
© Starzplay
Shopping als Selbstzweck: Blacks and the City
Gesellschaftskritik und Glamour: Die Serie „Run the World“ zeigt Schwarze beim Shoppen und Tanzen in Harlem.
Stand:
Die HBO-Serie „Sex and the City“, nicht nur Schuhfetischisten erinnern sich daran mit wohligem Schauer, war ein verwöhntes Kind der Neunziger. Shopping als Lebenszweck, Schuherwerb zur Triebabfuhr, gertenschlankes Bodyshaming und Liebe, Freude, Eierkuchen überall – für so viel Hedonismus war kein Zeitalter geeigneter als die schaumige Präsidentschaft des neoliberalen Saxofonisten Bill Clinton.
Vier Jahre nach dem faschistoiden Schreihals Donald Trump darf man sich also getrost fragen, was in aller Welt ein baugleiches Remake von „Sex and the City“ im gänzlich unhedonistischen Pandemiejahr zu suchen hat.
Als hätte es die Krisen von Dotcom-Blase bis Bankencrash, von 9/11 bis Covid19 nie gegeben, sind Carrie, Samantha, Charlotte, Miranda nämlich zurück auf dem Bildschirm, der mittlerweile ein Flatscreen ist. Sorglos, triebhaft und ziemlich sexy flanieren sie in der bemerkenswerten Starzplay-Serie „Run the World“ durch New York, kaufen teure Fummel, suchen Satisfaction und finden sie auf den Boulevards der Eitelkeiten einer blitzsauberen Partymetropole.
Allerdings heißen Carrie, Samantha, Charlotte, Miranda dort nun Renee, Whitney, Ella und Sondi. Wobei sich das Quartett noch in einem anderen Punkt von den Konsumfrauen des postkommunistischen Turbokapitalismus unterscheidet. Sie sind Schwarz. („Run the World“, acht Folgen, Starzplay)
Geschrieben mit großem S, da Farbige früherer Tage längst auch sprachlich so selbstbestimmt agieren, dass sie wie ihre Vorbilder von 1998 bis 2004 herumstolzieren, als gehöre die Stadt allein ihnen – nur, dass es 2021 Harlem ist statt Manhattan.
Wobei das legendäre Viertel der Blaxploitation-Ära noch gentrifizierter ist als Kreuzberg, Friedrichshain und Berlin-Mitte zusammen. Alles darin scheint vollständig aufs permanente Spaßbedürfnis ihrer afroamerikanischen Oberschicht ausgerichtet zu sein. Armut und Elend sind verschwunden wie Alltag und Arbeit außerhalb von Boutiquen, Bars, Agenturen.
Wer der fast geschiedenen Renee (Bresha Webb) und der fast verheirateten Whitney (Amber Stevens West), der flamboyanten Ella (Andra Bordeaux) und der karrieristischen Sondi (Corbin Reid) jeweils 30 Minuten beim Daten, Vögeln, Schlendern, Vögeln, Einkaufen, Vögeln und gelegentlich noch etwas Geldverdienen in recht lukrativen Hipsterjobs zusieht, könnte also eine Art Zuckerschock der Realitätsverdrängung kriegen.
„Für Weiße sind wir halt unsichtbar“.
Schließlich wirkt das fiktionale New York oberflächlich wie ein Joint Venture aus Westerwelle-FDP, Wowereit-Berlin und Riekel-„Bunte“, scheint also aus dem Thinktank renditebewusster PR-Strategen zu kommen. Das tut es aber nicht. Und spätestens da geht es ans Eingemachte.
Denn hinter „Run the World“ stehen drei Schwarze Lipstickfeministinnen mit Strahlkraft: Showrunnerin Yvette Lee Bowser, die dem US-Fernsehen seit gut 30 Jahren Selbstermächtigungsformate von „A Different World“ bis „Black-ish“ produziert.
Regisseurin Millicent Shelton, deren Musikvideos Salt-n-Peppa einst ein körperpositives Glamour-Image verpasst haben. Dazu Drehbuchautorin Leigh Davenport, als Vizepräsidentin des einflussreichen Lifestyle-Portals iOne eine der lautesten Stimmen US-amerikanischer People of Colour mit Sendungsbewusstsein.
Wer das weiß, der sieht – mehr noch – der hört genauer hin. Denn so irrelevant ihre vier Hauptfiguren zwischen Morgentoilette und Abendgestaltung die Tage verplempern, so deutlich sind die Hinweise darauf, dass sie sich damit mehr schlecht als recht von ihrer sozialen Benachteiligung sedieren. Als sich jemand vor die aufgedonnerte Diva Renee drängelt, sagt ihre Freundin Ella am Telefon: „Für Weiße sind wir halt unsichtbar“.
Kurze Zeit später kauft Sondi ihrer kleinen Tochter braune Ballettschuhe, um die pinken Codes der Mehrheitsgesellschaft zu konterkarieren. Und wann immer ihre Männer in Sportsbars hocken, geht es irgendwann um das N*****-Word und seine Folgen.
Dieses nichtweiße Lebensthema so beiläufig in schillernde Mittelklassebiografien einzustreuen, macht Amerikas hartnäckigen Rassismus anschaulicher als jedes sozialkritische Ghetto-Drama. Vor allem aber rückt es die bild- und soundgewaltig reproduzierten Klischees vom tänzerischen, virilen, sexualisierten, schlagfertigen People of Colour, vor denen „Run the World“ nur so strotzt, in ein reflektiertes, reflektierendes Licht.
Außen Party, innen Leere – wer an diesem Dilemma vorbeisehen kann, kriegt mit dieser neuen Serie immerhin eine Art „Blacks and the City“ der Smartphone-Epoche geboten. Shopping als Lebenszweck inklusive.
Jan Freitag
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