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Europa ohne Paywall: „The Guardian“ expandiert
Die EU ist wieder „in“ auf der Brexitinsel: Es ist ein Zeichen der Zeit, dass der Guardian sich mit der europäischen Edition an Europa annähert.
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Europa gibt es bei der britischen Tageszeitung „The Guardian“ jetzt mit einem einzigen Klick: Wer die Webseite besucht, kann seit dem 20. September rechts oben neben der internationalen, britischen, amerikanischen und australischen Ausgabe auch die Europe Edition wählen. Und dann erscheint sofort: Ursula von der Leyen. Am Dienstag hieß die EU-Komissionspräsidentin beim Grünen Gipfel in Prag einen EU-Kompromiss zu Autoabgasen willkommen und der Guardian war mit dem Liveticker dabei. Und die Leserschaft der europäischen Edition auch.
„Wir hatten schon 1870 einen Korrespondenten, der den Krieg zwischen den Preußen und den Franzosen coverte“, schreibt Katherine Butler, Associate Europe Editor des „Guardian“, „er musste seine Reportage einmal sogar mit einem Ballon in die Redaktion entsenden.“ Der Text traf wahrscheinlich nicht rechtzeitig vor dem Ende des Krieges beim Newsdesk ein, aber: „Das erzählt einiges über unser Erbe und wie sehr wir uns engagieren.“
Es ist ein Zeichen der Zeit, dass das Leibblatt der linksliberalen Proeuropäer auf der Brexitinsel sich Europa annähert. Die EU ist auf der Insel wieder in, eine Mehrheit im Vereinigten Königreich bedauert den Austritt aus der gemeinsamen Union vor drei Jahren. Von der europäischen Ausgabe, für die elf neue Korrespondentenstellen geschaffen wurden, sollen Artikel auch in die anderen Editionen fließen und damit auch das britische Publikum erfreuen. Doch der Grund für die Expansion nach Europa ist finanziell.

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Ein Drittel der Einkünfte kommt jetzt schon aus dem Ausland
Im Finanzjahr 2022-23 stieg der Gesamtumsatz der „Guardian Media Group“ nach eigener Aussage zwar auf 264 Millionen Pfund (303 Millionen Euro), doch gleichzeitig flossen 21 Millionen Pfund (24 Millionen Euro) an Mitteln in neue Investitionen für Podcasts und digitale Projekte im Verlag ab. Weil die britische Wirtschaft zudem schwächelt, die Anzeigen wegbrechen und die gedruckte Ausgabe immer weniger verkauft wird, investiert man in die Zukunft. Und die sieht der Verlag nicht unbedingt auf der eigenen Insel.
Ein Drittel der Einkünfte der „Guardian Media Group“ kommt jetzt schon aus dem Ausland. Die digitalen amerikanischen und australischen Editionen haben sich erfolgreich etabliert. „Guardian US“ gibt es seit 2007 – ein Viertel der Einkünfte für den „Guardian“ kommt heute schon von den amerikanischen Leserinnen und Lesern. Die australische Ausgabe kam 2013 und die internationale Edition 2015.
Jetzt ist Europa dran. Das ist vor allem aus einem Grund heikel: In Amerika und Australien ist Englisch die wichtigste Amtssprache. In Europa lesen die Leute in anderen Sprachen, hören Podcasts auf Deutsch oder Französisch – ob sich die Lingua franca Englisch so einfach durchsetzen kann? „Guardian“-Chefredakteurin Katherine Viner glaubt das schon. Die Zahlen sprechen dafür: „Wir sind stolz, dass uns bereits 180.000 Leser auf dem europäischen Kontinent finanziell unterstützt haben.“
Das heißt gerade in diesem Fall etwas ganz Besonderes. Der Guardian versucht als eines der ganz wenigen Medien, seinen Qualitätsjournalismus ohne Paywall zu verkaufen. Werbung hilft dabei, aber richtig gefragt sind finanzielle Beiträge der Leserschaft. Viner, die dieses Modell von ihrem Vorgänger Alan Rusbridger geerbt hat, behauptet, dass dies klappt: Eine Million Leserinnen und Leser ist es einen finanziellen Beitrag wert, den „Guardian“ zu lesen. Oft sind es Mikrobeträge, aber die machen es aus. Die freiwilligen Beträge – nicht Spenden – seien ein Beitrag zu einer für die Demokratie wichtigen Sache: dem unabhängigen Qualitätsjournalismus.
In Europa ist dieser in manchen Mitgliedsstaaten wie Polen und Ungarn bedroht. „Wir wollen keinesfalls andere Medien ersetzen“, beeilte sich Katherine Viner beim Launch in London festzustellen. Die „Europe Edition“ des „Guardian“ soll das Angebot an kritischen Nachrichten bloß erweitern.
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