
Interview mit neuer Berliner Linken-Spitze: „Zurück zur Normalität – ohne Verbote“
Das neue Führungsduo der Linke-Fraktion, Anne Helm und Carsten Schatz, fordert mehr Eigenverantwortung in der Coronakrise. Ein Interview.
Die Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus hat mitten in der Coronakrise ihr Spitzenpersonal gewählt. Seit dem 2.6. sind Anne Helm und Carsten Schatz die neuen Fraktionsvorsitzenden.
Frau Helm, Herr Schatz, als Frau Bluhm und Herr Wolf Sie zu ihren designierten Nachfolgern vorschlugen, was waren da Ihre ersten Gedanken?
HELM: Ich dachte zuerst an die damit verbundenen Aufgaben als Fraktionschefin. Das ist ja keine leichte Sache.
SCHATZ: Die Überlegung, uns als Nachfolger vorzuschlagen, kam ja sehr kurzfristig im April. Ich habe mir natürlich meine Gedanken gemacht, was es bedeutet, wenn zwei erfolgreiche Fraktionschefs wie Bluhm und Wolf ihr Amt aufgeben. Das ist eine Herausforderung.
Wollten Sie nur als Duo antreten, oder hätte Ihnen auch eine andere Kombination zugesagt?
HELM: Mit Carsten Schatz hatte ich überhaupt keine Bedenken.
SCHATZ: Wir beide hatten zusammen vor einem Jahr bei einer Ausschussreise in Cannes darüber mal gesprochen. Aber das war damals lediglich eine Perspektive für irgendwann später. Und dann kam es doch sehr schnell.
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Herr Schatz, gegen Anne Helm hat sich Franziska Brychcy als Gegenkandidatin aufgestellt. Hätten Sie sich mit ihr auch eine Doppelspitze vorstellen können?
SCHATZ: Ich habe der Fraktion gesagt, dass ich Schwierigkeiten hätte in eine arrangierte Ehe zu kommen. Denn meine Entscheidung zu kandidieren spielte natürlich auch für Anne eine Rolle. Wir haben bei unseren Vorgängerinnen erlebt, wie wichtig ein enges, persönliches Vertrauensverhältnis in einer Doppelspitze ist.
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Sie hatten ein Papier Ihrer Fraktion vorgestellt. Ihr Ansatz war, linke Politik unter dem Eindruck von Corona festzuschreiben. Was wollen Sie ändern?
SCHATZ: Die Coronakrise ist nicht vorbei. Als Linke müssen wir uns da sichtbar positionieren. Wir brauchen einen maßvollen Umgang mit der Pandemie. Grundrechte wie Versammlungsfreiheit müssen bewahrt werden. Wir sollten eine Normalität anstreben, die nicht von Verboten gekennzeichnet ist, sondern die Menschen in die Pflicht nimmt, verantwortungsvoll und solidarisch zu handeln.

HELM: Dazu gehört, dass wir die Hygieneregeln im Alltag einhalten. Das Tragen einer Maske kann da helfen und ist eine vergleichsweise geringe Einschränkung.
Am Wochenende gingen 15.000 Menschen trotz Corona zur Demonstration gegen Rassismus in Berlin. Die Abstandsregeln wurden nicht eingehalten. Waren Sie dabei?
SCHATZ/HELM: Ja, wir waren dabei.
Wo ist denn da die Abwägung?
HELM: Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut, das wiederhergestellt worden ist. Man kann nicht einzelnen Menschen verbieten, an einer Demo teilzunehmen. Eine Durchsetzung des Mindestabstands wäre bei dieser Demo unverhältnismäßig gewesen, weil es schlicht und ergreifend nicht durchzusetzen war. Trotzdem müssen wir beobachten, wie sich solche Ereignisse epidemiologisch auswirken.
Vor einer Woche feierten 3000 Berliner in ihren Schlauchbooten vor dem Urban-Krankenhaus bei dröhnenden Bässen. Abstandsregeln wurden nicht eingehalten. Finden Sie das gut?
SCHATZ: Der Ort war geschmacklos und auch das Transparent, auf dem stand: I can’t breathe. Ich verweise aber auf Professor Drosten, der mehrfach darauf hingewiesen hat, dass das Einhalten von Mindestabständen unter freiem Himmel nicht so entscheidend ist wie in Innenräumen.
Fernab von Corona: Wie wollen Sie sich als Fraktion gegenüber dem Koalitionspartner aufstellen?
HELM: Wir haben einen Koalitionsvertrag, und wir haben ein Wahlprogramm, dem wir verpflichtet sind. Natürlich sind die finanziellen Spielräume durch die Coronakrise kleiner geworden. Wir müssen Schwerpunkte setzen, zum Beispiel in der Arbeits- und Sozialpolitik. Konkretes werden wir mit der Fraktion diskutieren. Klar ist, dass wir an den Investitionen in die Infrastruktur festhalten.
Können Sie mittel- und langfristig verantworten, neue Schulden zu machen, oder braucht es dann wieder einen Konsolidierungskurs?
HELM: Ich gehöre zu einer Generation, die zu Schulzeiten massiv unter dem Sanierungsstau an den Schulen gelitten hat. Wenn wir von Generationengerechtigkeit sprechen, dürfen wir der nächsten Generation nicht Probleme hinterlassen wie marode Schulen. Da müssen wir investieren.
Ich hielte es für absurd, jetzt einerseits die Wirtschaft mit Subventionen anzukurbeln und dafür andererseits an eigenen Investitionen zu sparen. Verantwortungsbewusst ist es, bei so einem niedrigen Zinsniveau neue Schulden aufzunehmen.
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SCHATZ: Die Länder mit starken öffentlichen Sektoren gehen deutlich besser durch Krisenzeiten. Es kommt uns gerade sehr zugute, dass wir da im Gesundheitssektor gut aufgestellt sind. Das müssen wir weiter stärken, auch durch die Vergesellschaftung von Wohnraum. Die Menschen sollen sich in Krisenzeiten gerade nicht Sorgen darüber machen, ob sie ihre Wohnung verlieren. Die Stärkung des Öffentlichen muss ein wesentlicher politischer Schwerpunkt der Linken bleiben.
Die Linke will eine Privatisierungsbremse in die Verfassung schreiben. SPD und Grüne plädieren generell auch dafür. Aber es fehlt die Zweidrittelmehrheit. Wie wollen Sie die CDU überzeugen?
HELM: Wir wollen mit der CDU darüber noch einmal sprechen. Die Opposition hat signalisiert, dass sie sich durchaus gemeinsame Projekte zur Stärkung der direkten Demokratie vorstellen kann.
Rot-Rot-Grün hat gerade das Landesantidiskriminierungsgesetz verabschiedet und hat von Seiten der CDU heftige Kritik eingesteckt. Für Landesbedienstete würde nicht mehr die Unschuldsvermutung gelten, sondern ein Generalverdacht. Ist das nicht diskriminierend?
SCHATZ: Die Argumentation der Opposition ist falsch. Wir sagen nicht, dass mit dem Gesetz jede Diskriminierung aufhört. Aber wir bieten damit die Grundlage für diejenigen, die sich vom Staat diskriminiert fühlen, dagegen vorzugehen.
Viele Menschen machen Diskriminierungserfahrungen. Wir müssen darüber sprechen können und Diskriminierung gegebenenfalls sanktionieren. Das muss die bürgerliche Opposition doch auch wollen.
Frau Helm, Sie sind ausgebildete Synchronschauspielerin und haben Ihre Stimme Ellen Page oder Margot Robbie geliehen. Würden Sie gern mal bei einem Berliner Politiker in dessen Rolle schlüpfen und ihm Ihre Stimme leihen?
HELM: Eine gute Frage. Spannende Frauen wären die Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher und die Haushaltspolitikerin der FDP, Sibylle Meister. Beide könnte ich mir im Dialog gut vorstellen. Frau Meister hat eine sehr individuelle Gestik und Rhetorik. Und Frau Lompscher strahlt eine große Ruhe aus. Das ist nicht immer typisch für Politiker.