zum Hauptinhalt
Moderner Mann: Ein Josef-Darsteller samt Maria und Baby im kalifornischen Riverside.

© imago images / ZUMA Wire

Die berühmteste Patchwork-Familie der Welt: Warum alle Männer sein sollten wie Marias Josef

Er steht in der öffentlichen Wahrnehmung auf der Ebene von Ochs und Esel. Dabei können wir von Jesus' Stiefvater viel für das moderne Familienleben lernen.

Für Stiefmütter ist ein harter Lockdown zu Weihnachten natürlich ein Geschenk. Jesus Maria, wer will denn mit mehr als 14 Personen Stille Nacht feiern? Bei getrennten Eltern mit alten und neuen Partnern und allen dazugehörigen Kindern kommt schnell eine ungesunde Glühwein-Polonaise zusammen.

Freuen wir uns also darüber, dass dieses Jahr die böse Stiefmutter „Corona“ heißt. Und wir nicht zwei Mal hintereinander Ente essen und Sissi gucken müssen. Weil mit Stiefkindern nur zwei halbe Weihnachten ein ganzes ist.

Der leibliche Vater: der Allmächtige persönlich

Als die Bundeskanzlerin letztes Wochenende räuspernd ihrem Volk erklären musste, wer genau zur „engsten Familie“ gehört (Kinder und Eltern, Onkel und Tanten aber nicht), vergaß sie nicht, die Lebenspartner zu erwähnen. Stiefkinder und Stiefeltern fanden keine explizite Erwähnung.

Dabei wäre das zu Weihnachten eigentlich sehr passend. Feiert man da nicht die Geburt der berühmtesten Patchwork-Familie der Welt? Mutter Maria, Stiefvater Josef und Jesus. Dessen leiblicher Vater: der Allmächtige persönlich. Nicht einfach für Josef, den ewig Unsichtbaren, der immer hinten ansteht.

Aline von Drateln, Mutter vom Kollwitzplatz.
Aline von Drateln, Mutter vom Kollwitzplatz.

© Christobal

Der heilige Vater delegierte ja schon beim allerersten Heiligabend ohne Absprache mit den Beteiligten, wer mit wem die Geschenke auspacken darf. Egal, ob es Myrrhe, Weihrauch oder in diesem Jahr eben irgendwas von Lidl gibt: alle Jahre wieder dasselbe Drama in Patchwork-Familien. Das kann einem schon auf den Geist gehen.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Ich finde, Josef hat Weihnachten wahre Größe gezeigt. Und würde das Augenmerk gerne auf diesen unterschätzten Mann lenken, bei dem man schon beim Aufstellen der Krippe genau hinschauen muss, damit er nicht mit irgendeinem Hirten verwechselt wird.

Magere drei Mal wird Jesus’ Stiefvater in der Bibel erwähnt. Zuletzt, als Jesus als Teenager abhaut und von Maria und Josef nach tagelanger Suche in einem Tempel aufgefunden wird. Wo dieser sich nur wundert und sagt: „Wisset Ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?“

Sein Platz war an der Seite und doch mittendrin

Danach wird Josef nie mehr erwähnt. Wer könnte es ihm übel nehmen, wenn er nach diesem Spruch das Handtuch geworfen hätte. Ich hoffe aber, er hat nur kurz geschluckt. Denn das Kind kann ja nichts dafür!

Im Lockdown: Eine Krippe mit Maria, Josef & Co. auf dem menschenleeren Striezelmarkt in Dresden.
Im Lockdown: Eine Krippe mit Maria, Josef & Co. auf dem menschenleeren Striezelmarkt in Dresden.

© imago images / Eibner

Immerhin gibt es ein Weihnachtslied, das nur ihm gewidmet ist: „Josef, lieber Josef mein, hilf mir wiegen das Kindelein.“ Na super. Weder Lovesong noch Lobeshymne, sondern eine Ansage von Maria, wie er sich als Stiefvater an dem ganzen Rummel beteiligen soll. Aber Josef-lieber-Josef-mein hat vermutlich auch da nur kurz den Weihrauch tief inhaliert.

Denn als Zimmermann war er sicher der geborene Frauenversteher! Ein Mann, der anpackt. Ich kann mir gut vorstellen, wie Josef bei den Wehen von Maria mitgeatmet und währenddessen noch schnell die Krippe ausgebessert hat.

Seltsam, dass Josef in der öffentlichen Wahrnehmung bis heute irgendwo auf der Ebene von Ochs und Esel steht. Wo er doch gerade durch seine Unterstützung auffallen sollte. Immerhin wusste er selbst, wo sein Platz war: an der Seite und doch mittendrin.

[Lesen Sie auf Tagesspiegel-Plus: Mütter in der Advents-Zwickmühle]

Während die meisten Männer in der Bibel bis dahin nicht gerade durch Sanftmut und Passivität von sich reden gemacht hatten. Sondern marvelmäßig Meere trennten und Brüder nicht gerade brüderlich behandelten. Bibeltechnisch hat ja erst Jesus den modernen, sensiblen Mann vorgelebt.

Vielleicht hat Jesus dieses Revolutionäre auch bei seinem Stiefvater gesehen: Josef stand zu Maria, der unehelich Schwangeren. Und das nicht einmal von ihm selbst. Sich mit dieser Frau, der ohne ihn die Steinigung gedroht hätte, auf den Weg zur Volkszählung zu machen, zeugt von großer Liebe. Und großem Mut. Während andere Väter noch getrennt und gerächt haben, hat er das Kind schon geschaukelt. Genaueres haben Lukas und die anderen Männer leider nicht berichtet. Schade.

Hätten Frauen die Bibel geschrieben, hätten wir sicher mehr über diesen interessanten Mann erfahren! Trotzdem gibt es in der Überlieferung eine frohe Botschaft speziell für alle Patchwork-Familien: In der Erinnerung sind sie Weihnachten alle zusammen. Sogar die Könige, obwohl die nachweislich überhaupt keine Verwandten waren und erst am 6. Januar dazukamen.

Es kommt nicht darauf an, mit wem wir die kommenden Tage verbringen. Und mit wem nicht. Wer wirklich wichtig war füreinander, an diesem und allen anderen Weihnachten, zeigt sich vielleicht erst sehr viel später. Patchwork-Familie, wir schaffen das.

Aline von Drateln, selbst Scheidungskind, wuchs mit Mutter, Stiefvater und insgesamt vier Schwestern und Halbschwestern auf. Mit 24 wurde sie unerwartet Stiefmutter, als ihr heutiger Ehemann neun Monate nach ihrem Kennenlernen ein Kind von seiner Ex bekam. Mittlerweile haben sie noch zwei gemeinsame Kinder.

Alle 14 Tage hat sie in den vergangenen Monaten im Tagesspiegel von der Zerreißprobe Patchwork geschrieben: Wie es sich anfühlt, ein Leben lang „die Neue“ zu sein, weshalb sie daran gescheitert ist, die beste Stiefmutter der Welt sein zu wollen – und sich wundert, dass es zwar „Familienväter“ gibt, aber keine „Familienmütter“. Dieses ist die letzte Kolumne in der Reihe.

Lesen Sie hier Folge 1: Blut ist dicker als Wasser? Deswegen schwimmen wir noch lange nicht im gleichen Viren-Pool!

Lesen Sie hier Folge 2: Von wegen böse Stiefmutter - Aschenputtel!

Lesen Sie hier Folge 3: Wir Stiefmütter sind ein vollwertiger Teil der Familie!

Lesen Sie hier Folge 4: Unser Baby, die Exfrau und ich

Lesen Sie hier Folge 5: Fifty-fifty kann für Kinder so ungerecht sein

Lesen Sie hier Folge 6: Bei Stiefvätern reicht es schon, dass sie die Kinder nicht auffressen wie ein Löwe

Lesen Sie hier Folge 7: Kein Welpenschutz für Stiefkinder!

Lesen Sie hier Folge 8: Wieso Frauen Corona besser in den Griff bekommen

Lesen Sie hier Folge 9: Das stille Drama der Halbgeschwister

Lesen Sie hier Folge 10: Schenkt Eurer Partnerin ein Ohr und tanzt mit ihr

Aline von Drateln

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false