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Dokumentation: Alltag in Auschwitz

Aschwitz, von 1939 bis 1945 ein KZ, davor und danach eine ganz normale Stadt in Polen, die sich wieder Oswiecim nennt. Ein Überlebender der Vernichtungsanlage kehrt für eine Doku wieder zurück und erinnert sich an das Grauen und die Zeit davor. EIne Doku über Leben und Tod in ein und derselben Stadt.

Auschwitz gab es nur vom September 1939 bis Januar 1945. Vor der deutschen Besatzung hieß diese polnische Stadt Oswiecim, so heißt sie auch heute. Josef Jakubowicz war einer von 8000 Juden, die in Oswiecim zu Kriegsbeginn die Mehrheit der Bevölkerung stellten. „Wir haben sehr gut zusammengelebt“, erinnert er sich. „Viele Polen haben Jiddisch gesprochen.“ Für den 100-minütigen Dokumentarfilm „Auschwitz war auch meine Stadt“ in 3sat kehrte der heute in Nürnberg lebende Jakubowicz in seine Heimatstadt zurück und besuchte dort den „besten Freund unter den Christen“ seiner Jugend, Karol Parcer. Nun sind es zwei alte Männer, die an einem einfachen Küchentisch in Parcers Haus sitzen, Erinnerungen austauschen und sich scheu umarmen.

Nur wenige Orte auf der Welt sind historisch derart aufgeladen. Auschwitz steht für staatlich gelenkten Massenmord, doch Oswiecim ist auch ein realer Ort mit einer Vorgeschichte, mit Menschen, die sich auf dem Marktplatz trafen und in Synagogen und Kirchen beteten. Autorin Konstanze Burkhard verhilft dieser Perspektive mit alten Fotos, auf denen die Kamera angenehm ruhig verweilt, zu ihrem Recht. Zu sehen ist auch das heutige, auf immer gebrandmarkte Oswiecim – Räume, Plätze und Häuser, denen man ihre Geschichte meistens nicht ansieht: die Villa des KZ-Kommandanten Rudolf Höß, die Gestapo-Zentrale, das zeitweise als Ghetto genutzte Altstadtviertel, der Sportplatz, auf dem die Juden zusammengetrieben wurden, die für die deutschen IG-Farben-Mitarbeiter gebauten Häuser.

Neben dem Leidensweg von Jakubowiczs Familie und der Perspektive der christlich-polnischen Einwohner, die noch durch eine weitere, nicht namentlich genannte Zeitzeugin vertreten ist, geht es um Lebensräume, um konkrete Architektur. Das Stadtbild von Oswiecim sollte radikal verändert werden, Häuser wurden abgerissen, Einwohner mussten den Plänen für breite Straßenzüge und protzige Nazi-Bauten weichen. Natürlich wurden dazu KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter in mörderischer Sklavenarbeit herangezogen, ebenso wie beim Aufbau der IG-Farben-Fabrik.

Auch die Sicht der deutschen Besatzer fehlt nicht: Johanna Scherzberg kam als junge Frau im Sommer 1942 nach Auschwitz, um dort als Sekretärin des IG-Farben-Betriebsleiters zu arbeiten. Sie trägt zu dem Film private Fotos und Tagebuchaufzeichnungen bei, die unter anderem von fröhlichen Ausflügen und Festen mit „Rudi Höß“ und anderen Deutschen erzählen. Noch beklemmender ist nur noch Frau Scherzbergs unerschütterliche Naivität, mit der sie auf „die schönste Zeit, die ich überhaupt erlebt habe“, zurückblickt. Das begründet sie damit, dass es eine besonders produktive Zeit gewesen sei. „Leider war das für den Krieg“, sagt sie, aber das habe man damals total vergessen. Vor den Verbrechen verschloss sie die Augen, obwohl sie mit den Häftlingen in der IG-Farben-Fabrik zu tun und in ihrem Tagebuch auch einen KZ-Besuch notiert hatte. Während die Einwohner von Oswiecim/Auschwitz tagsüber wegen des Leichengeruchs die Fenster schlossen, erklärt sie noch heute: „Was mit den Juden passierte, wusste ich natürlich nicht.“

Die junge Sekretärin lebte mitten in der Hölle in ihrer eigenen, vermeintlich heilen Welt, in der sie alles Störende ausblendete. Die Stärke des Films besteht auch darin, diese enorme Verdrängung kommentarlos zu ertragen und durch die anderen Zeitzeugen und sorgfältige Recherche zu ergänzen. Wer es klassischer mag: Für das WDR-Fernsehen hat die Autorin eine auf 45 Minuten gekürzte Dokumentation geschnitten, die mit Kommentar versehen ist. Thomas Gehringer

„Auschwitz war auch meine Stadt“, Sonntag, 3sat, 21 Uhr 45; WDR Fernsehen, 26. Januar, 22 Uhr 45

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