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In Krisenzeiten muss der Ziergarten notfalls der Kartoffel weichen.

© dpa-tmn

Homeoffice mit Spaten: Kartoffeln anbauen in der Krise

Seiner Frau wurde gekündigt, der Tochter auch. Jetzt denkt unser Autor an Gemüseanbau im Garten

Von Andreas Austilat

Ich wage mal die Prognose, dass Sparen in diesem Jahr ein ganz großes Thema werden könnte. Die Chefin meiner Frau zum Beispiel spart sich künftig die Mitarbeit ihrer vier Angestellten. Wofür man ja in diesen Zeiten, in denen so viele Geschäftsmodelle den Bach runtergehen, beinahe Verständnis haben muss. Bevor nun allerdings allzu viel Mitgefühl in falsche Bahnen gelenkt wird: In diesem konkreten Fall ging vielees nicht um eine wirtschaftliche Notlage. Die Chefin erklärte stattdessen, sie wolle endlich mal längere Zeit verreisen.

Eine Begründung, die mich ein wenig verwirrt hat. Wo will sie denn hin, fragte ich jedenfalls meine Frau in ihre verständliche Traurigkeit hinein. Ihr Kündigungsschreiben war nämlich sehr sparsam ausgefallen. Es handelte sich nur um eine Zeile. Das ist wirklich nicht viel nach 20 Jahren Bürogemeinschaft. „Neuseeland“, antwortete meine Frau knapp.

Ausgerechnet nach Neuseeland

Das verwunderte mich umso mehr. Denn erstens kommt man ja derzeit nicht mal in die Ostprignitz und zweitens hatte ich in der Zeitung gelesen, dass Neuseeland gerade zu dem Hotspot für gestrandete Deutsche geworden ist, die dort gerne wegwollen, dabei nur leider große Schwierigkeiten haben. „Das wird schon wieder“, sagte ich und nahm meine Frau in den Arm, während ich mal kurz im Kopf durchrechnete, wo ich noch Einsparpotenzial finden könnte, wenn uns ihr Einkommen fehlen würde. Leider fiel mir nichts Gescheites ein.

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Um auf andere Gedanken zu kommen, unterbrach ich mein Homeoffice. Wir beschlossen, gemeinsam mit dem Hund Gassi zu gehen. Zu dritt, wobei der Hund ja nicht mitzählt bei der Gruppenbildung, wir uns also im erlaubten Zweierrahmen befanden, steuerten wir die Kleingartenkolonie an, die uns derzeit als gerade noch zulässiges Naherholungsgebiet dient.

Ein gestrandeter Italiener?

Obwohl es für Frühling sehr frisch war, bemerkte ich das geschäftige Treiben in den Gärten. Es war der Tag, an dem sie dort nach der Winterpause die Wasserversorgung wieder eingeschaltet hatten.

Über einer Parzelle wehte eine große italienische Flagge, was sehr trotzig aussah. Vielleicht ein Italiener, der nicht mehr nach Hause kommt? Oder jemand, der sich wie die Chefin meiner Frau in unrealistische Fernen träumt? Dann bemerkte ich in einem anderen Garten eine auffällige Veränderung. Da hatte jemand seine gesamte Rasenfläche untergepflügt. Die ganze kleine Scholle sah nun aus wie ein Kartoffelacker.

Bei unserer Runde sah ich zwei weitere Parzellen, deren Pächter ganz offensichtlich im Begriff waren, ihren Ziergarten in eine landwirtschaftliche Nutzfläche zu verwandeln. Ich musste an den Weltacker denken. Das ist ein Projekt, das man sich im Botanischen Volkspark Blankenfelde-Pankow anschauen kann. Das heißt, im Moment empfehlen sie dort den Online-Besuch. Dem Projekt zugrunde liegt die Idee, dass, wenn man die Weltbevölkerung durch die verfügbare Ackerfläche teilt, jedem Menschen etwa 2000 Quadratmeter zur Verfügung stünden. Darauf muss man also anbauen können, was zum Leben reicht.

Kartoffeln gehen immer

Natürlich hat keine einzige Kleingartenparzelle 2000 Quadratmeter. Unser kleiner Handtuchgarten hinterm Reihenhaus schon gar nicht. Aber wenn wir da ein bisschen mehr Gemüse anbauen würden, müssten wir doch unseren Etat entlasten können!

Wieder zu Hause rief unsere Tochter an. Sie studiert in Leipzig und hatte schlechte Nachrichten. Die Pizzeria, in der sie nebenher arbeitet, hat ihr den Studentenjob gekündigt.

„Kartoffeln“, sagte ich zu meiner Frau. „Was hältst du von eigenen Kartoffeln?“

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