenso wie Küsten und Wüsten mit seinen legendären „Verpackungen“ gleichsam verzaubert und neu wahrnehmen lassen.

Als 1995 der Berliner Reichstag hinter synthetischen Stoffen für zwei Wochen verschwand, war der Bau mit seiner Historie dennoch gegenwärtiger denn je. Christo machte unsichtbar sichtbar, er hat das erotische Wechselspiel von Verhüllung und Entblößung mit einem einzigartigen Kunstgriff (der wie im Berliner Fall 23 Jahre Vorarbeit und enorme Logistik erforderte) umgedreht und damit auch an historischen Orten nochmals friedliche, sinnenfreudige Weltgeschichte geschrieben. Christo hat so das Schwerste durch Schönheit und Grazie leicht gemacht.

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Nun ist er zwei Wochen vor seinem 85. Geburtstag in New York zu Hause gestorben. Christos Büro fügt in der ersten Nachricht sogleich „eines natürlichen Todes“ hinzu, wobei die Erklärung in diesen Zeiten nicht mehr das Dementi eines Kriminalfalls meint.

Seine letzte Ausstellung fiel Corona zum Opfer

Allerdings, wegen der Pandemie konnte der trotz seiner sprühenden Energie körperlich zuletzt eher zart wirkende Christo in diesem Frühjahr nicht mehr nach Paris und nach Berlin fliegen. So harrt die mit über 300 Werken im Centre Pompidou bereits seit März fertig installierte Schau „Christo und Jeanne-Claude: Paris!“ als Hommage zur lebenslangen Verbundenheit des Künstlers und seiner 2009 verstorbenen Frau mit der französischen Hauptstadt noch immer der Eröffnung.

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Auch sein jüngstes Projekt, die Verhüllung des Pariser Arc de Triomphe mit 25 000 Quadratmetern recycelbarem silberblauem Kunststoff musste auf den September 2021 verschoben werden. Es hätte, weil der berühmte Torbogen auch noch mit 7000 Metern roten Kordeln umwickelt wird, die besondere Geschenkpackung zu seinem 85. Geburtstag werden können.

Allein in Berlin, wo sich ab 24. Juni die Verhüllung des Reichstags zum 25. Mal jährt, ist Christo derzeit immerhin in der Ausstellung der Sammlung Ingrid und Thomas Jochheim im Palais Populaire der Deutschen Bank visuell präsent: mit Erinnerungen an Projekte Christos und Jeanne-Claudes aus fünf Jahrzehnten. Hier freilich steht die einst sensationelle, im Gedächtnis der etwa fünf Millionen Augenzeugen bis heute unvergessliche Reichstags-Verwandlung im Mittelpunkt.

Zahlenspiele prägten Christo

Wie ein Hauch Christo, wie eine letzte, dafür aber dauerhafte Anspielung noch auf die schimmernde Schwebkraft des 1995 in eine Silberwolke verzauberten „Wrapped Reichstag“ wirkt immerhin noch die gläserne Kuppel, die Norman Foster später dann auf den restaurierten Parlamentsbau gesetzt hat. Der britische Architekt ist fast gleichaltrig: Am Montag ist er, einen Tag nach Christos Tod, 85 geworden.

Schönheit als Zeichen von Freiheit. 2016 liefen 1,3 Millionen Menschen über „The Floating Piers“ auf dem italienischen Iseosee.
Schönheit als Zeichen von Freiheit. 2016 liefen 1,3 Millionen Menschen über „The Floating Piers“ auf dem italienischen Iseosee.

© AFP

Christos Leben haben Zahlenspiele und entsprechende Koinzidenzen ohnehin geprägt, denn er und seine Lebens- und Arbeitspartnerin Jeanne-Claude wurden beide am 13. Juni 1935 geboren. Jeanne-Claude in der marokkanischen Stadt Casablanca als Tochter eines französischen (Kolonial-)Offiziers und späteren Generals, er mit dem Namen Christo Vladimirow Javacheff in der bulgarischen Stadt Gabrovo. Ihr Zusammentreffen, hat er einmal bemerkt, habe wohl in den Sternen gestanden.

1957 floh er aus Bulgarien nach Wien

Tatsächlich ist Christo 1957 aus dem damals stalinistischen Bulgarien vor Repressalien und dem Diktat des Sozialistischen Realismus via Prag nach Wien geflohen, in einem Güterwagen. Vom Vater, der bis zur Enteignung eine Chemiefabrik besaß, in der auch Stoffe gefärbt wurden, und von der aus Makedonien stammenden Mutter, die zuvor Direktorin der Akademie der Künste in Sofia war, hatte der junge Maler und Bildhauer seine ersten Prägungen erfahren.

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Nach nur einem Semester an der Wiener Akademie zieht es Christo erst in die Schweiz und 1958 nach Paris, wo er sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt, malt und unter anderen von Jean Dubuffet, Niki de Saint-Phalle und Jean Tinguely beeinflusst wird. Bald aber beginnt er mit Objekten zu experimentieren, verklebt Dosen und Flaschen, umhüllt sie mit harzgetränkten Stoffen und formt daraus neue Gebilde.

Obwohl sich Christo nie explizit als politischer Künstler verstand, suchte er von seiner Flucht in den Westen an die Freiheit. Nicht nur im Atelier, auch im offenen, gesellschaftlichen Raum. Als er 1962 in Paris erstes Aufsehen durch die Blockade einer Straße mit Metalltonnen erregte, war das für ihn auch ein Verweis auf die kurz zuvor erbaute Berliner Mauer und den Eisernen Vorhang.

Ein Ausbruch, für beide gar eine Explosion wird das Zusammentreffen mit Jeanne-Claude, deren Mutter er durch die Empfehlung eines Gönners in angeblich drei Variationen (realistisch, impressionistisch, kubistisch) porträtiert.

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Die Kunst gefällt dem Elternpaar sehr wohl, nicht so sehr aber die schnelle Liaison der Tochter mit dem mittellosen Exilbulgaren, der seine Bilder noch immer als „Javacheff“ signiert. Christo, ganz solo als auratisches Markenzeichen, kommt etwas später. Da sind die beiden schon miteinander durchgebrannt. Die feuerrothaarige 23-Jährige, die Philosophie studiert hat und bei Air France gerade zur Stewardess ausgebildet wird, verlässt knallfall ihren ersten Mann. Der zottelmähnige schwarze Wuschelkopf, der lebenslang fast immer nur Arbeitsjeans trägt, findet die gleichaltrige Französin „intelligent und sehr sexy“, und sie verrät später, dass Christo „ein teuflisch guter Liebhaber“ gewesen sei.

Ein einzigartiges Künstlerliebespaar

Ab Anfang der 1960er Jahre – zunächst nur unter seinem Namen, dann als ausgewiesenes Duo – werden sie bis zu Jeanne-Claudes Tod ein halbes Jahrhundert lang ein ziemlich einzigartiges Künstlerliebespaar, sehr früh gefördert von dem deutschen Unternehmer und Kunstsammler Dieter Rosenkranz. Der brachte Christo in Köln auch mit dem Avantgarde-Komponisten John Cage und dem frühen Videokünstler Nam June Paik zusammen.

So nimmt allmählich eine Weltkarriere ihren Lauf, von einem buchstäblichen Luftballon, der als Kunst-Schiff voll heißer Luft 1968 die Kasseler „documenta IV“ überschwebt, bis zur bald folgenden ersten Großverhüllung eines australischen Küstenstreifens mit synthetischen Stoffen.

Das Künstlerpaar Christo und Jeanne Claude während einer Pressekonferenz im Berliner Martin-Gropius-Bau zusammen.
Das Künstlerpaar Christo und Jeanne Claude während einer Pressekonferenz im Berliner Martin-Gropius-Bau zusammen.

© Peter Endig/dpa

Kunstweltgeschichte, Weltkunstgeschichte. Und der Wechsel des Wohnsitzes von Paris nach New York. Ob Christo als künstlerischer Inspirator und mit Jeanne-Claude in mehr organisatorischer Funktion seine Vorhänge durch ein Tal der Rocky Mountains zieht, elf Inseln bei Miami umhüllt, den Pariser Pont Neuf vor jetzt 35 Jahren verpackt und selbst da, mitten in der Großstadt, eine metaphorische Brücke zwischen Wasser und Land schlägt, ob in Japan plötzlich blaue Regenschirme wie tausend blaue Blumen emporwachsen oder 2005, zwanzig Jahre nach dem Berliner Reichstagswunder, im New Yorker Central Park an 7500 Metalltoren safrangelb-orange Vorhänge wehen: Es ist, jedes Mal durch den Verkauf von Bauzeichnungen und zugehörigen Objekten privat finanziert und mit nachhaltigen Materialien produziert, eine Mischung aus Poesie und mitunter subtiler Politik. Die New Yorker „Gates“ hatten die leuchtende orange Farbe der Kleidung der Insassen auf der Gefängnisinsel Guantanamo.

„Schönheit ist auch ein Zeichen der Freiheit“

„Schönheit ist auch ein Zeichen der Freiheit“, sagte Christo, als wir uns vor der Eröffnung der „Gates“ im New Yorker Metropolitan Museum erstmals sprachen. Er mochte keine Stürme, keine Gewalt. Aber den sanfteren Wind. „Kunst kann so vermeintlich tote Körper beleben. Unter unseren Stoffen beginnen sie dann zu atmen“, sagte Christo. Er bezog das auch auf den im Licht von Himmel, Sonnenuntergängen und Sternenglanz vor einem Vierteljahrhundert pulsierenden Reichstag. Als schlüge in den alten Steinen ein neues Herz.

Zum letzten Mal ist Christo vor einem Jahr nach Berlin gekommen. Da erhielt er die Lebenswerk-Auszeichnung der Konrad-Adenauer-Stiftung, und sein Laudator war Wolfgang Schäuble. Das hatte seinen besonderen Reiz, weil Wolfgang Schäuble einst vehement gegen den vermeintlichen „Frevel“ einer Reichstagsverhüllung gewettert hatte.

Seine damalige Bundestagsrede bezeichnete der Politiker, dessen Büro im Reichstag nun Christos Zeichnungen schmücken, als „Fehler“ und rühmte den Künstler und sein großes Werk. Worauf Christo nach ein paar kurzen Dankesworten auf den Bundestagspräsidenten zuging und ihm zwei Küsse gab, beide auf die linke Wange.

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