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Gute Zeiten. Jürgen Klinsmann (links) und Joachim Löw bei der WM 2006. Sollten diese beiden jetzt wie Feinde denken, bloß weil es der Spielplan so will?

© dpa

WM 2014 USA - Deutschland in Recife: Jürgen Klinsmann gegen Joachim Löw - Ein Fall für zwei

Sie verbindet wenig außer ihrer Freundschaft: die Nationaltrainer Joachim Löw und Jürgen Klinsmann. An diesem Donnerstag, acht Jahre nach dem „Sommermärchen“, treffen die Partner der WM 2006 als Gegner aufeinander. „Jetzt“, sagen sie, „geht es ums Geschäft“.

Gibt es einen Freundschaftsanruf vor dem Spiel? Keine Zeit, sagt Jürgen Klinsmann. Freundschaft ist ein dehnbarer Begriff, aber wann wird er schon mal so extrem gedehnt wie in diesen Tagen der Fußball-Weltmeisterschaft von Brasilien? Es ist eine seltsame Männerfreundschaft, die am Donnerstag in der Hitze der Küstenstadt Recife ausgeleuchtet und in die ganze Welt übertragen wird.

Blitz und Donner werden in Recife erwartet, und das gilt nicht nur für den Wetterbericht. Im finalen Vorrundenspiel der Gruppe G spielt die deutsche Mannschaft an diesem Donnerstag gegen die der USA. Vor allem aber ist es das Duell der beiden Männer, die den deutschen Fußball international wieder konkurrenzfähig machten. Es stehen sich gegenüber: Jürgen Klinsmann, 49, der Macher des deutschen Sommermärchens von 2006 und jetziger Trainer des Team USA. Und sein einstiger Assistent Joachim Löw, 54, der Klinsmann nach dessen Demission als Bundestrainer folgte.

Wie stellt man seine Mannschaft ein gegen ein Gegenüber, das man so gut kennt? Wenn dieses Gegenüber auch alles über den anderen weiß und dessen Mannschaft? Der dazu ein guter Freund geworden ist? Müssen sie jetzt wie Feinde denken, weil es der Spielplan so will?

Er ist der Berater von Klinsmann - und von Löw

„Das können beide völlig ausblenden“, sagt Roland Eitel. Er ist der Berater von Jürgen Klinsmann – und der Berater von Joachim Löw. Eitel kennt Löw seit beinahe 20 Jahren. An Löws erstem Arbeitstag als Trainer beim VfB Stuttgart trat Eitel als Pressesprecher beim Bundesligisten an. Als Löw 1998 entlassen wurde, ging auch er. Seitdem berät er Löw. Klinsmann kennt er seit dessen Wechsel zu Inter Mailand im Januar 1990.

Eitel, Jahrgang 58, sitzt in einem leicht ausgeleierten Regiestuhl, das heißt, er hängt mehr. Seine Arme baumeln an den Schultern herab, wie das überstehende Stroh an den Enden des Daches der kleinen Bar, an der abends Caipirinha ausgeschenkt wird. Von hier aus sind es bis zum WM-Quartier in Santo André der deutschen Mannschaft vielleicht 15 Kilometer strandwärts. Eitel meidet für gewöhnlich die Öffentlichkeit, den Kontakt zu Klinsmann und Löw hält er über sein Smartphone. Da der Ludwigsburger inzwischen auch noch die Betreuung von Mesut Özil übernommen hat, ist für ihn das Campo Bahia der Nationalmannschaft – wie für jeden anderen Spielerberater auch – eine Tabuzone.

Treffen am Tiefpunkt: Wie Löw und Klinsmann zusammenfanden

Klinsmann und Löw fanden zusammen, als der deutsche Fußball an einem Tiefpunkt angelangt war. Damals, im Sommer 2004, als die Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft in Portugal nach einer Niederlage gegen eine tschechische B-Mannschaft in der Vorrunde ausgeschieden war, worauf der Bundestrainer Rudi Völler entnervt zurücktrat. Es war dies der Ausgangspunkt einer Partnerschaft, wie sie der Fußball selten erlebt. Wenn zwei Menschen zueinanderfinden, die nur die Liebe zum Fußball verbindet. Die der Zufall zusammenbringt oder ein Tiefpunkt eben. Der Ideengeber und der Umsetzer: Jürgen Klinsmann und Joachim Löw. Beide päppelten sie den deutschen Fußball, auf dass er bei der WM 2006 ein kleines Sommermärchen erlebte. Ein bisschen wird also in Recife auch über diesen Sommer entschieden.

Was würde Roland Eitel heute fehlen, wenn er nur einen der beiden hätte? „Der grenzenlose Optimismus bei Klinsmann und dessen Gabe, Menschen mitreißen zu können“, sagt der Berater. Und bei Löw? „Diese unglaubliche Gelassenheit.“

Das mit der Gelassenheit ist so eine Sache. Hat Löw nicht gerade erst seinen Führerschein wegen Raserei abgeben müssen? Und ist nicht Klinsmann der, auf den das vom Wesen her besser passen würde?

Das Angreifertum wurde zur Grundmelodie seines Wirkens

„Ich komme ja aus der Angreiferecke“, hatte der frühere Stürmer vor zehn Jahren bei seiner Vorstellung als neuer Bundestrainer gesagt und sich darangemacht, den deutschen Fußball umzukrempeln. Dieses Angreifertum ist dann zur Grundmelodie seines Wirkens geworden. Klinsmanns Entscheidungen waren so überraschend wie unbequem, vor allem für die alte Fußballfamilie. Klinsmann kam damals über die Außenbahn, aber alles, was er tat, zielte ins Zentrum. Wo Löw den Ball übernahm.

Beide kannten sich kaum, als Klinsmanns Anruf Löw im Sommer 2004 erreichte. Bei der Trainerausbildung 2000 in Köln saßen sie im Schulungsraum nebeneinander. „Engen Kontakt hatten wir nie“, hat Löw einmal erzählt. Wenn Klinsmann nicht eine ähnliche, offensive Spielphilosophie vertreten hätte wie er, wäre für Löw ein Arbeitsverhältnis nicht infrage gekommen, auch nicht bei der Nationalmannschaft. „Ich wäre unglücklich geworden“, sagt Löw: „Aber so bin ich ihm dankbar, dass er mich angerufen hat.“

Tatsächlich hätte es ohne Klinsmann den Bundestrainer Löw nicht gegeben. Erst musste Klinsmann den Verband zwei Jahre lang mit seiner an Sturheit grenzenden Kompromisslosigkeit sturmreif reformieren – für einen wie Löw, einen Bundestrainer ohne große Karriere und ohne großen Namen. Löw hatte nicht die Autorität in den Beinen wie Klinsmann, der 108-mal für Deutschland gespielt hatte und Welt- und Europameister geworden war.

Vor dem Ligaausschuss wurden sie angeschrieen

Oliver Bierhoff, damals von Klinsmann als Teammanager dazu geholt und heute noch dabei, erinnerte neulich an eine kleine Begebenheit, die viel über die Zeit damals erzählt. Klinsmann und er wurden vor den Ligaausschuss zitiert. „Da sind wir angeschrieen worden: Wir würden den deutschen Fußball kaputtmachen, mit den Fitnesstrainern, dem Psychologen und dem ganzen Mist.“ Zwei Jahre später, sagt Bierhoff, konnte man bei jedem Bundesligisten auf dem Mannschaftsfoto sehen, wie Klinsmann gewirkt hatte. Da standen sie plötzlich auch: die Fitnesstrainer, Sportpsychologen und der ganze Mist. „Der Jürgen hat eine unglaubliche Energie“, erzählt Bierhoff. „Manchmal hat man sogar das Gefühl, er will bewusst Konflikte schaffen, um Energie freizusetzen.“

Löw hat andere Qualitäten. Er ist dann gut, wenn er Zeit bekommt, mit einer Mannschaft zu arbeiten. Er kann aus einer guten Mannschaft eine bessere machen, aber nicht aus einer schlechten ein gute. Mit anderen Worten: Wenn bei einer Mannschaft einer wie Klinsmann gewirkt hat, funktioniert Löw hinterher.

Bei Eitel hört sich das so an: Klinsmann sei mehr der Heilpraktiker, also einer, der einen ganzheitlichen Ansatz verfolge. Und Löw sei der Chirurg: Gebt mir die Mannschaft für vier Wochen, dann kriege ich das hin. Klinsmann ist schon immer mehr über die Emotionen, über den Willen gekommen. Löw verlässt sich auf sein Handwerk, seine Technik. Schon als Spieler. Löw hat mal erzählt, wie sehr er unter den Methoden seiner Trainer gelitten habe. Er habe sich konkrete Handlungsanweisungen gewünscht und keine vagen Ansagen wie: Ihr müsst besser in die Zweikämpfe kommen. Löw wollte wissen: Und wie soll das gehen? Auch deshalb ist er ein Trainer für die Spieler geworden und keiner für die Öffentlichkeit.

"WM der Strapazen" oder "WM der Toleranz"? Ansichtssache

Ihr Anderssein ergibt sich aus den Läufen ihrer Leben. Klinsmann wurde mit 18 Profi. Er hat in Mailand und Monaco gespielt, er hat am Comer See gewohnt, in London gelebt und seine Frau in Kalifornien gefunden. Sein Leben war Aufsaugen, stets auf der Suche nach Neuem. Reisen lehrt Toleranz, heißt es. Auch deshalb ist er mit Euphorie nach Brasilien gekommen, zu einer „WM der Toleranz“, wie er sagt. Er hat längst kapiert, dass er nicht alles ändern kann, schon gar nicht Brasilien. Dabei hasst er Warten. Das hat er als Fußballprofi jahrelang gehabt. Warten im Hotel, warten auf den Mannschaftsbus, warten auf das Mannschaftsessen, auf die Mannschaftsbesprechung. Löw tickt da anders. Das Warten sitzt er aus und die „WM der Strapazen“ (Originalton Löw) gleich mit. „Dann hole ich mir halt einen Espresso.“

Ein bisschen Klinsmann steckt noch heute in Löws Team. Mal abgesehen von den Fitness-Trainern, die er damals aus den USA importierte und die immer noch da sind. Wie auch der Schweizer Scout oder der Teampsychologe. Es gibt noch einige Spieler, die aus jener Zeit stammen, die damals zugestiegen sind, als die aufregende Fahrt begann. Podolski, Lahm, Schweinsteiger oder Per Mertesacker. Der sagt: „Jürgen Klinsmann war die Person, die damals einer ganz jungen Generation Vertrauen geschenkt hat.“ Podolski, Lahm, Schweinsteiger, Mertesacker – alle haben sie heute mehr als 100 Länderspiele absolviert.

Gehalten hat sich die Wertschätzung

Vor zehn Jahren begann die gemeinsame Fahrt von Klinsmann und Löw, vor acht Jahren stieg der eine aus. Gehalten hat sich Wertschätzung. Auch Freundschaft? „Ja, wenn man die besonderen Lebensumstände der beiden berücksichtigt“, sagt der Berater Roland Eitel. Hier Los Angeles, da Freiburg. „Aber wenn der Jürgen nach Deutschland komme und es sich irgendwie einrichten lässt, dann trifft er den Jogi.“ Das letzte Mal im vorigen September, als sie sich das Bundesligaspiel zwischen Stuttgart und Leverkusen anschauten. Und sonst? Telefon, SMS, aber nur wenn es wirklich Wichtiges gibt.

Wie damals, mittendrin im Sommermärchen. Damit du es weißt, hatte Löw zu Klinsmann gesagt: Egal, wie das hier ausgeht. Ich bin keiner, der nach diesen acht Wochen auf dem Parkplatz Tschüss sagt. Ein paar Tage später, es war der Finalsonntag, ging es direkt von der Fan-Meile am Brandenburger Tor nach Baiersbronn, tiefster Schwarzwald. Klinsmann hatte Frau und Kinder mitgebracht, Eitel seine Familie, Löw seine Ehefrau Daniela. Zu zehnt saßen sie am Tisch. Als in Berlin das WM-Endspiel angepfiffen wurde, wurde das Essen serviert.

Drei Tage dauerte damals das Tschüss-Sagen. Mittendrin der Tag, an dem Klinsmann dem Verband telefonisch absagte. Eine halbe Stunde später klingelte bei Löw das Telefon. Der damalige DFB-Präsident Theo Zwanziger fragte, ob er Bundestrainer werden wollte. Er wurde es, wenn auch nach hartnäckiger Überzeugungsarbeit von Klinsmann und dem Druck, den es aus der Mannschaft gab. Auch die wollte, dass Löw Klinsmanns Aufgabe fortführt.

Fortführt bis heute, zum Wiedersehen mit Klinsmann, den er nun aus dem Turnier schießen kann. Dass die Deutschen ausscheiden, ist eher unwahrscheinlich, aber wenn doch, dann ist Löw weg. „Jetzt geht es ums Geschäft“, sagt Klinsmann, der vor dem Spiel beide Hymnen singen will. „Aber dann will ich auch gewinnen!“

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.

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