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Alma Ortega (Rosario Dawson) sucht ihren vermissten Sohn.

© Sky

Sky-Serie „DMZ“: Attraktiv im Kriegsgebiet

„DMZ“ macht aus dem Endzeit-Comic eine Cyberpunk-Serie mit Familienzusammenführung.

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Schwer zu sagen, was schlimmer ist: ein Albtraum, der so realistisch war, dass man schweißgebadet daraus erwacht? Oder schweißgebadet aus einem Albtraum zu erwachen, der so real wirkt, weil es gar keiner war? Da die Antwort stets von der geträumten Wirklichkeit abhängt, wäre Alma Ortega gewiss heilfroh, wenn sich ihre Fieberfantasie nur im eigenen Kopf abgespielt hätte: die Schüsse, die Schreie, die Angst – das Land der Freiheit gefangen im Verlies zerrissener Harmonie.

Fast 19 Monate nach dem Sturm aufs Kapitol hat HBO Max mit Warner einen DC-Comic verfilmt, der schon am Ende von George W. Bushs zweiter Präsidentschaft vorwegnahm, was bei Joe Bidens Amtseinführung denkbar erschien. Die liberalen Küstenränder im Bürgerkrieg mit dem reaktionären Bibelgürtel, Moderne vs. Mittelalter, Demokraten gegen Republikaner, ein Kulturkampf, der lange vor Donald Trumps Putschversuch am 6. Januar 2021 tobte.

In „DMZ“ rückt das, was mal Science-Fiction war, also bedrohlich dicht an unsere Gegenwart heran und wirft die Frage auf, wie wahrhaftig frühere Dystopien im Zeitalter der permanenten Weltkrise sind. Die Drehbücher von Roberto Patino suggerieren: äußerst wahrhaftig.

Viermal 60 Minuten lang zeichnet der Showrunner („Sons of Anarchy“) ein düsteres Bild der Zukunft. Nach ihrem nächtlichen Albtraum muss Dr. Ortega (Rosario Dawson) nämlich den ganz alltäglichen in einer militärisch abgeriegelten Transitzone erdulden, wo sie Flüchtlinge medizinisch untersucht, die illegal in die „Vereinigten Staaten Amerikas“ emigrieren. („DMZ“, Sky Atlantic HD, Mittwoch, 20 Uhr 15, Sky Q und Sky auf Abruf)

Nach blutiger Schlacht entlang der alten Sklaverei-Grenze, stehen sich beide Lager an einer „Demilitarisierten Zone“ in New York City gegenüber, wo Clans und Banden regieren – die „Spanish Harlem Kings“ des halstätowierten Parco Delgado (Benjamin Bratt) zum Beispiel oder die Amazonenarmee von Wilson Lin (Hoon Lee), Herr über Manhattans Chinatown. Beide lässig, beide skrupellos, beide auf charismatische Art archaisch: Das Serienghetto erinnert kaum zufällig an „The Walking Dead“, die populärste aller Endzeitfiktionen.

Selbstreferenzieller Firlefanz

Auch dort gilt das Recht des Stärkeren. Auch dort ist der Mensch des Menschen Wolf. Auch dort paart sich Sozialkritik mit Gefühlsaction. Wer allerdings glaubt, „DMZ“ kommentiert die aktuellen Verhältnisse in einer ähnlichen Near Future, wie zeitnahe SciFi-Stoffe heißen, sieht sich enttäuscht.

Patino nutzt Brian Woods Comicstory nur als Steinbruch, wo er Alma ausgegraben hat. Im Original nur Nebenfigur, wird sie ins Sperrgebiet geschmuggelt, um ihren Sohn zu suchen.

Die Adaption ersetzt journalistisches Ethos somit durch emotionales. Statt den rechtspopulistischen Beschuss westlicher Werte zu kommentieren, steht eine Familienzusammenführung ins einsturzgefährdete Haus. Anstelle soziokultureller Messages gibt es Gewalt, Gefühl und Gangstarap. Dass Alma Christian alias Skel (Freddy Miyares) mithilfe eines süßen Waisenkindes findet und zu jeder Hauptfigur im Ghetto private Beziehungen hatte, macht Patinos Storytelling noch konstruierter als das saftige Happy End. Schade eigentlich.

Denn die postapokalyptische Animationstechnik der Regisseure Ernest Dickerson und Ava DuVernay bietet exzellente Cyberpunk-Kunst, mit der Kulissenschiebereien à la „Blade-Runner“ nun fotorealistisch digitalisiert werden. Nur: Ohne Metaebenen bleibt ein Leopard in der verwüsteten Metropole selbstreferenzieller Firlefanz.

Dieses Kompromissangebot an alle gesellschaftlichen Lager ist umso ärgerlicher, als sich die Kreativen emsig bemühen, das machtgeile Patriarchat durch ein wohltätiges Matriarchat zu ersetzen. Die Frauen in der DMZ sind nicht nur empathischer, sondern stärker und auch im Albtraum offenbar unerlässlich: stets attraktiv zurechtgemacht.

Jan Freitag

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