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Die Landwirtschaft nimmt häufig zu wenig Rücksicht auf die Natur.

© Nautilusfilm

Arte-Doku „Die Wiese“: Ein Plädoyer für den Erhalt eines Paradieses

Der Dokumentarfilm „Die Wiese“ zeigt eine Natur, die es so womöglich bald nicht mehr gibt. Drei Jahre hat Autor Jan Haft daran gearbeitet.

„Das Land ist im Allgemeinen entweder durch Wälder schauerlich oder durch Sümpfe wüst“, beschrieb vor beinahe 2000 Jahren der römische Historiker Tacitus Germanien. Filmautor Jan Haft lässt diesen Satz zu Beginn seines bildopulenten und aufwendigen 90-minütigen Dokumentarfilms „Die Wiese“ vom Off-Kommentar einsprechen. Seine schauerlichen Wälder, mehr denn je in ihrer Existenz bedroht, hat dieses Germanien von einst immer noch, etwa eine Milliarde Bäume stehen hier heute, noch. Und es gibt neben den Wäldern die Wiesen, die einem eigenen Mikrokosmos gleichkommen.

Der Dokumentarfilm „Die Wiese“ hat in seiner entschleunigten Art etwas Kontemplatives und folgt, kleinen Unterkapiteln gleich, den unterschiedlichsten Tieren und Pflanzen. Die Kamera zeigt in bestechenden Makroaufnahmen Insekten, die beim Spaziergang durch Feld, Wald und Wiese mit bloßem Auge in dieser Klarheit und Schärfe und Nähe zunächst nicht erkennbar wären. So lässt der Film die Zuschauer in eine andere Welt eintauchen, in „das Paradies nebenan“, wie der prosaische Untertitel lautet.

[„Die Wiese“, Donnerstag, 20 Uhr 15, Arte]

Es ist eine Welt, die farbenfroh, facettenreich, bunt, wild und schön ist. Naturbelassen, im Idealfall. Eine Welt, die den Gesetzen der Natur folgt, die von gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen Pflanze und Tier bestimmt sind. Eine Welt, in der sich etwa 3000 Tierarten tummeln, darunter allein 100 unterschiedliche Heuschrecken- und ebenso viele verschiedene Zikadenarten und Wanzen. Oder unter den Vögeln die stets in Wiesen nistenden Feldlerchen und Braunkehlchen, die ihre Nester perfekt kaschieren, sodass Füchse und Raubvögel sie nicht erkennen können. „Die Wiese“ rückt einige von ihnen in durchaus anrührender Weise kurz ins dokumentarische Licht.

Eine Rehmutter und ihre Zwillingsjungen

Protagonist des Films aber ist eine Rehmutter mit ihren beiden Zwillingsjungen. Von der Geburt der beiden Bambis über ihre Kindheit führt die Narration des Films exemplarisch durch das Leben eines jungen Rehkitzes, durch die Jahreszeiten hindurch, die es erlebt, durch sein Lernen und Erleben und Heranwachsen. Auch die Gefahr, die den jungen Tieren droht, wenn sie noch wackelig auf den Beinen sind und meist allein in den hohen Gräsern wilder Wiesen liegen und auf die sich rar machende Mutter warten, wird aufgezeigt: Im Sommer kommt der Mensch. War es früher die von Hand geführte Sense, so ist es nun die immer größer werdende, immer schnellere, perfektionierte Mähmaschine mit ihren scharfen Klingen, mit der er über die Wiesen fährt, um mit der Heuernte zu beginnen. Was früher Tage dauerte, braucht nun nur wenige Stunden. Jedes Rehkitz, das hier nicht den frühen Tod findet, hat es geschafft, zunächst. Manche Landwirte setzen inzwischen Drohnen mit Wärmebildkameras ein, um die kleinen Rehe im hohen dichten Gras zu finden und herauszuholen, bevor sie mit den Mähmaschinen anrücken.

In der Wiese ist ein Drittel aller Pflanzen- und Tierarten beheimatet. Es ist diese Heimat, die akut in Gefahr ist. Der Mensch rückt all diesen Tieren und Pflanzen zunehmend zu Leibe, indem er aus Wiese Ackerland macht und dieses umgepflügte Land intensiv mit Gülle und Kunstdünger behandelt.

Sämtliche natürlichen Kreisläufe werden so abgebrochen. Die Folgen sind fatal: Flora und Fauna verschwinden, es entsteht eine industrialisierte, zweckorientiert angelegte leblose Nutzlandschaft, die alle Vielfalt im Keim erstickt. Der homo sapiens macht sich längst auch die Wiese untertan, das langfristige Ergebnis ist, dass – wenn er so fortfährt – es irgendwann keine mehr geben wird. „Die Wiese“ ist daher auch ein Plädoyer, das nachhallt. Es wäre gut, würde es gesehen und gehört werden, bevor es in nicht allzu weiter Ferne ganz zu spät ist.

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