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Spiel mit der Realität. Bei Scripted-Reality-Serien wie "Köln 50667" soll die Handlung wirken wie auch dem echten Leben. Dafür wird beispielsweise mit Laiendarstellern gedreht.

© RTL2

Braucht Scripted Reality ein Warnschild?: Achtung: Alles erfunden

Die Nachmittags- und Vorabendprogramme sind voll mit Scripted-Reality-Formaten wie "Berlin Tag & Nacht" und Co. Doch wissen alle Zuschauer, dass dort alles nur erfunden ist? Die Landesmedienanstalten fordern eine bessere Kennzeichnung. Die Sender sind von der Idee gar nicht begeistert.

Allein das Happy End müsste skeptisch machen, aber das kommt eben erst zum Schluss, kurz vor dem Hinweis, dass die Geschichte von Natascha Tussmann nur erfunden ist: Die 32-Jährige ist schwanger, als ihre Wehen einsetzen, fährt sie ins Krankenhaus – und ihr Mann in die Disco. Tussmann schmeißt ihn raus, sie angelt sich einen neuen Lover, vernachlässigt ihre Kinder, landet vorm Familiengericht und wird am Ende wieder fürsorgliche Mutter. Was sich absurd anhört, wirkt auf dem Bildschirm ziemlich echt. „Familie im Brennpunkt“ heißt die RTL-Sendung, Scripted Reality das Genre. Realität nach Drehbuch.

Auf die Inszenierung wird im Abspann hingewiesen

Das Nachmittags- und Vorabendprogramm der Privatsender ist voll mit solchen Formaten, sie heißen „Anwälte im Einsatz“, „Betrugsfälle“ oder „Berlin Tag & Nacht“. Dass die Personen und die Handlung nur erfunden sind, erfährt der Zuschauer im Kleingedruckten des Abspanns – viel zu spät, viel zu undeutlich, finden die Landesmedienanstalten und die Kommission für Jugendmedienschutz. Sie fordern deshalb eine bessere Kennzeichnung der Scripted-Reality-Formate. Zum ersten Mal haben sie sich jetzt in Berlin mit Senderverantwortlichen von RTL 2 und Sat 1 sowie Vertretern des Privatsenderverbands VPRT getroffen, um die Möglichkeiten für ein einheitliches Kennzeichnungssystem auszuloten. Auf große Resonanz gestoßen sind sie bei den Sendern damit allerdings nicht.

Großes Drama. Natascha Tussmann ist genervt von ihrem Mann und schmeißt ihn raus. Am Ende gibt's aber doch ein Happy End.
Großes Drama. Natascha Tussmann ist genervt von ihrem Mann und schmeißt ihn raus. Am Ende gibt's aber doch ein Happy End.

© Tsp

„Der Zuschauer muss jederzeit wissen, in welchem Film er sitzt. Und das ist bei Scripted Reality nicht immer der Fall“, sagt Peter Widlock, Sprecher der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen. Was ein Spielfilm, eine Dokumentation, eine Castingshow oder auch Werbung ist, das sei auf den ersten Blick zu erkennen. Scripted-Reality-Formate aber würden sich am Doku- und Reportagestil bedienen, die Genres dabei so vermischen, dass insbesondere junge Zuschauer nicht mehr klar trennen könnten, ob die Sendung nun echt ist oder erfunden.

Der große Griff in die Trickkiste ist der Off-Kommentar

Bei Scripted Reality wird nicht im Studio mit Pappwand gedreht, sondern in echten Wohnungen, Geschäften, Diskotheken. Die Kamera darf ruhig mal wackeln, die Laiendarsteller sich verhaspeln, das alles lässt die Sendungen nur noch mehr wie aus dem echten Leben wirken. Es geht um Streit in Familie und Freundeskreis, Beziehungsprobleme, Geldsorgen – komplexe soziale Themen, die in einem vereinfachten Gut-und-Böse-Schema verkürzt aufgelöst werden. Der große Griff in die Trickkiste ist der sogenannte Off-Kommentar. Die Darsteller berichten den Zuschauern dabei scheinbar sehr persönlich vom gerade Erlebten und beziehen sie so noch einmal direkter mit in die Handlung ein.

„Emotionale Realität“, nennt Maya Götz vom Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen das, was bei Kindern und Jugendlichen durch Scripted-Reality-Formate entsteht, weil sie häufig ähnliche Sorgen und Bedürfnisse hätten, wie sie die Darsteller durchlebten.

Die Schauspieler sind Laien, doch die Anwälte, Richter und Polizisten sind echt in den Sat-1-Scripted-Reality-Formaten wie "Familien-Fälle".
Die Schauspieler sind Laien, doch die Anwälte, Richter und Polizisten sind echt in den Sat-1-Scripted-Reality-Formaten wie "Familien-Fälle".

© Sat1

Ein beträchtlicher Teil der Zielgruppe verstehe nach einer Umfrage ihres Instituts zwar den inszenierten Charakter der Filme, berichtete sie vor einigen Wochen auf den Münchner Medientagen. Ein großer Teil davon lebe aber im Glauben, dass die Protagonisten in ihrem Alltag von einer Kamera begleitet würden – und genau das bereitet den Landesmedienanstalten Sorge. Zwingen können sie die Sender und Produzenten allerdings nicht zu einer deutlicheren Kennzeichnung der Sendungen als Fiktion. Durch Gespräche wie jetzt in Berlin versuchen sie deshalb, die Verantwortlichen davon zu überzeugen und auf deren Freiwilligkeit zu setzen. Die Sender kommen zwar alle zum Treffen, doch die Idee halten sie für überflüssig.

„Wir weisen bei jedem unserer gescripteten Nachmittagsformate im Abspann darauf hin, dass die Inhalte frei erfunden beziehungsweise echten Begebenheiten nachempfunden sind“, betont Sat-1-Sprecherin Diana Schardt. In allen Sendungen handele es sich jedoch um echte Polizisten, Ermittler, Anwälte und Richter. Eben um die Sendungen so echt wie möglich wirken zu lassen.

"Berlin Tag & Nacht" war für den Fernsehpreis nominiert

Auch Felix Wesseler von der Produktionsfirma Filmpool weist die Vorwürfe einer mangelnden Kennzeichnung zurück. „Wir halten die aktuell bereits für jede unserer Sendungen praktizierte Kennzeichnung im Abspann für sinnvoll und absolut ausreichend.“ Filmpool gehört in Deutschland zu den führenden Produzenten von Scripted-Reality-Formaten, wobei Wesseler diesen Begriff nur ungern verwendet. „Scripted Entertainment“ schlägt er vor, also Unterhaltung nach Drehbuch. Damit ist die Realität aus dem Titel zwar verschwunden, was aber nichts daran ändert, dass die entsprechenden Filmpool-Produktionen so echt wie möglich wirken sollen. Mit dem RTL-2-Format „Berlin Tag & Nacht“ , gerade für den Deutschen Fernsehpreis nominiert, und dem Ableger „Köln 50667“, wurde das Genre perfektioniert. Hier bedient sich Filmpool nicht nur der typischen Mittel wie Off-Kommentar, Laiendarsteller und Dreh vor Ort. Sondern auf Facebook werden die Geschichten weitererzählt, so dass die Zuschauer tatsächlich Tag und Nacht mit den Protagonisten verbunden sind. So, als würden sie zu ihrem realen Freundeskreis gehören. Fast drei Millionen Fans hat die Serie in dem sozialen Netzwerk, so viele wie kein anderes deutsches Fernsehformat.

Wissen die Zuschauer, dass die Serie nicht echt ist?

Die Fans würden sehr wohl wissen, dass die Serie nur erfunden ist, betont Carlos Zamorano, Direktor Marketing & Kommunikation bei RTL 2. Sie würden es eher als ein Spiel empfinden, so zu tun, als ob alles echt sei, und sich aus Spaß in das Geschehen reinsteigern. Auch Wesseler beruft sich auf eine von Filmpool in Auftrag gegebene Befragung des Instituts Emnid, wonach mehr als „80 Prozent aller Zuschauer sehr wohl wissen, dass unsere Sendungen gescriptet sind“. Allerdings müsse abgegrenzt werden. „Kinder, die aufgrund ihrer Entwicklung bis zu einem bestimmten Alter ohnehin Realität und Fiktion nicht unterscheiden können und denen mithin eine stärkere Kennzeichnung nicht helfen würde“, müssten durch die Erziehungsberechtigten begleitet werden.

Die Landesmedienanstalten beharren jedoch auf einer einheitlichen Kennzeichnung durchgehend für alle Scripted-Reality-Formate. Ein solches „Achtung: Alles erfunden“-Warnschild soll allerdings nicht nur der besseren Aufklärung der Zuschauer dienen, sagt Winfried Engel, Vorsitzender der Gremienkonferenz der Landesmedienanstalten. Sondern auch der Fernsehbranche selbst. „Wenn Grenzen zwischen den einzelnen Genres vermischt werden, schadet das auch dem Fernsehen. Eine deutliche Kennzeichnung kann deshalb nur zu einer größeren Glaubwürdigkeit beitragen“, sagt er.

Auf eine Lösung haben sich die Landesmedienanstalten und Sendervertreter noch nicht geeinigt. Die Gespräche seien aber „gut verlaufen“, erzählt Engel, das mache ihm Hoffnung. Im ersten Quartal 2014 will die Runde erneut zusammenkommen. Könnte allerdings sein, dass sich das Problem zumindest teilweise schneller erledigt als gedacht. Die „Familien im Brennpunkt“ sind bei RTL derzeit im Abwärtstrend. Der Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen lag in der vergangenen Woche bei 12,2 Prozent und damit deutlich unter dem Senderschnitt. Das hört sich nicht nach Happy End an.

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