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Medien: Aus dem Auge des Weltgeschehens

CBS-Moderator Dan Rather tritt nach 43 Jahren ab

Er war immer da. Das Auge des Hurrikans zog ihn magisch an. Er spürte, wenn Weltgeschichte sich ereignen wollte. Also stand er an jenem legendären 22. November vor 41 Jahren in Dallas an der Straßenseite, als Präsident John F. Kennedy erschossen wurde. In Peking berichtete er vom Tienanmen-Platz, während die Studenten protestierten. Als Mudschahedin verkleidet streifte er, kurz nach der sowjetischen Besetzung, durch Afghanistan. Mit Richard Nixon legte er sich, auf dem Höhepunkt des Watergate-Skandals, fernsehöffentlich an. Als der Irak in Kuwait einmarschierte, war er der erste US-Journalist, der Saddam Hussein interviewte. Kurz vor dem zweiten Golfkrieg sprach er wieder mit dem Despoten. Als eine seiner letzten Großtaten enthüllte er die Folteraffäre von Abu Ghraib.

Nun tritt er ab. Am 9. März will Dan Rather seine letzte Nachrichtensendung moderieren. Das Datum wurde bewusst gewählt: An dem Tag feiert der 73-Jährige seinen 24. Jahrestag als „Anchorman“ für den nationalen Fernsehsender CBS. Dann hat er, allabendlich, fast ein Vierteljahrhundert lang die Geschicke des Landes begleitet. Rund 43 Jahre lang stand er im Dienst von CBS.

Wie heißt es in solchen Momenten? Eine Ära geht zu Ende. Sein Gesicht war vielen Amerikanern vertrauter als das ihrer Nachbarn. Auf sein Wort war Verlass. Jetzt fühlen sie sich verlassen. Die Meldung von Rathers Rücktritt verdrängte am Dienstag alle anderen Ereignisse. Als „Breaking News“ wurde sie präsentiert. Abends gab es Sondersendungen. Die Stationen seines Wirkens wurden in Erinnerung gerufen. Zeitgeschichte als Mediengeschichte. Ohne Rathers Kommentare würde in den USA die Historie heute anders empfunden. Nicht kühle Sachlichkeit zeichnete ihn aus, sondern Emotionalität. Rather berichtete nicht nur über das, was geschah, er fühlte das Geschehene mit. Hinter der Stimme steckte ein Mensch, der sein Innerstes nicht verbarg.

Eine Instanz verlässt das Rampenlicht, doch auf der Bühne bleibt ein Schatten. Rathers letzter Coup war als Krönung seiner Karriere geplant: In der heißesten Phase des Präsidentschaftswahlkampfes präsentierte die Magazin-Sendung „60 Minutes“ brisante Dokumente. Sie stammten angeblich vom Kommandeur jener Einheit der Nationalgarde, in der George W. Bush Anfang der siebziger Jahre diente. Die Memoranden legten den Verdacht nahe, dass Bush sich vor dem Dienst drückte oder diesen gar schwänzte. Ein Skandal schien enthüllt worden zu sein. Doch das Material war gefälscht. Über Rather und CBS – von Amerikas Konservativen ohnehin als linkslastig beschimpft – ergoss sich Spott. Ihr Wille, eine Bombe platzen zu lassen, war stärker gewesen als die Vernunft. Seitdem war Rathers Rücktritt nur noch eine Frage der Zeit.

Gemeinsam mit Peter Jennings (ABC) und Tom Brokaw (NBC) bildete Rather Amerikas „Anchorman“-Trio. Der 64-Jährige Brokaw wird in der nächsten Woche seine letzte Sendung moderieren. Wie lange der 66-Jährige Jennings noch bleibt, ist ungewiss. Rather verkörperte ein Stück altes Fernsehen. Die in den USA so beliebten Skandal- und Justizgeschichten waren ihm ein Gräuel. Nicht bunt und fetzig habe seriöser Journalismus zu sein, sondern packend und informativ.

Doch derlei Qualitätsjournalismus hat es schwer. Alle drei großen amerikanischen TV-Sender – ABC, CBS und NBC – verloren in den letzten Jahren im Nachrichtensegment kontinuierlich an Einschaltquote. Zuerst kam die Konkurrenz durch das Kabelfernsehen mit seinen 24-Stunden-Nachrichtenprogrammen CNN, Fox News und MSNBC. Am Wahlabend etwa hatte „Fox News“ ungefähr so viele Zuschauer wie CBS. Dann kam das Internet. Eine Legende geht – und mit ihr eine Zeit, die Moderatoren wie Rather zu Legenden hat werden lassen. Er selbst war einst in die Schuhe von Walter Cronkite gestiegen, dem Urvater des Nachrichtenwesens. Doch einerlei, wer in Rathers Schuhe steigt: Einen „Anchorman“, dessen Charakter die Wahrnehmungen einer ganzen Nation über zweieinhalb Jahrzehnte prägt, wird es nicht mehr geben.

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