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Der Schriftsteller Hans Fallada an seinem Schreibtisch.

© Fallada-Archiv

Hans Fallada: Das kurze Glück in Carwitz

Der Schriftsteller Hans Fallada hat lange Zeit in dem abgeschiedenen Ort Carwitz gelebt. Für seine Familie und ihn waren es wohl die besten Jahre. Zuletzt fanden ihn seine Dämonen doch.

Er hat schwer getrunken an diesem Montagabend im August 1944. Seit knapp zwei Monaten ist er geschieden. Jetzt betritt er das Anwesen, das bis vor Kurzem sein Zuhause gewesen ist und wo Anna, genannt Suse, mit den drei Kindern lebt. Von der weiß gekachelten Küche geht der Blick in den Obstgarten und auf den ruhig daliegenden See. Hier im Haus kommt es zum Streit, wie es wohl oft passiert ist in den Wochen ihres Scheidungskampfs. Aber diesmal gerät die Situation außer Kontrolle. Er fuchtelt mit seinem Terzerol, einem altertümlichen Vorderlader, und aus der Waffe löst sich ein Schuss. Suse wird nicht getroffen. Sie kann ihm die Pistole entwinden, verpasst ihm damit einen Schlag auf den Kopf und rennt ins Freie. Der Terzerol landet im Carwitzer See. Doch statt des herbeigerufenen Arztes kommt der Dorfpolizist

In den ersten Ehejahren ist das Geld knapp

Hans Fallada, mit bürgerlichem Namen Rudolf Ditzen, ist damals 51 Jahre alt, schon lange Alkoholiker und Morphinist, ein weltberühmter Bestsellerautor in der „inneren Emigration“, von den Nazis „unerwünscht“. Nach dieser Nacht wird er wegen versuchten Totschlags angezeigt. Es ist der tragische Tiefpunkt der Ehegeschichte von Fallada und seiner Frau, die 16 Jahre zuvor so hoffnungsvoll begann.

Anlässlich seiner Verlobung schreibt Fallada am 29. Dezember 1928 an einen Freund: „Ich bin so glücklich, wie ich es noch nie in meinem Leben gewesen bin, und ganz erstaunt darüber, dass sie ebenso glücklich zu sein scheint.“ In den ersten Ehejahren ist das Geld knapp, aber mit Suse kehrt Ruhe und Regelmäßigkeit in Falladas Leben ein, das bis dahin – einschließlich Sanatorien und Gefängnissen – eher glücklos verlaufen war.

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Und dann unverhofft der große Erfolg! Mit seinem vierten Roman, „Kleiner Mann – was nun?“, wird Fallada 1932 weltberühmt. Es ist die Geschichte eines kleinen Verkäufers: Johannes Pinneberg wird arbeitslos und findet im Privaten Zuflucht vor den politischen und wirtschaftlichen Missständen seiner Zeit – mit seiner Frau Lämmchen und dem Sohn Murkel zieht er in eine Laube außerhalb Berlins. Das trifft den Nerv der Zeit: In den beginnenden 1930er Jahren spüren die Menschen die Folgen der Wirtschaftskrise und den zunehmenden Terror der Nazis.

Fallada erfüllt sich mit dem Geldsegen, den ihm dieser Roman beschert (unzählige Male übersetzt, gleich zweimal verfilmt, einmal davon in den USA), einen Traum. Im Sommer 1933 kauft er fernab der Großstadt ein Anwesen für seine Familie, wie es viele Künstler taten: Albert Einstein in Caputh, Falladas Verleger Ernst Rowohlt östlich von Berlin, später Bertolt Brecht und Helene Weigel in Buckow, John Heartfield in Waldsieversdorf. Seinen Eltern beschrieb er das neue Domizil in Carwitz in der Feldberger Seenlandschaft als „ein richtiges altes Gutshaus, urgemütlich, mit elektrischem Licht, Öfen, mit sieben Zimmern, die durch Ausbau des Dachgeschosses leicht auf neun erhöht werden können“.

Umgeben von Buchen- und Kiefernwäldern umfasste die Büdnerei Nr. 17 sechs Morgen Land und 500 Meter Seefront, eine Scheune, die heute das Hans-Fallada-Archiv beherbergt, zudem Stallung, Kuh, Pferd, Schweine, hundert Obstbäume. Das Hans-Fallada-Museum zeigt den Besuchern die Räume, wie sie damals eingerichtet waren, bis hin zu seiner Schreibmaschine und der Kaffeekanne, dem „wichtigsten Handwerkszeug“.

Im Sommer konnten die Kinder schwimmen, im Winter Schlittschuh laufen

Im Sommer 1933 erwarb Hans Fallada das Anwesen in Carwitz in der Feldberger Seenlandschaft.
Im Sommer 1933 erwarb Hans Fallada das Anwesen in Carwitz in der Feldberger Seenlandschaft.

© dpa

Fallada schätzte die „verwunschene, einsame Lage“. Noch immer ist Carwitz für Besucher schwer zu erreichen – in der Nazizeit und im Zweiten Weltkrieg war das ein Vorzug. Die amerikanische Schriftstellerin Martha Dodd besuchte die Ditzens im Frühjahr 1934: „Er war vom Leben isoliert und in seiner Isolation glücklich.“ Die sandigen Feldwege wurden mit dem Pferdewagen, per Fahrrad oder zu Fuß bewältigt, der nächste Bahnhof befand sich in Neustrelitz, über 36 Kilometer entfernt. Doch selbst das konnte den ständigen Besucherstrom nicht aufhalten. „Bei uns essen alle gemeinsam an einem Tisch, Eltern, Kinder, Haustöchter, Monteure, Hausschneiderinnen, Gäste.“

Die Kinder konnten im Sommer schwimmen, angeln und Ruderboot fahren, im Winter Schlittschuh laufen. In den Wäldern sammelten sie Pilze, Brombeeren und Schlehen. Für die junge Familie war dieser Ort mit nur einem Gasthof und einer Bäckerei – einmal die Woche kamen zudem ein Lebensmittel- und ein Fleischwagen – wie geschaffen. Und für den Vater bot die Abgeschiedenheit Schutz vor den Verlockungen der Großstadt. Fallada war seit vielen Jahren alkoholabhängig und verfiel immer wieder der Sucht. Jeglicher Konsum im Haus wurde von Suse verboten. Fallada warnte den ebenfalls dem Alkohol zugetanen Ernst Rowohlt vor einem Besuch: „Ich schwöre Ihnen, so etwas wie Alkohol ist nirgend in der Nähe zu kriegen. Sie werden umsonst nach einem Morgenschnäpschen wimmern und sich mittags an die Milch der tüchtigen Eri-Kuh halten.“ Als vor Weihnachten das übliche Schlachten eines Schweins stattfand, das mit dem Einpökeln und Verwursten des Fleisches zu einem Höhepunkt im Haushalt der Ditzens wurde, schrieb er: „Suse hat zu ihrem Staunen gehört, dass zur guten mecklenburgischen Mettwurst ein Schuss Rum oder Kognak gehört, leider hat sie nur das für die Wurst nötige Quantum bestellt.“

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Fallada versorgte die Familie selbst. Er hatte nach dem abgebrochenen Abitur eine landwirtschaftliche Lehre absolviert und konnte nun einen eigenen Hof bewirtschaften: Die Schweinehaltung lieferte der Familie zuverlässig Fleisch, Schinken, Wurst, ab Kriegsbeginn hielten sie zudem Hühner. Für den Obst- und Gemüseanbau ließ Fallada Anfang 1936 eine Bewässerungsanlage bauen, 1938 wurde ein Räucherhaus errichtet, 1939 erwarb er einen Bienenstock samt Bienenvolk. Im Juni ernteten sie kiloweise Erdbeeren, im August Champignons, Bohnen, Tomaten, Gurken. Die Erzeugnisse wurden vom Pferdefuhrwagen aus verkauft, bis sie in den Kriegsjahren ganz auf Selbstversorgung umstellten und ihre Verwandten mit Nahrungspaketen unterstützten.

Der geregelte Tagesrhythmus in Carwitz verschaffte Fallada die nötige Ruhe und Konzentration zum Schreiben. Als die Familie im Oktober 1933 das neue Heim bezogen und mit einem Gänsebraten gefeiert hatte, freute sich der ordnungsliebende Schriftsteller besonders über das neue Arbeitszimmer und den Platz für die bald 4000 Bände umfassende Bibliothek. „Die Stunden, da ich alles für die neue Romanarbeit vorbereite, gehören zu den glücklichsten meines Lebens.“ Die Kinder aber klagten, denn das zog unweigerlich die Warnung der Mutter nach sich: „Der vordere Hof ist euch verboten, ihr spielt nur hinter der Scheune. Und wenn ihr im Obstgarten seid, denkt ihr daran, dass ihr immer ganz leise sein müsst“, heißt es in der Erzählung „Ruhe, jetzt wird gearbeitet!“. Das dürfte der Wahrheit sehr nahegekommen sein.

Seine Ehe litt - in Berlin traf Fallada andere Frauen, nahm Morphium

Fallada im Kreise der Familie.
Fallada im Kreise der Familie.

© Fallada-Archiv

Der Autor beschloss, die Naziherrschaft in Deutschland auszusitzen und sich in die „innere Emigration“ zurückzuziehen. Zwar zu gewissen Kompromissen bereit, ließ er sich doch zu keiner Zeit zum Propagandaschreiber machen. Das Lavieren lastete zeitweilig so schwer auf ihm, dass er 1936 erwog, Carwitz aufzugeben. Stattdessen aber nimmt er eine Hypothek auf, verkleinert den Hausstand und verpachtet einen Teil des Grundstücks, um das Anwesen trotz sinkender Autorenhonorare halten zu können. Indes versucht er, auch als Schriftsteller weiterzumachen: In Carwitz entstehen seine populär gewordenen „Geschichten aus der Murkelei“ (1938), aber auch der große Gesellschaftsroman „Wolf unter Wölfen“ (1937).

Seine Ehe jedoch leidet. Fallada fährt ab und zu nach Berlin, besorgt sich Alkohol, nimmt Morphium, trifft andere Frauen. Depressionen und Trinkgelage führen zu Zusammenbrüchen. Und so verbringt die Familie seinen 50. Geburtstag am 21. Juli 1943 ohne große Gesellschaft auf dem einst so belebten Anwesen. Als Suse herausfindet, dass er in ihrem Haus ein Verhältnis hat und alle außer ihr davon wissen, ist das Maß voll. Im Mai 1944 reicht sie die Scheidung ein.

Als am 29. April 1945 die Rote Armee in Carwitz einmarschiert, ist Suse ohne männlichen Beistand und muss die elfjährige Mücke allein verstecken. Fallada hat Anfang Februar die wesentlich jüngere Ulla Losch geheiratet. Bei Kriegsende wird er als Bürgermeister in Feldberg eingesetzt. Sein Kommentar: „Ich bin der gehassteste Mann bei den Feldbergern.“

Nach einem erneuten Zusammenbruch zieht er mit Ehefrau Ulla nach Berlin, wo es ihm gelingt, sich noch einmal aufzurichten. In einer letzten Anstrengung ringt Fallada sich die Romane „Der Alpdruck“ und „Jeder stirbt für sich allein“ ab. Noch bevor die Bücher erscheinen, stirbt er mit 53 Jahren am 5. Februar 1947 in einem Berliner Krankenhaus.

Seinen letzen Brief an Suse verfasst er kurz vor seinem Tod

Den Kontakt zu seinen Kindern und zu Suse hat er nie aufgegeben. Seinen letzten Brief an Suse verfasst er kurz vor seinem Tod am 20. Dezember, gedanklich in Carwitz, bei den Weihnachtsgeschenken, die er für seine Kinder besorgen werde. Der Brief endet mit „Dein Freund Ditzen“.

Dieser „Freund Ditzen“ hat ein Leben voller Dämonen geführt. Es waren Suse, seine Kinder und dieser verwunschene Ort Carwitz, wo er sie am ehesten bannen konnte. Seinem Erinnerungsbuch „Heute bei uns zu Haus“ (1943) stellte er die Anmerkung voran: „Dieses Buch gibt Bilder aus dem Familienleben eines Schriftstellers auf dem Lande.“ Und weiter: „Dies ist eine kleine Welt, die ich mir erschaffen.“ In dieser Welt verbrachte er die glücklichste Zeit seines Lebens.

Dieser Text ist dem aktuellen Tagesspiegel-Magazin „Mecklenburgische Seenplatte“ entnommen, für 6,50 Euro versandkostenfrei erhältlich im Shop, Telefon: 290 21-520.

Das Hans-Fallada-Museum: Zum Bohnenwerder 2, 17258 Feldberger Seenlandschaft (OT Carwitz), Öffnungszeiten (außer montags): April bis Oktober 10–17 Uhr, November bis März 13–16 Uhr.

26. Hans-Fallada-Tage: 22.7.–24.7.2016, mit Lesungen und Kinderveranstaltung, Poetry Slam und literarischem Spaziergang.

"Kleiner Mann – was nun?" ist gerade erstmals in der Urfassung im Aufbau-Verlag erschienen. Die Neuausgabe enthält umfangreiche Szenen, die noch nie gedruckt wurden.

Nele Holdack

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