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Zehn Morde soll der NSU begangen haben, die Bundesanwaltschaft wirft Beate Zschäpe in allen Fällen eine Mitschuld vor.

© dpa

Beate Zschäpe im NSU-Prozess: Eine Heuchlerin bricht ihr Schweigen

Auch fünf Jahre nach dem Ende des NSU wissen die Angehörigen der Opfer nicht, warum ihre Liebsten sterben mussten. Nun äußert sich Beate Zschäpe im Prozess – und spricht von „Fehlverhalten“.

Von Frank Jansen

An ihren Anblick haben sie sich schon gewöhnt, die Angehörigen und Prozessbeobachter. An ihr provokantes Lächeln, ihren selbstherrlichen Auftritt. An ihre Stimme nicht.

Beate Zschäpe kommt im schwarzen Hosenanzug, das üppige, lockige Haar ist offen, um den Hals wallt ein seidenartiger Schal mit grauschwarzem Muster. Beate Zschäpe wirkt locker und selbstbewusst, als sie Donnerstagmorgen den Saal A 101 des Oberlandesgerichts München betritt.

313 Verhandlungstage, Jahr für Jahr kam Zschäpe in diesen Raum, in dem ihre Mitschuld an den Taten des NSU im größten Terrorprozess seit der Wiedervereinigung geklärt werden soll, und sagte – nichts.

Bis zu diesem Donnerstag.

Sie setzt sich neben ihre zwei neuen Anwälte, lächelt, die drei anderen Verteidiger, mit denen sich Zschäpe schon lange überworfen hat, ignoriert sie. Nichts deutet darauf hin, dass an diesem Tag etwas Ungewöhnliches passieren wird. Außer ihr selbst und den Anwälten Hermann Borchert und Mathias Grasel hat offenbar niemand im Saal die geringste Ahnung.

Borchert verliest zunächst rasch Antworten, die er und Grasel gemeinsam mit Zschäpe auf Fragen der Richter entworfen haben. Dann dreht sich Borchert, ein älterer Herr mit monotoner Stimme, demonstrativ den Richtern zu. Seine Mandantin wolle sich persönlich an den Senat wenden, sagt er. Stille im Saal.

Ihre Botschaft bleibt: Ihr kriegt mich nicht

Beate Zschäpe, 41 Jahre alt, zögert nicht. Vor sich hat sie ein Blatt Papier, sie beugt sich leicht nach vorne und erhebt, zum ersten Mal in diesem Prozess, ihre Stimme. Sie klingt tief und etwas gehetzt. „Es ist mir ein Anliegen, Folgendes mitzuteilen“, sagt Zschäpe. „Ich identifizierte mich mit Teilen des nationalistischen Gedankenguts“. Und: „Heute hege ich keine Sympathie mehr für nationalistisches Gedankengut.“

Seit ihrer Festnahme am 8. November 2011 in Jena hat Zschäpe die eigene Stimme den Ermittlern und Richtern weitgehend vorenthalten. Zur Sache, zu den Verbrechen der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“, hat sie sich nie hörbar geäußert. Auch als im Dezember 2015 die zwei neuen Anwälte Zschäpes begannen, die „Einlassung“ der Mandantin zu verlesen, saß sie schweigend daneben.

Ihr Ermittler, ihr Richter, ihr Opferanwälte – sollte das wohl heißen – ihr kriegt mich nicht. Und viel hat sich an dieser Einstellung nicht geändert. Das hat Zschäpe an diesem Donnerstag noch einmal eiskalt demonstriert.

Zehn Morde beging der sogannte NSU. Die Bundesanwaltschaft wirft Beate Zschäpe eine Mitschuld an allen Taten vor.
Zehn Morde beging der sogannte NSU. Die Bundesanwaltschaft wirft Beate Zschäpe eine Mitschuld an allen Taten vor.

© picture alliance / dpa

Zschäpe liest weiter vor, „heute beurteile ich Menschen nicht nach Herkunft oder politischer Einstellung, sondern nach ihrem Benehmen“. Und formuliert dann etwas umständlich, sie beurteile das, was Böhnhardt und Mundlos den Opfern angetan haben, „und mein eigenes Fehlverhalten, wie ich es bisher zum Ausdruck gebracht habe“.

Das soll offenbar eine Anspielung auf die früher von ihren neuen Anwälten vorgetragene Aussage sein, sie habe bei Böhnhardt und Mundlos gegen die Morde protestiert. Aber nicht die Kraft gefunden, sich aus der emotionalen Abhängigkeit zu den beiden zu befreien.

Nicht nach dem ersten Mord:

Enver Simsek, 38 Jahre, 11. September 2000, in Nürnberg.

Nicht nach dem zweiten:

Abdurrahim Özüdogru, 49 Jahre, 13. Juni 2001, ebenfalls in Nürnberg.

Oder allen weiteren:

Süleyman Tasköprü, 31 Jahre, 27. Juni 2001, in Hamburg. Habil Kilic, 38 Jahre, 29. August 2001, in München. Mehmet Turgut 25 Jahre, 25. Februar 2004, in Rostock. Ismail Yasar, 50 Jahre, 9. Juni 2005, in Nürnberg. Theodoros Boulgarides, 41 Jahre, 15. Juni 2005, in München. Mehmet Kubasik 39 Jahre, 4. April 2006, in Dortmund. Halit Yozgat, 21 Jahre, 6. April 2006, in Kassel. Und Michèle Kiesewetter, 22 Jahre, 25. April 2007, in Heilbronn.

Die Fragen der Hinterbliebenen beantwortet sie nicht

Zschäpes persönliche Erklärung bleibt vage und widersprüchlich. Sie behauptet zum Beispiel, ihr seien „Themen wie Angst vor Überfremdung“ nach dem Untertauchen zunehmend unwichtig geworden. Das würde bedeuten, dass sich Zschäpes Männerfreunde Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nach dem Gang in den Untergrund im Januar 1998 politisch immer weiter radikalisierten, bis hin zu rechtsextremen Terroristen. Und Zschäpe soll währenddessen ihr „nationalistisches Gedankengut“ aufgegeben haben? Obwohl sie nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos am 4. November 2011 noch mehrere Exemplare der Bekenner-DVD des NSU verschickte, in dem die Comic-Figur Paulchen Panther die zehn Morde und zwei Sprengstoffanschläge präsentiert?

Polizeibeamte untersuchen nach einem Mord in Dortmund einen Kiosk auf Spuren.
Polizeibeamte untersuchen nach einem Mord in Dortmund einen Kiosk auf Spuren.

© picture-alliance/ dpa/dpaweb

Nach etwa ein, zwei Minuten ist Zschäpe fertig. Sie schnappt sich eine Pastille aus der kleinen gelben Packung, die vor ihr auf dem Tisch liegt. Zschäpe lächelt Borchert und Grasel zu. Der Auftritt, so scheinen es die drei zu sehen, ist trotz der Kürze gelungen. Doch der eigentliche Affront kommt erst noch.

"Denken Sie daran, dass ich nicht schlafen kann."

Jahrelang warten die Angehörigen der Mordopfer des NSU auf eine Antwort auf die Frage, warum ausgerechnet ihr Vater, ihr Ehemann, ihr Bruder, ihr Sohn, ihre Tochter sterben musste. Während Zschäpe schon an der Pastille lutscht unternimmt der Nebenklage-Anwalt Sebastian Scharmer einen Versuch. Er vertritt die Tochter des 2006 in Dortmund erschossenen Mehmet Kubasik. Scharmer fragt vorsichtig, ob Zschäpe nun bereit sei, Fragen der Nebenkläger zu beantworten. Zschäpe rührt sich nicht. Ihr Verteidiger greift zum Mikrophon. „An der Einstellung meiner Mandantin hat sich nichts geändert.“ Zschäpe wird mit den Angehörigen der Ermordeten, mit den überlebenden Opfern und mit deren Anwälten weiterhin kein Wort reden. Kälter hätte die Angeklagte ihre persönliche Erklärung, die eine geläuterte Frau suggerieren sollte, nicht konterkarieren können.

Es ist dieser Moment, der diesen Prozesstag zu einem eisigen und entlarvenden macht. Zschäpe behandelt auch jetzt noch die Familien der Opfer wie lästige Bittsteller. Obwohl das Leiden in den knapp dreieinhalb Jahren Hauptverhandlung immer wieder deutlich zu spüren war. Und geradezu körperlich schmerzhaft, als im Oktober 2013 Ayse Yozgat, die Mutter des erschossenen Halit Yozgat, sich bei ihrer Aussage direkt an Zschäpe wandte und flehte, sie solle sagen, wie es zu den Morden kam. „Jeder kann Straftaten begehen, aber ich bitte Sie um Aufklärung“, sagte Ayse Yozgat. „Denken Sie bitte immer an mich, wenn Sie sich ins Bett legen. Denken Sie daran, dass ich nicht schlafen kann.“

Die Bundesanwaltschaft hält Zschäpe bei allen Verbrechen des NSU für die Mittäterin. Bei den zehn Morden, den zwei Sprengstoffanschlägen in Köln, bei den 15 Raubüberfällen. Zschäpe hat außerdem zugegeben, am 4. November 2011 in Zwickau die Wohnung angezündet zu haben, in der sie mit Böhnhardt und Mundlos gelebt hatte. Der Angeklagten droht nun die Höchststrafe. Lebenslänglich mit besonderer Schwere der Schuld. Und womöglich noch Sicherungsverwahrung nach der Haft. Doch den Hinterbliebenen geht es nicht so sehr um die Höhe der Strafe. Sie wollen begreifen.

Früh knüpfte sie Kontakte zu Rechtsextremisten.
Früh knüpfte sie Kontakte zu Rechtsextremisten.

© dpa

Nebenklage-Anwalt Scharmer wirkt resigniert, als er am Donnerstag nach der Verhandlung mitteilt, „das einzige was neu ist, ist dass Zschäpe selbst gesprochen hat“. Und er glaubt, „Zschäpe steht mit dem Rücken zur Wand. Ihre verschiedenen Verteidigungsstrategien scheinen am Ende des Prozesses alle gescheitert. Sie will nun offensichtlich persönlich deutlich machen, dass Sie sich von den Taten zumindest heute distanziert.“ Scharmer vermutet, möglicherweise wolle Zschäpe die von der Bundesanwaltschaft schon in der Anklage vorgeschlagene Sicherungsverwahrung verhindern.

Mag sein, dass die Strategien der Verteidiger nun den Eindruck noch verstärkt haben, Zschäpe sei eine gefühllose Killerin, eine Heuchlerin. Was muss passieren, dass jemand so wird?

Ihre Kindheit verbrachte Zschäpe in Jena. Ihre Mutter fand sich im wiedervereinigten Deutschland nicht zurecht und kümmerte sich wenig um Tochter Beate. Das Kind wuchs bei der Großmutter auf. Polytechnische Oberschule, Lehre als Gärtnerin – die Geschichte hätte hier enden können. Doch Zschäpe knüpfte früh Kontakte zu Rechtsextremisten. Verliebte sich erst in den Neonazi Uwe Mundlos. Später dann in Uwe Böhnhardt. Die beiden Männer wurden wohl zu einer Art Ersatzfamilie für Zschäpe. Gemeinsam gingen sie 1998 in den Untergrund.

Das Ende des NSU war der Beginn eines fünf Jahre langen Versuchs einer Aufarbeitung

Beate Zschäpe hat immer zu ihnen gehalten – trotz aller Konflikte, angeblicher und tatsächlicher. Böhnhardt beispielsweise soll sie sogar geschlagen haben. Ein letzter Liebesbeweis dann am 4. November 2011. Die beiden Uwes haben sich drei Stunden zuvor selbst gerichtet. Zschäpe, so viel lässt sich heute rekonstruieren, lief durch ihre Wohnung in der Frühlingsstraße in Zwickau, wo sie mit den beiden Uwes gelebt hatte, und verteilte Brandbeschleuniger. Sie packte noch ein paar Klamotten ein, die Paulchen-Panther-DVDs mit dem Bekenntnis, und verließ das Haus. Eine Explosion zerriss wenig später das Gebäude. Es war das Ende des Nationalsozialistischen Untergrunds. Und der Beginn eines nun fünf Jahre langen Versuches der Aufarbeitung.

Die Verhandlung ist früh beendet. Zschäpe lächelt ihren Verteidigern zu. Es scheint, als sei sie mit sich zufrieden. Ob sie noch einmal sprechen wird, ist unklar. Zeit genug gäbe es. Keine Prozesspartei erwartet, dass die Richter noch in diesem Jahr das Urteil verkünden.

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