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Von wegen entrückt. Hanna Schygulla dreht Videos mit syrischen Mädchen zum Thema Migration. Sie hilft einem Berliner Verein, der Flüchtlingskinder begleitet.

© Arte

Doku über Hanna Schygulla: Aus dem Geheimnis

Morbider Totenkult und Melancholie: Eine Arte-Dokumentation porträtiert die Schauspiel-Ikone Hanna Schygulla.

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Im Schlafzimmer ihrer Pariser Wohnung ist das Porträt von Rainer Werner Fassbinder heruntergefallen. Ganz von selbst. Der Boden liegt voller Glasscherben. Hanna Schygulla erkennt darin ein Zeichen. Sie stellt das Bild auf einen Tisch und beginnt einen Dialog mit jenem Mann, „ohne den ich nicht Schauspielerin geworden wäre“.

Das geisterhafte Gespräch zieht sich als roter Faden durch dieses filmische Porträt. André Schäfer, bekannt durch subtile Dokumentationen wie „Herr von Bohlen privat“ über den schwulen Krupp-Erben, verbindet den Rückblick auf Hanna Schygullas Kinokarriere mit Streiflichtern auf ihr gegenwärtiges Engagement.

Der Film folgt der stets etwas entrückt erscheinenden Schauspielerin in Paris und Berlin durch den Alltag. Dabei gibt sie Einblicke in ihre vielfältigen Interessen. Die Schirmherrschaft über ein Projekt von Lupine Mentoring, einem gemeinnützigen Berliner Verein, der Flüchtlingskinder begleitet, liegt ihr besonders am Herzen.

Hanna Schygulla dreht Videos mit syrischen Mädchen zum Thema Migration. Das Thema geht auch der berühmten Darstellerin nahe. Sie ist selbst ein Flüchtling, schließlich kam sie ja aus Oberschlesien. Als „Tschikola“ habe man sie damals beschimpft, als „Polensau“. („Hanna Schygulla“, Mittwoch, Arte, 21 Uhr 50)

André Schäfer spürt dem Schaffensdrang einer Künstlerin nach, die zeitlebens Kulturen miteinander zu verbinden versucht. In Barcelona realisierte sie einen Film mit Jugendlichen, die aus der Psychiatrie geflohen sind. Und in Paris stand sie gleich zweimal vor der Kamera des französischen Starregisseurs François Ozon, der am Rande zu Wort kommt. Kaum bekannt ist, dass Hanna Schygulla sich auch als Videokünstlerin versuchte. 1979 realisierte sie tranceartige Kurzfilme nach freien Assoziationen aus ihrem eigenen Unbewussten. „Traumprotokolle“ nannte sie jene experimentellen Versuche – von denen nicht einmal Fassbinder etwas wusste. 2005 wurden sie im New Yorker Museum of Modern Art öffentlich präsentiert.

Eine Madonna, die, so Volker Schlöndorff, „ein klein wenig eine Hure“ war

Das alles ist nicht uninteressant. Doch die Eindrücke aus ihrem jetzigen Leben und Wirken führen indirekt vor Augen, dass Hanna Schygulla nach Fassbinders Tod an den Welterfolg mit seinen Filmen nie mehr anknüpfen konnte. Kein anderer Regisseur begriff das tief in ihr schlummernde Geheimnis. Ihre dichtesten Momente hat die Doku immer dann, wenn sie Berührungspunkten nachspürt zwischen der privaten Person Hanna Schygulla und jener Kunstfigur, die sie in den späten Filmen „Die Ehe der Maria Braun“ und „Lili Marleen“ verkörperte.

Als sie Fassbinder Ende der 1960er Jahre an der Münchener Schauspielschule kennenlernte, sei sie „eine überintellektualisierte Studentin“ gewesen. Schon in den ersten Filmen, die sie mit Fassbinder ab 1969 realisierte, musste sie genau das Gegenteil verkörpern. Nämlich „Vorstadtmädchen, die sich kaum ausdrücken konnten“.

Während dieser Zeit ist Hanna Schygulla Wachs in Fassbinders Händen. Sieht man die ätherischen Bilder aus „Fontane Effi Briest“ von 1974 wieder, so scheint es, als habe der visionäre Ausnahmeregisseur die statuarische Fantasievorstellung einer Frau schlechthin entworfen. Eine Madonna, die, so Volker Schlöndorff, „ein klein wenig eine Hure“ war.

Mit der Schygulla als Projektionsfläche schuf Fassbinder ebenso eine „Symbolfigur für Deutschland“. Viele junge Frauen sahen seinerzeit ein wenig so aus wie Hanna Schygulla. Die Schauspielerin selbst durchlebte diesen Prozess „als langsamen Erstickungstod eines Menschen, der nur das tut, was man von ihm verlangt“. Mit dem Bild, das Fassbinder von ihr entwarf, kommt sie inzwischen nicht mehr so gut zurecht: „Ich habe große Schwierigkeiten, mich anzugucken.“

Nicht zufällig durchweht dieses Porträt eine Mischung aus morbidem Totenkult und Melancholie. Am Grab Fassbinders in München-Bogenhausen steht Hanna Schygulla zum ersten Mal. Friedhöfe mag sie nicht. Dafür hat sie zu Hause in ihrer Wohnung einen „Totentisch“ mit Porträtfotos verstorbener Freunde. Immer größer wird dieser Tisch. Inzwischen musste sie „eine zweite Etage“ anbauen.

Am Ende verabschiedet sie sich von Fassbinder. In der letzten Szene öffnet sie das Fenster: „Damit ich deinen Geist auch wieder entlassen kann.“ Und dann blickt sie noch einmal zurück. Nur Hanna Schygulla kann so schauen. Sanftmütig. Aber auch ein wenig verloren.

Manfred Riepe

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