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Von TISCH zu TISCH: Florian

Tafelspitz mit Meerrettich.

Dass die Kellnerin selber wie eine Figur aus einem sehr ernsten deutschen Film wirkt, gehört vermutlich zur Kultur des Hauses. Schließlich ist das Florian ein Lieblingsort für Filmschaffende. Das datiert aus der Zeit, als die Berlinale noch im Zoopalast zu Hause war. Die Kellnerin also ist groß, hat einen Pagenschnitt und trägt eine weiß gestärkte Schürze, die ihre ausdrucksvolle Körpersprache in Szene setzt. Aber das ist es nicht. Es ist dieser Gesichtsausdruck: ein liebliches Lächeln versuchend, aber dahinter dieser eher herbe Ausdruck, hart am Rande des Beleidigtseins. Sie lässt sich herab, uns zu bedienen. Mehr nicht. Weniger aber auch nicht.

Das gesamte Personal hier besteht aus Persönlichkeiten, das Florian ist vermutlich ein guter Ort für Castingteams. Auch Honoratioren wissen das Ambiente zu schätzen. Schon im Eingangsbereich sitzt der Bezirksbürgermeister. Die Tische sind weiß gedeckt, über dem Tresen hängt eine Leuchtreklame mit dem typischen Schriftzug. Das Ambiente ist geprägt von dezenter Wohnzimmeratmosphäre, typisch Berlin. Die Toiletten haben schon immer altmodisch gewirkt, und sollten sie seit unserem letzten Besuch renoviert worden sein, wäre langsam mal eine Wiederholung notwendig.

Die Karte im Florian ist klassisch, nichts ist darauf, das aufgrund verschärfter Originalität eine Erklärung böte, warum der Laden fast überquellend voll ist – und das an einem Montagabend.

Immerhin heißt einen der Duft von frisch gekochter Brühe, von echtem Gemüse willkommen. Es macht gar nichts, wenn so ein Hauch von Essensdunst im Raum hängt, solange der von feinen Zutaten kündet. Er erinnert mich an längst vergangene Zeiten, als Filmschauspieler ihre Bodenständigkeit unter Beweis stellen wollten, indem sie behaupteten, in ihrem Lieblingsrestaurant schmecke es „wie bei Mutter“. Das war in jenen Zeiten, als Mütter noch Zeit hatten, selbst zu kochen, und als Schauspieler noch keinen Yogi brauchten, um sich korrekt zu ernähren.

Zweierlei Brot, Schmalz und Kräuterquark, kalter Cremant, das ist schon mal ein solider Einstieg. Nach 30 Jahren ist das offensichtlich ein Restaurant für Leute, die sich durch Experimente beim Essen nicht gern vom wirklichen Leben ablenken lassen. Die Bestellung wird rasch aufgenommen, aber es dauert leider doch, bis die Teller auf den Tischen stehen. Natürlich wird alles frisch gekocht. Auch Austern gehören zur Kultur des Lokals. Wir hielten uns aber lieber an die warmen Suppen. Ein tennisballgroßer, deftiger Leberknödel lag in einer kräftig dunklen Brühe, für eine Vorspeise war das fast ein bisschen viel Fleisch (5,50 Euro). Besser gefiel uns die samtige Kartoffelpastinakencremesuppe mit frischem Liebstöckel, eine in jeder Hinsicht wärmende Angelegenheit (5,50 Euro).

Am Nachbartisch wurde eine beneidenswert frisch aussehende Fischvorspeise aufgetragen, Matjes, Lachs, Calamari, Jakobsmuschel (10,50 Euro). Köstlich war aber auch die im Ofen zartgegarte Lammschulter mit Kräutern der Provence in einer ganz spannenden und gehaltvollen Sauce. Dazu gab es gut gewürzte dünne, grüne Bohnen und angeröstete Backkartoffeln (17,20 Euro).

Auch der Tafelspitz nach Art der schönen Gärtnerin war aufregender als zu vermuten war – darüber geriebener Meerrettich und Möhren, Steckrüben, Kohlrabi, Kartoffeln von perfekter Konsistenz. Ein einfaches Gericht, das durch verschiedene Kunstgriffe aufgepeppt war, besonders den frischen Meerrettich möchten wir zur Nachahmung weiterempfehlen (16,50 Euro). Zum Nachtisch gab es einen Quader Apfelbrotkuchen mit Zimt und Vanillesauce, lecker, aber unter der Bezeichnung „Scheiterhaufen“ hatte ich mir etwas locker Geschichtetes vorgestellt.

Dass die Weinkarte nicht zu groß, aber sehr patent ist, versteht sich fast von selbst. Der 2009er Chablis von Christian Adine (30 Euro) brachte zur wärmenden Küche einen leicht herben, pampelmusigen Touch. Er korrespondierte wunderbar mit dem ausgeprägten Selbstbewusstsein der Kellnerin.

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