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Arbeiten an der Front. Mathias Bölinger, Jahrgang 1976, berichtet seit Anfang Januar für die Deutsche Welle aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew.

© DW

Als Reporter in Kiew: „Man muss die Risiken abwägen“

Mathias Bölinger berichtet für die Deutsche Welle aus Kiew. Gespräch über Misstrauen, Gefahren, Zuspruch.

Herr Bölinger, Sie sind für die Deutsche Welle in Kiew. Korrespondent oder Kriegsberichterstatter, was ist die richtige Bezeichnung für Ihre Arbeitssituation?
Ich bin seit 1. Januar Korrespondent hier in Kiew. Das war schon länger geplant. In der Ukraine herrschte bereits seit acht Jahren Krieg, dass die Berichterstattung über diesen Konflikt zum Job gehören würde, war also klar. Aber ich bin nicht mit dem Ziel hergekommen, als Kriegsberichterstatter über einen großflächigen Angriff zu berichten. Zum Kriegsberichterstatter, wenn man das so nennen will, hat mich der Krieg gemacht.

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Wo liegt der Fokus Ihrer Berichterstattung?
Wir sind ein Nachrichtensender und natürlich von Aktualität bestimmt. Daneben geht es mir vor allem darum darzustellen, was der Krieg für die Menschen bedeutet.

Kiew ist Kriegsgebiet. Können Sie sich für Ihre Beiträge in der Stadt frei bewegen?
Es gibt Checkpoints, die die Bewegung langsamer und umständlicher machen. Als Journalist trifft man aber normalerweise nicht auf größere Hindernisse. Beschränkungen gelten für das Filmen militärischer Einrichtungen. Insgesamt sind Behörden und die Menschen ausländischen Reportern positiv eingestellt. Die Kommunikationskanäle sind recht offen.

Wir senden, was wir senden wollen

Wie ist denn die Quellenlage? Werden Sie in Ihrer Arbeit eingeschränkt, gar kontrolliert?
Nein, was wir senden wollen, senden wir. In den ersten Tagen ging das Gerücht um, dass sich Saboteure als Journalisten verkleiden, da wurde uns schon mal mit Misstrauen begegnet – auch von Bürgern, die genau wissen wollten, wer wir sind. Wir werden aber häufig auch von Menschen angesprochen, die uns ihre Unterstützung aussprechen. Insgesamt haben die Ukrainer – Bürger und Staat – ein großes Interesse daran, dass wir erzählen, was hier passiert.

Ihr „Bild“-Kollege Paul Ronzheimer, auch er reportiert aus Kiews, ist in stetem Kontakt mit den Klitschko-Brüdern und Präsident Wolodymyr Selenskyj. Suchen Sie auch deren Nähe oder setzen Sie andere Schwerpunkte?
Wir sind in Kontakt mit Behörden und Amtsträgern, haben sowohl vor dem Krieg als auch jetzt verschiedene ukrainische Politiker im Programm gehabt, darunter auch den Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko. Es gehört selbstverständlich zu unserer Aufgabe, über sie zu berichten. Insofern weder noch: Weder setzen wir komplett andere Schwerpunkte, noch suchen wir ihre Nähe. Wir orientieren uns an dem, was wir als relevant erachten. Neben der politischen und militärischen Dimension sind das natürlich die Auswirkungen des Krieges auf die Menschen.

Sie sind nicht allein für die Deutsche Welle in Kiew, Sie arbeiten im Team.
Wir sind ein Team mit mehreren Reportern, Kameraleuten in Kiew und anderen Orten der Ukraine. Daneben haben wir viele ukrainische Mitarbeitende, von denen einige im Land sind und einige außerhalb. In Kiew sind wir momentan zu dritt. Und auch in den DW-Redaktionen in Deutschland sind zahlreiche Mitarbeitende überwiegend mit der Ukraine beschäftigt. Ich habe viele Jahre als Einzelkämpfer gearbeitet und durchaus gerne. Im Moment bin ich aber froh, dass ich nicht auf mich allein gestellt bin.

Kiew ist voller Journalisten

Hat das DW-Team engen Kontakt zu den Journalistinnen und Journalisten anderer Medien. Gibt es gegenseitige Unterstützung?
Ja, die Stadt ist ja derzeit voll mit Journalisten, die alle in den wenigen Hotels leben, die noch geöffnet sind. Natürlich sind das auch Informationsbörsen: Wer war heute wo, was konnte man machen und was nicht. Wo ist es gefährlich, wo ist es nicht gefährlich etc.

Wie sind die Reaktionen auf die Berichterstattung, in Deutschland, aber auch in der Ukraine?
Durchweg positiv. Ukrainer finden es wichtig, dass berichtet wird. Schon vorher war das Umfeld für uns hier sehr positiv. Aus Deutschland höre ich ebenfalls Wertschätzung dafür, dass wir hier weiter berichten.

Als Sie nach Kiew gingen, haben Sie bestimmt nicht erwartet, in einer bombardierten und belagerten Stadt arbeiten zu müssen. Sie sind aber geblieben - eine schwere Entscheidung?
Wir waren die letzten Tage auch im Hinterland unterwegs und haben uns dann entschieden, in die Hauptstadt zurückzukommen. Journalistisch ist die Entscheidung nicht schwer. Aber die Risiken muss man halt abwägen.

Zuspruch von vielen Seiten

Bekommen Sie von der Deutschen Welle, von der Familie, von Freunden und Verwandten den notwendigen Zuspruch?
Ja!

Wann sehen Sie den Zeitpunkt gekommen, Kiew zu verlassen?
Die Sicherheitslage kann sich jederzeit ändern. Es fällt schwer, einen genauen Zeitpunkt zu nennen, aber natürlich kann möglicherweise auch sehr plötzlich der Moment kommen, an dem wir die Stadt verlassen müssen.

Das Interview führte Joachim Huber.

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