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Ein Land trauert: Laura Dahlmeier stirbt bei einem Bergunglück.

© Montage: Tagesspiegel | dpa/Matthias Balk, Adobe Stock

Laura Dahlmeiers Tod: Radikal frei, radikal menschlich

Laura Dahlmeiers Tod bewegt. Auch, weil er existenzielle Fragen nach dem Menschsein aufwirft. Die Ex-Biathletin hatte die Antworten bereits gefunden.

Johannes Altmeyer
Ein Kommentar von Johannes Altmeyer

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Eine junge Frau stirbt, und ein Land trauert. Laura Dahlmeiers Tod am Laila Peak in Pakistan erschüttert die Deutschen. Am Montag traf ein großer Stein die 31-Jährige beim Klettern im Karakorum-Gebirge am Kopf, Dahlmeier wurde gegen die Wand geschleudert und war mit großer Wahrscheinlichkeit sofort tot.

Ob ihr Körper jemals zurück in die bayerische Heimat kommt? Ungewiss. Dahlmeier selbst legte fest, dass ihr Leichnam im Fall eines tödlichen Unglücks am Berg zurückzulassen sei. Niemand solle sein Leben riskieren, um sie zu bergen.

All das wirft die Frage nach dem Warum auf: Warum zog es die Ex-Biathletin auf den Gipfel des Laila Peak? Warum ging sie dieses Risiko ein? Und warum loten Menschen beim Bergsteigen, Fallschirmspringen oder Surfen ganz bewusst die Grenzen zwischen Leben und Tod aus?

In Dahlmeiers Fall fällt es leicht, Antworten zu finden. Im vergangenen Jahr erschien eine ZDF-Dokumentation über die zweifache Olympiasiegerin und siebenfache Weltmeisterin, die ihre Sportkarriere mit nur 25 Jahren beendete. Frei nach Adorno stand für sie früh fest, dass es kein richtiges Leben im falschen gibt. Den Biathlon-Zirkus bezeichnete sie als „starr“, man ahnt beim Zuschauen, wie einschnürend die Jahre als Hochleistungssportlerin für die Bayerin gewesen sein müssen. Sie wollte da raus.

Radikales Streben nach Freiheit

„Mir wird schnell langweilig“, sagt Dahlmeier, „ich brauche etwas Neues, Veränderung“. Bereits als Kind in Garmisch-Partenkirchen habe sie von den Bergen geträumt, alles dort sei anders und größer. Und sie macht klar: Ihre Sehnsucht, Berge zu erklimmen, entspreche ihrem Wunsch, „das Leben zu spüren“. Und das auf maximal freie Art. „Der Wert Freiheit steht bei mir ganz oben, der ist mir heilig.“

Dieses radikale Streben nach Freiheit kam bei ihr nicht verantwortungslos oder draufgängerisch daher: „Ich bin mir bewusst, dass es alpine Gefahren gibt“, sagt sie in der Dokumentation. Sie wisse, dass es ein Risiko gebe, in solchen Regionen unterwegs zu sein. „Man ist nicht unsterblich.“ Ein wunderbar einfacher Satz, der einen wahnsinnig traurig zurücklässt.

Laura Dahlmeier wusste, welche Gefahren auf sie warteten – und wollte diese eingehen.

Tagesspiegel-Redakteur Johannes Altmeyer

Als Zuschauer erkennt man staunend, was Dahlmeier bereits mit Anfang 30 gelang: Sie kannte sich, sie wusste, welchen Weg sie einschlagen wollte. Sie wusste, welche Gefahren auf sie warteten – und wollte diese eingehen.

Den Eltern, die in der ZDF-Sendung ebenfalls zu Wort kommen, blieb gar nichts anderes übrig, als ihre Angst um die eigene Tochter vor so viel Lebenslust zu überwinden. „Ich lasse sie emotional frei“, sagt die Mutter ohne Angst in der Stimme.

Natürlich ist Laura Dahlmeiers Tod ein Unglück, eine Tragödie. Eine junge Frau wurde jäh aus dem Leben gerissen. Fern der Heimat, auf gewaltsame Art. Wir trauern, weil wir uns verabschieden müssen, weil wir den Menschen Laura Dahlmeier, den wir nur aus dem Fernsehen kannten, vermissen werden. Und weil es uns an die eigene Endlichkeit erinnert.

In einer polarisierten und gefühlt immer kälter werdenden Gesellschaft fällt es manchmal schwer, die Grundlagen zu erkennen, die unser Leben im Alltag existenziell bestimmen. Auch hier geht es um Fragen, bei denen wir um Antworten ringen, weil wir sie vielleicht nicht immer suchen.

Was macht uns zum Menschen? Unser Ursprung? Unsere Vernunft? Unsere Moral? Unser Streben nach Glück? Laura Dahlmeier hatte die Antworten offenbar auf den Gipfeln der Welt gefunden. Sie wollte nach einer jahrelangen Karriere als Hochleistungssportlerin frei leben, ihre Zeit genießen.

In der ZDF-Dokumentation sagt sie, dass sie die wahre Intensität des Lebens nur dann spüre, wenn sie gefordert werde. Wenn sie beim Bergsteigen an ihr Limit gehe. „Der Moment des maximalen Glücks, wenn ich ganz oben bin, das fühlt sich perfekt an.“

Eine junge Frau stirbt, und ein Land trauert. Diese Zeit des Abschiednehmens wird enden, weil sie irgendwann enden muss. Und der Erkenntnis weichen, dass Dahlmeier ihr Leben bis zum allerletzten Tag, bis zur allerletzten Minute so lebte, wie sie es wollte. Radikal frei. Und radikal menschlich. Wie viele können das von sich behaupten?

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