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ARCHIV - 16.05.2018, Berlin: Der Künstler Rosa von Praunheim sitzt anlässlich der Pressevorbesichtigung in der Ausstellung «Abfallprodukte der Liebe» mit Werken von Elfi Mikesch, Rosa von Praunheim und Werner Schroeter (1945-2010). Der Filmemacher ist tot. Er starb im Alter von 83 Jahren, wie der Deutschen Presse-Agentur aus seinem persönlichen Umfeld bestätigt wurde. Zuvor hatten mehrere Medien berichtet. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Bernd von Jutrczenka

„Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“: Karena Niehoff 1971 im Tagesspiegel über Rosa von Praunheims Film bei der Berlinale

Zum Tod des Regisseurs dokumentieren wir hier die Tagesspiegel-Rezension vom 6. Juli 1971 zur Uraufführung bei den Berliner Filmfestspielen.

Stand:

Der Regisseur Rosa von Praunheim ist ein Mann, der, ebenso wie sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Manfred Dannecker, die eigene Homosexualität nicht vertuscht, sie vielmehr bewußt annimmt. Er hat also seinen Film — anders als solche Untersuchungen sonst meist geschehen, von innen nach außen gedreht, nicht als mitfühlender, mitdenkender Liberaler, sondern als Betroffener.

Er führt zum Exempel seiner didaktischen, von zwei Begleitsprechern herausgekreischten, hervorgezischten, im besten Fall nur gelispelten Thesen, den jungen Mann Daniel vor: Ein hübscher Fratz, intellektuell unbedeutend, der in Berlin anfangs bei den Männern scheu und hingabebereit das große saubere Gefühl sucht, es sogar findet, sich indessen bald dadurch beengt fühlt, bei einem reiferen und reichen überkandidelten Schöngeist auf die Weihen der feineren Kultur hofft, später immer gieriger und ausschließlicher nach der peitschenden Droge des reinen Sex jagt.

Er findet sie in mondänen Herrenbars, im Strandbad, in derberen, volkstümlicheren, weniger umständlichen Transvestiten-Treffpunkten, auf den Straßen, in Parks; sogar das primitive (oder auch hoffnungslos verklemmte) Kleinvieh, welches man in Männerpissoirs anheuert, läßt der schicke rege Jüngling nicht ungenutzt verkommen.

Bis er in einer idealen Männerkommune landet. Die Herren sitzen nackt, doch züchtig um ihn herum wie hochgemute Indianer um ihr für den Marterpfahl bestimmtes Opfer, schnacken, auch immer reihum, entsetzlich klug, bringen als geballte Ladung akkurat resümierend noch einmal alles das hervor, was sie vom unsichtbaren Meister Praunheim gelernt haben.

Am ehrlichsten erscheinen hier noch die „Tunten“ (nicht identisch mit Transvestiten), die Entdeckung nicht fürchten, die stattdessen ihr Anderssein in Kleidung, Schminke, Schmuck und Gestik unverhohlen demonstrieren und dafür von den Eingeschüchterten mehr verabscheut werden als die Mitglieder der Gesellschaft, die für Einschüchterung sorgen.

Was schlägt Praunheim vor? Diese Menschen sollen endlich „von den Toiletten weg in die Straßen“, Straße nicht als trister Kontaktplatz, als Kampfplatz vielmehr gemeint; sollen sich endlich emanzipieren, doch um Gottes willen nicht integrieren.

Praunheim läßt rücksichtslos nicht einmal die schönsten Legenden gelten — grundsätzlich klüger, begabter, künstlerischer oder sensibler als andere Menschen. Sie tun nur so, sich Ausgleich für ihre Feigheit, ihre menschliche Unbrauchbarkeit zu schaffen.

Viel Widersprüche in der mitleidslosen Selbstdarstellung; und Text und Bild meist nur lose verklammert. Oft ist die reine Parodie zu sehen, eine komische fette Mann-Frau mit Dutt, die gefühliges singt; Fürst-Eulenburg-Ästhetizismus-Elegie am Klavier, aber roh verzerrt, sehr ungekonnt.

Im Saal kichert es bei solchen Anprangerungen immer verdächtig: die Homosexuellen sind als Spaßvögel ausgeliefert, ein lustiges Drama ist zu sehen; und die Betroffenen grämen sich, fühlen sich verkauft.

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