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Medien: Aus Erfahrung gut

Dokumentation über Senioren mit zweiter Karriere

Manchmal überkommt sie das Gefühl, die Zeit laufe ihr davon, sagt Karla Hinz. Gern würde sie reisen, etwas von der Welt sehen, doch die Rente der früheren Hamburger Krankenschwester fällt nicht üppig aus. Darum hütet Karla Hinz Wohnungen oder Häuser für Leute, die längere Zeit weg sind. Andere Senioren und Seniorinnen wollen dagegen hoch hinaus. Jörg Pfeifer zum Beispiel, ein Ingenieur, der viel im Ausland gearbeitet hat, genießt nun als Hüttenwirt die Bergluft in den österreichischen Alpen.

Ihre innere Unrast können weder Karla Hinz noch Jörg Pfeifer und auch nicht die zwei anderen Seniorinnen verbergen, die Susanne Kammermeier und Wilma Pradetto in ihrem Film „Aus Erfahrung gut“ porträtieren. Die Berlinerin Heide Meyer krönt ihr Berufsleben mit der Eröffnung eines neuen Dessous-Geschäfts, überzeugt davon, dass jede Frau einen perfekt sitzenden BH braucht. Für Alterswehmut bleibt ihr keine Zeit. Das gilt auch für die bayerische Metzgermeisterin Irene Honegg-Mülhaupt, die sich von einer Senioren-Agentur in eine deutsche Großfleischerei und –bäckerei in der ruandischen Hauptstadt Kigali vermitteln ließ. Aber wer kauft hier, wo Mord und Totschlag herrschten und die Essgewohnheiten ohnehin andere sind als bei uns, feine deutsche Wurstwaren?

Man erfährt es nicht. So unbedenklich, wie Frau Honegg-Mülhaupt von den „schwarzen Boys“ spricht, mit denen sie arbeitet, statt von Kollegen, so naiv scheinen sich auch die Autorinnen an die Selbstdarstellung der Protagonisten gehalten zu haben. Unfreiwilliger Humor wird in Kauf genommen. „Mein Leben ist Fleisch und Wurst“, plaudert die bayerische Metzgerin, als wäre sie geradewegs einer komischen Oper entsprungen. Die wohlgemute Heide Meyer brauchte nur „Dessous“ einzusetzen, und schon könnten beide ein köstliches Duett aufführen.

Die Mehrheit der Rentner kann ihr Erwerbsleben keineswegs so fröhlich fortsetzen, wie es diesem Mittelstandsquartett möglich ist. Ohne nach Entgelt zu fragen, engagieren sich jedoch viele in der Fürsorge und Betreuung hilfsbedürftiger Menschen oder in einem Ehrenamt. Anderen lähmen Krankheit und Not die Hände, alle aber drückt, wie geschickt sie es auch überspielen, die Angst vor dem Tod. Oder sie quälen sich mit den Schattenseiten ihrer Biografie. Vor dem Hintergrund der regierungsamtlich zur Seite geschobenen Altersarmut wirkt dieser Film, trotz bemerkenswerter Kameraführung (Thomas Keller) und einzelner berührender Momente, wie eine Beruhigungspille. So kann er nicht gedacht gewesen sein. Hans-Jörg Rother

„Aus Erfahrung gut. Die Senior-Experten“, ARD, 22 Uhr 45

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