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Doku über Polizeiarbeit: Am Rande des Zusammenbruchs
Mit Fernsehkrimis hat der Arbeitsalltag der Polizei wenig gemeinsam. Eine ARD-Doku über „Die Wunden der Ermittler“.
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Polizisten halten täglich ihren Kopf hin. Werden sie im Einsatz angeschossen oder psychisch traumatisiert, fühlt sich kaum jemand für sie zuständig. Eine ARD-Doku porträtiert Kommissare am Rande des Nervenzusammenbruchs.
Im Fernsehen haben Ermittler immer eine Macke. Je schräger und kaputter sie auftreten, desto cooler wirken sie. Mit der Wirklichkeit hat dieses telegene Bild nichts zu tun. In der NDR/WDR-Dokumentation wirft Maryam Bonakdar einen Blick in den Alltag von Beamten, die nicht mehr funktionieren. Einer von ihnen ist der Ex-Streifenpolizist Jürgen Röhr. In Berlin verfolgte er einen Amokläufer, der aus Eifersucht seine Freundin auf offener Straße mit zwei Kopfschüssen getötet hatte.
Röhr verfolgte den zu Fuß Flüchtenden, bis dieser seine Waffe zog und auf den Beamten abfeuerte. Durchschuss. 85 Tage lag Röhr im Koma. Nach der Reha leidet der damals 45-Jährige an Schlaflosigkeit und Angstzuständen. „Ich wollte, dass man mir hilft und dass ich irgendwann zurück in den Dienst kann“. Davon ist keine Rede. Man sortierte ihn aus. Hinter vorgehaltener Hand erklärt ein Vorgesetzter: „Die Behörde ist eine Maschine. Sie sind ein Zahnrad, das nicht mehr läuft. Ersetzen wir das alte lieber durch ein neues. Das ist weniger aufwendig als das alte neu einzuschleifen“
Wie vielen Gesetzeshütern ergeht es ähnlich? Darüber existieren keine bundesweiten Statistiken. Es gibt aber Anhaltspunkte. 86 Prozent der Ermittler, die sich in Niedersachsen mit Kinderpornografie befassen, geben an, dass sie nicht wissen, wie sie die verstörenden Inhalte auf Dauer verkraften sollen. Laut einer Umfrage der Thüringer Polizeigewerkschaft fühlen sich 94 Prozent aller Polizisten „psychisch oder körperlich belastet“. Von diesen Belastungen vermittelt der Film eine Ahnung. Streifenpolizisten und Kommissare sprechen über Situationen, die man aus dem Fernsehkrimi zu kennen glaubt. Ein Berliner Staatsanwalt berichtet von einer Obduktion, in seinem Beruf eine alltägliche Situation, eigentlich. Seither verfolgt ihn jedoch der Blick der Leiche eines 10-jährigen Mädchens, das ihn vom Obduktionstisch aus anstarrt.
Niemand will Nestbeschmutzer sein
Das Reden über solche inneren Dämonen fällt traumatisierten Beamten schwer, aus vielen Gründen. Man will kein Nestbeschmutzer sein. Das Eingeständnis einer traumatischen Belastungsstörung kann zudem „schlecht für das berufliche Fortkommen sein“. Dienstbedingte Belastungsstörungen bei Ermittlern sind „ein Tabuthema“, sagt Polizeiseelsorgerin Hilda Schneider.
Wie Recht sie hat, belegt das Gespräch mit Holger Stahlknecht von der CDU, der als Innenminister von Sachsen-Anhalt oberster Dienstherr der dortigen Polizei ist. Vor der Kamera erklärt er, der Umgang mit seelischen Störungen bei Polizisten sei „reine Routine“. Beamten mit einem ärztlichen Befund würde geholfen – an Geldmitteln mangelt es nicht. Auf die Nachfrage, Betroffene würden ganz andere Erfahrungen machen, erklärt der Minister, er könne „das nicht nachvollziehen“.
Formal weist die Dokumentation zwar die üblichen Defizite auf: Verschwommene Silhouetten hinter Milchglas sollen psychische Traumen „atmosphärisch“ greifbar machen. Nachgestellte Szenen bebildern eine Verkehrskontrolle, die aus dem Ruder läuft. Die schmerzliche Realität der Polizeiarbeit wird dadurch jedoch nicht verwässert. Auch der spekulative Gestus einschlägiger True Crime Formate wird nicht bedient. Im Zentrum stehen Ermittler, die ihren eigenen Fall nicht gelöst haben. Dieser Film geht tatsächlich dorthin, wo es weh tut. Manfred Riepe
„Die Wunden der Ermittler – Wie Verbrechen die Seele belasten“, ARD, Montag, 23 Uhr 40
Manfred Riepe
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