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Das sogenannte Schweinehochhaus in Maasdorf steht seit drei Jahren leer.

© Anni Dietzke

DDR-Prestigeobjekt: Das Schweinehochhaus – null Tierwohl, dafür maximaler Profit

Was in Deutschland mittlerweile undenkbar scheint, erlebt in China gerade einen regelrechten Boom: Schweinezucht in bis zu 13-stöckigen Hochhäusern.

Eine Landstraße entlang von Maisfeldern und hochgewachsenen Hopfenpflanzen, irgendwo zwischen Halle an der Saale und Köthen in Sachsen-Anhalt. In der Ferne: eine Kirche, ein paar Windräder und ein großer Betonklotz.

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Dieser Betonklotz am Stadtrand von Maasdorf, einem kleinen Ort, in dem gerade einmal ein paar hundert Menschen wohnen, galt zu DDR-Zeiten als Prestigeobjekt für moderne Tierhaltung. Das sogenannte Schweinehochhaus mit seiner vertikalen Ferkelzucht gilt als einmalig in Europa. Und sogar noch bis zum Frühjahr 2018 lebten in dem Gebäude bis zu 3000 Schweine.

Heute herrscht Stille. Die einst gefüllten Kastenstände sind seit drei Jahren verwaist. In Fernost allerdings erleben genau diese mehrstöckigen Stallanlagen jetzt einen regelrechten Boom. In China etwa errichtet der führende Schweineproduzent Muyuan Foods derzeit auf einem großen ländlichen Gebiet 21 Gebäude für eine riesige, industrialisierte Schweinezuchtanlage.

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In der neuen Megafarm in der Nähe von Nanyang in Zentralchina werden 84.000 Sauen und ihre Nachkommen leben, jährlich sollen etwa 2,1 Millionen Schweine produziert werden. Die Anlage wird die größte der Welt sein. Das Konzept der Hochhäuser ist nicht zuletzt aufgrund der Knappheit an geeignetem Land beliebt. Es geht vor allem um Profit.

Das Schweinehochhaus als DDR-Prestigeobjekt

Was jetzt in China boomt, galt schon für Walter Ulbricht als Vorzeigemodell: Mit Hilfe von automatisierten Arbeitsprozessen die sozialistische Landwirtschaft ankurbeln. Das Schweinehochhaus in Sachsen-Anhalt wurde 1970 errichtet. Eine Ferkelproduktion auf sechs Etagen, mit zwei Aufzügen – effektiv, schnell und unkompliziert.

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Nach der Wende geriet der 25 Meter hohe Plattenbau in Verruf. Tierschützer übten zunehmend Kritik gegenüber der Schweinehaltung und den Lebensbedingungen der Tiere. Seit 2015 brachen Aktivisten mehrfach in das Gebäude ein und filmten Verstöße gegen das Tierschutzgesetz.

Viele Medien berichteten über die Haltungsbedingungen und der Niederländer Michiel Taken, der bis heute als Betreiber des Zuchtbetriebes gilt, geriet zunehmend unter Druck. Taken ging damals gegen Jan Peifer, den Vorstandsvorsitzenden vom Deutschen Tierschutzbüro, juristisch vor. Die Anzeige wegen Hausfriedensbruch wurde jedoch eingestellt.

Ein aufgemalter Schweinekopf an der Tür erinnert an die Geschichte des Gebäudes.
Ein aufgemalter Schweinekopf an der Tür erinnert an die Geschichte des Gebäudes.

© Anni Dietzke

Durch die kritische Berichterstattung der Medien und die Proteste vor Ort nahm die Staatsanwaltschaft letztlich die Ermittlungen gegen den Betrieb auf. Im September 2018 wurde das Gebäude schließlich komplett geräumt. Für Tierschutzaktivist Peifer bis heute ein voller Erfolg.

„Symbol für Quälerei von Tieren“

„Kein anderes Symbol steht so sehr für die Ausbeutung und Quälerei von Tieren wie das Schweinehochhaus. Wir haben alles daran gesetzt, dass dieser Ort der Tierquälerei geschlossen wird, jetzt setzen wir alles daran, dass es auch so bleibt“, so Peifer. Eine artgerechte Haltung von Tieren in der Massentierhaltung gebe es ohnehin niemals „und erst recht nicht an diesem Ort“.

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Claudia Dalbert, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft und Energie Sachsen-​Anhalt, gibt ebenfalls zu bedenken, dass grundsätzlich in der Nutztierhaltung in Deutschland umgedacht werden müsse. „Die Tierhaltung muss am Tierwohl ausgerichtet sein.“

Das hieße für die Schweinehaltung beispielsweise eine Umstellung auf Gruppenhaltung, mehr Platz und faserreiches Material zur Beschäftigung, so Dalbert. Zudem solle es eine Abschaffung der Kastenstände geben und zwar sofort und „nicht erst in sieben Jahren“.

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In China setzt man auf das Konzept von Schweinehochhäusern

In Asien hingegen scheint der Tierschutzgedanke auszubleiben. Qin Jun, stellvertretender Geschäftsführer von Muyuan Foods, sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters im vergangenen Jahr: „Wir befinden uns in einer sehr günstigen Entwicklungsphase. Die Schweinepreise sind sehr hoch, unsere Gewinne wirklich gut und der Cashflow sehr umfangreich.“

Die Nachfrage nach Schweinefleisch steigt, allerdings zwingt beispielsweise die Afrikanische Schweinepest (ASP) zum Umdenken von Exporten. Eigene Massentierhaltung rentiert sich somit, birgt jedoch in diesem Ausmaß auch extreme Risiken. Krankheitserreger können sich schneller vermehren. Die Lösung: mehr Technologie.

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In der Anlage von Muyuan Foods können fünfmal so viele Schweine gehalten werden wie in einem normalen Betrieb auf derselben Fläche. Nach eigenen Angaben wurde das Produktionsverfahren seit dem Ausbruch der Schweinepest überarbeitet.

Die Farm habe laut Qin Jun einen experimentellen Charakter. Von intelligenten Fütterungssystemen bis hin zu Robotern zur Reinigung von Dung ist die Rede. Zudem sollen Infrarotkameras zur Erkennung von Fieber der Tiere eingesetzt und die Luft gefiltert werden.

Zukunft des deutschen Schweinehochhauses ungewiss

Der chinesische Boom solcher Megaanlagen wäre für die Schweinehaltung in Deutschland sicherlich nicht ansatzweise denkbar. „Genau wie die Haltungsbedingungen von Sauen in einstöckigen Gebäuden, lehnen wir auch das Einpferchen von fühlenden Tieren in Schweinehochhäusern vehement ab“, sagt Nora Irrgang vom Tierschutzverein Vier Pfoten.

Eine Landschaft mit ein paar Windrädern, einer Kirche und mittendrin ein Betonklotz - das Schweinehochhaus.
Eine Landschaft mit ein paar Windrädern, einer Kirche und mittendrin ein Betonklotz - das Schweinehochhaus.

© Anni Dietzke

Statt einer Anhäufung von Tieren in einem Hochhaus, brauche es eine deutliche Reduktion der Tiere in den Ställen, „bei dem es das Ziel ist, genug Platz für jedes einzelne Tier mit Auslauf im Freien zu ermöglichen“, so Irrgang weiter. Wichtig sei eine Abkehr von der starken Exportorientierung.

Das Schweinehochhaus in Sachsen-Anhalt gilt bis heute bei Tierschützern als Symbol der industrialisierten Tierproduktion. Betreiber Michiel Taken äußerte sich trotz mehrfacher Anfrage nicht zu den weiteren Plänen. Die Zukunft des Gebäudes ist derzeit ungewiss.

Wiederaufbau des Schweinehochhauses möglich 

Sachsen-Anhalts Tierschutzbeauftragter Marco König weist darauf hin, dass theoretisch auch wieder Schweine in der Anlage gehalten werden könnten, „sollten alle behördlichen Vorgaben erfüllt und damit rechtskonforme Haltungsbedingungen für die Schweine geschaffen werden“. Nach seiner persönlichen Einschätzung sei damit allerdings eher nicht zu rechnen.

Die öffentliche Kritik an dem praktizierten Haltungssystem mit mehreren Etagen würde laut König wieder aufflammen, „da es offensichtlich keine gesellschaftliche Akzeptanz hat“. Prinzipiell hätten Antragsteller allerdings ein Recht darauf, Schweine halten zu dürfen, wenn sie alle rechtlichen Vorgaben, wie beispielsweise Immissionsschutzrecht, Baurecht und eben auch Tierschutzrecht, einhalten.

Für die Größe einer Zuchtanlage gebe es gegenwärtig rechtlich keine normierte Obergrenze. „Auch deshalb und mit Blick auf das Staatsziel Tierschutz muss meines Erachtens im ganzen System der Intensivtierhaltung ein Umdenken stattfinden“, so König weiter. Die derzeit rechtlich zulässigen Haltungssysteme für Nutztiere, insbesondere die für Schweine, seien durchaus kritisch zu sehen und die geltenden Mindestanforderungen an die tierschutzgerechte Haltung bedürften einer grundlegenden Weiterentwicklung.

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