zum Hauptinhalt
Anonyme Hinweisgeber werden weiter behindert.

© Verena Schulz für den Tagesspiegel

Edward Snowden und die Whistleblower-Frage: Feiert die Verräter!

Vor zehn Jahren ließ der Westen Edward Snowden schändlich im Stich. Den nötigen Schutz haben Whistleblower heute leider immer noch nicht.

Eine Kolumne von Sebastian Leber

Er zeigte Courage, wurde dafür gejagt und geächtet: Im Juni 2013 deckte der IT-Spezialist Edward Snowden die globalen Ausspähprogramme des US-Geheimdienstes NSA und seiner Verbündeten auf. Er offenbarte systematische Gesetzesbrüche, die die Privatsphäre von Abermillionen von Menschen verletzten. Die Weltöffentlichkeit war zu Recht empört. Und dann passierte? Praktisch nichts.

Zehn Jahre wäre Zeit gewesen, den Skandal transparent aufzuklären und sicherzustellen, dass sich derartiges nicht wiederholt. Stattdessen wurde Edward Snowden schändlich im Stich gelassen. Der komplette Westen verweigerte ihm politisches Asyl, weshalb der Whistleblower im russischen Exil verbleiben und nun mit dem verleumderischen Etikett der Putin-Nähe leben muss.

Damals forderten prominente Grüne und Sozialdemokraten für Snowden – der ganz sicher kein Verbrecher sei, sondern ein Held – einen gesicherten Aufenthalt in Deutschland. Heute sind diese Stimmen gänzlich verstummt.

Anderen Hinweisgebern und deren Unterstützern erging es ähnlich: Chelsea Manning verbrachte fast sieben Jahre in Haft, Julian Assange sitzt seit 2019 in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis und könnte demnächst an die USA ausgeliefert werden, wo ihm 175 Jahre Gefängnis drohen.

Klägliches Gezerre in der deutschen Politik

So gerieten Edward Snowden und seine Leidensgenossen zur Warnung für alle, die selbst von Unrecht wissen und dies aus Gewissensgründen gern öffentlich machen würden. Ihr Schicksal beweist: Whistleblowing lohnt sich nicht. Whisteblowing ruiniert das eigene Leben.

Wie kläglich Versuche enden, Aufklärer zu schützen, hat gerade erst wieder der deutsche Gesetzgeber gezeigt. Mit anderthalb Jahren Verspätung und nach viel Gezänk einigten sich Bund und Länder auf ein „Hinweisgeberschutzgesetz“, das Whistleblowern in Unternehmen und Behörden künftig mehr Rechtssicherheit bieten soll. Eigentlich.

Über den Vermittlungsausschuss konnte die Union jedoch verhindern, dass Unternehmen künftig anonyme Meldekanäle einrichten müssen. Hinweisgeber bleiben also gezwungen, ihre Identität preiszugeben. Dies wird viele abschrecken. Denn gerade dort, wo es eine Menge aufzudecken gäbe, wird rigoros gegen Whistleblower vorgegangen.

Wer in toxischen Unternehmen ohne den Schutz durch Anonymität auf einen Rechtsverstoß aufmerksam machen will, kann im Grunde gleich seine Kündigung einreichen.

Die Union argumentiert, durch ihre erfolgreiche Verhinderungsaktion erspare sie deutschen Firmen viel Aufwand. Das ist einerseits perfide. Andererseits erweist sie der Wirtschaft einen Bärendienst: Denn tatsächlich stärkt das Aufdecken von Missständen, zumindest langfristig, die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und ganzen Branchen.

Whistleblowing ist effektives Werkzeug gegen Korruption, Vetternwirtschaft und sonstiges Gemauschel. Man lernt das in jeder Einführungsvorlesung Volkswirtschaftslehre: Der Markt kann nur regeln, wenn die Regeln eingehalten werden. 

Aus der SPD heißt es nun ernsthaft, die fehlende Pflicht zur Einrichtung anonymer Meldekanäle sei am Ende doch gar nicht so schlimm, die Unternehmen würden dieser sinnvollen Aufgabe bestimmt freiwillig nachkommen. Na sicher doch.

Das neue Gesetz soll Hinweisgeber, die Rechtsverstöße in Unternehmen melden, vor Repressalien bewahren. Arbeitgeber müssen künftig beweisen, dass eine Schlechterstellung ihres Angestellten, etwa eine Versetzung, nicht in Zusammenhang mit dessen Whistleblowing steht. Diese Beweislastumkehr ist ein guter Schritt – dennoch bleiben viele Risiken beim Hinweisgeber. Zum Beispiel, wenn der Missstand, den er gemeldet hat, am Ende entgegen seiner Annahme gar nicht illegal ist. Dann greift das Gesetz nämlich nicht, der Whistleblower ist zum Abschuss freigegeben.

 Weil ich das Richtige getan habe, bereue ich nichts.

Edward Snowden

Als sich Edward Snowden damals entschied, die Spähprogramme der NSA öffentlich zu machen, glaubten viele an den Beginn einer neuen Zeit, in der die disruptive Kraft des Whistleblowings den demokratischen Diskurs moderner Gesellschaften stärkt und dies auch anerkannt wird. „Weil ich das Richtige getan habe, bereue ich nichts“, sagte er und wurde gefeiert.

Denker sahen Whistleblower bereits als „fünfte Macht“, die ähnlich der Medien das Funktionieren eines Staates und seiner Institutionen sicherstellen soll. Es wurde gar darüber nachgedacht, ob Hinweisgeber nicht staatliche Prämien erhalten sollten für ihre uneigennützigen Dienste. Aus heutiger Sicht wirkt das utopisch.

Dabei zeigen Studien: Whistleblower wollen ihren Arbeitgebern, ihrem Staat, ihrer Gesellschaft nicht schaden, im Gegenteil. Dem Engagement von Hinweisgebern ist die Aufdeckung etlicher Skandale der jüngeren Vergangenheit zu verdanken, ob bei den Panama Papers, Cum-Ex oder Wirecard. Ohne die Weitergabe von Interna, ohne Verrat wäre hier kein Unrecht abgestellt worden.

Whistleblower verdienen nicht nur Gesetze, die wirklich helfen und ihr eigenes Risiko minimieren. Sie verdienen den Respekt aller offenen Gesellschaften. Sie haben Staaten geholfen, Steuerhinterzieher und Geldwäscher zu fassen, sie haben gepanschte Krebsmedikamente aus dem Verkehr gezogen und chaotische Zustände in Pflegeheimen beendet. Die Verräter gehören gefeiert.

Zur Startseite