
© Jens Brüning c/o Schöffling & Co
„Das Feuilleton“: Gabriele Tergit 1947 im Tagesspiegel
Dieser kleine Artikel der Schriftstellerin und Journalistin Gabriele Tergit erschien am 26. Oktober 1947 unter der schlichten Überschrift „Das Feuilleton“ im Tagesspiegel.
Stand:
Die Existenz einer Frau ist immer und überall dieselbe. Kommt das Wasser aus der Wand? Muß man es vom Brunnen holen? Oder bringt es der Esel? Wo kriegt man Feuer her, um zu kochen? 1932 habe ich zu einem eleganten Herrn in einem Auto gesagt: „Der Hitler wird die gesamte Kultur zerstören.“ „Welche Kultur? Sie meinen unsere Zivilisation der Seife?“ „Jawohl“, hätte ich sagen sollen, „Sie Karnel, genau das.“ Für Millionen von Frauen, sogar in den Kulturländern, kam das Wasser nie aus der Wand und das Feuer nie aus einer Röhre. Für Millionen von Frauen hat es gar nicht des Hitler bedurft, damit sie alles, was zu bewegen ist, auf ihrem Kopf und mit ihren zwei Füßen bewegen müssen, Die Zivilisation der Seife war das Ende des Sechzehnstunden-Arbeitstages für die Frauen, das Ende der entsetzlichen Menschenmühe, sich und die Nächsten nur gerade gefüttert, behaust und angezogen zu erhalten. Die Zivilisation der Seife war die Arbeitsteilung. Ein paar Leute machten das Gas, damit nicht jeder sich sein Feuer allein machen muß. Ein paar Leute arbeiteten in den Wasserwerken, damit nicht jeder sich sein Wasser allein schöpfen muß. Als man vom Anfang der Barbarei in Deutschland hörte, so um 1927, von alldem, was man seit hundertfünfzig Jahren und länger überwunden glaubte, von heimlichem Gericht und Folter und Tod durch Verprügeln, da erschien es erstaunlich, daß das elektrische Licht weiter funktionierte und die Omnibusse fuhren. Es waren erstaunlich wenige, die erkannten, daß das nicht zusammen geht. Frauen müssen aufstehen, Frühstück machen, Kinder waschen, plätten, Müll wegbringen, Nahrung besorgen, Hühner füttern, Staub wischen — in allen Ländern, unter jedem Himmel. Wo Mord durch die Straßen eilt, da kann man immer noch Wasser von der Quelle holen, aber Wasserleitungen versagen da ihren Dienst. Wo einer den anderen beargwöhnt, da kann man immer noch Kerzen brennen, aber ein Elektrizitätswerk ist zu kompliziert, um das auszuhalten. Wo man die Keule für das geeignete Instrument zur Regelung menschlicher und staatlicher Beziehungen hält, da kann man immer noch auf dem Dreifuß kochen, aber Gaswerke gibt es da nicht. Wo jeder sein eigenes Kornfeld hat, kann vieles passieren, aber in fünfstöckigen Mietskasernen braucht man Kanalisation. Tüchtigkeit und Dynamik genügen nicht, damit die Zivilisation der Seife mit ihrer Arbeitsteilung funktioniert. Sie bedarf einer gewissen Anständigkeit.
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